Neue Blockade bei der Informationsfreiheit
Eine verspätete Stellungnahme der Spitzenverbände der Krankenkassen hat das Informationsfreiheitsgesetz torpediert, das Schiff soll aber weiter tuckern
Am Freitag sollte das lange verschleppte Informationsfreiheitsgesetz eigentlich in 2. und 3. Lesung vom Bundestag verabschiedet werden. Doch nun hat sich Rot-Grün dazu entschlossen, die abschließende Behandlung des Gesetzesentwurfs noch einmal zu verschieben. Ursache ist eine aus heiterem Himmel an den federführenden Innenausschuss versandte Stellungnahme der Betriebskrankenkassen. Sie fürchten eine Ausspionierung durch die Pharmaindustrie und eine Behinderung des Wettbewerbs in der Krankenversicherung.
Rot-Grün ringt weiter um das Informationsfreiheitsgesetz. Die abschließenden Beratungen sollten ursprünglich am heutigen Mittwoch im Innenausschuss des Bundestags über die Bühne gehen. Am Freitag stand im Parlament die Verabschiedung des Prestigeprojekts, das Deutschland bei der Akteneinsicht von einer Schlussposition in der EU erlösen sollte, mit der Mehrheit der Regierungsfraktionen auf dem Programm. Doch in letzter Minute wurden die 2. und 3. Lesung gestern von der Tagesordnung genommen.
Auslöser ist eine Eingabe der Arbeitsgemeinschaft der Spitzenverbände der Krankenkassen, die diese erst Ende April an den Bundestag geschickt hatte. Dass bereits im März eine Anhörung im Parlament stattfand, auf der zahlreiche Eingaben von Verbänden und von Wissenschaftlern zur Sprache kamen ("Freibrief zur Geheimhaltung"), scheint an den gesetzlichen Kassen vollkommen vorbei gegangen zu sein.
Mit ihrem Schreiben wollten die Kassenverbände "auf einige Gesichtspunkte hinweisen, die unseres Wissens bisher in der Diskussion des Gesetzesentwurfes keine Rolle gespielt haben, aber möglicherweise Änderungen sinnvoll erscheinen lassen". Sie raten zunächst, den Bereich der Sozialverwaltung "explizit aus dem Geltungsbereich des Gesetzes auszunehmen". Andernfalls käme es zu "rechtlich ungeklärten Konkurrenzen zu den Aufklärungs-, Informations- und Beratungsansprüchen des Sozialgesetzbuches."
Die Kassen haben Angst vor Datamining und verschärftem Wettbewerb
Weiter beklagen die Betriebskrankenkassen, die Körperschaften des öffentlichen Rechts sind und damit grundsätzlich in den Geltungsbereich des Gesetzes auf Einsicht in Verwaltungsakten fallen, dass "die Pharmaindustrie auf Arzneimittel-Verordnungsdaten bzw. Abrechnungsdaten der gesetzlichen Krankenkassen zugreifen könnte." Sie warnen auch davor, dass Leistungspartner der Kassen wie Arztgruppen oder Krankenhäuser "Datamining in Mitgliederstruktur- und Leistungsdaten" betreiben könnten. Generell haben die Kassenverbände Angst vor der gesetzlich verankerten Offenheit, da diese den schärfer werdenden Wettbewerb der gesetzlichen Kassen untereinander und mit den Privatkassen verzerren könnte.
Die Bedenken richten sich demnach hauptsächlich gegen die neue Transparenz allgemein, die ein Informationsfreiheitsgesetz naturgemäß schaffen soll. Schon nach dem Gesetzesentwurf (Bundestags-Drucksache 15/4493) werden die Ansprüche der Bürger auf den Zugang zu amtlichen Informationen jedoch von einem mehrseitigen Ausnahmekatalog eingeschränkt. Unter anderem sind damit "Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse" umfassend geschützt. Sie dürfen von den Behörden nur herausgegeben werden, "soweit der Betroffene eingewilligt hat". Auch der Zugang zu personenbezogenen Daten - wie etwa Patientendaten - darf nur gewährt werden, "soweit das Informationsinteresse des Antragstellers das schutzwürdige Interesse des Dritten am Ausschluss des Informationszugangs überwiegt oder der Dritte eingewilligt hat".
Gezielter Fangschuss der Gegner der Informationsfreiheit?
Die Vielzahl der Ausnahmeregelungen hat nicht nur bei Verwaltungsrechtlern und Vertretern der Zivilgesellschaft für Unmut gesorgt. Auch die FDP, die auf ihrem jüngsten Bundesparteitag in Köln ihre Wurzeln als Bürgerrechtspartei mit einem umfassenden Leitantrag wieder entdeckte, fordert deutlich mehr Informationsfreiheit. Nach einem Änderungsantrag der Liberalen soll daher nur dann bei "öffentlichen Belangen" ein Anspruch auf Akteneinsicht verwehrt werden dürfen, wenn "die internationalen Beziehungen, die Verteidigung oder bedeutsame Schutzgüter der öffentlichen Sicherheit" auf dem Spiel stehen oder nachteilige Auswirkungen auf "die Durchführung eines laufenden Gerichtsverfahrens" oder laufende Ermittlungen zu befürchten wären. Die Verwaltungen sollen zudem immer erst prüfen müssen, ob das Interesse der Öffentlichkeit an den Informationen nicht doch überwiegt. Die Paragraphen zum Schutz behördlicher Entscheidungsprozesse, personenbezogener Daten und von Geschäftsgeheimnissen wollen die Liberalen aufrecht erhalten.
Rot-Grün hat dagegen in einem eigenen Änderungsantrag nur noch kosmetische Korrekturen vorgesehen, welche die auf der Anhörung zur Sprache gekommenen Einwände im Wesentlichen nicht aufgreifen. Manfred Redelfs vom Netzwerk Recherche hält die überraschend aufgekommenen Sorgen der Krankenkassen daher für "nicht stichhaltig". An die Patientendaten käme die Pharmaindustrie generell nicht heran; und dass Strukturdaten über die Verwaltung und zu öffentlichen Gesellschaften zu einem gewissen Grad allgemein bekannt werden könnten, läge nun einmal im Sinne eines Transparenzgesetzes.
Redelfs argwöhnt vielmehr, dass die "skandalös" verspätete Stellungnahme quasi auf Bestellung der Gegner einer verstärkten Informationsfreiheit im konservativen Lager und in der Verwaltung selbst lanciert worden sei, um das Gesetz an sich zu torpedieren. Es sei zu befürchten, dass sämtliche Grundsatzfragen noch einmal aufgerollt würden. In der Regierungskoalition will man davon aber nichts wissen. Noch in dieser Woche sollen die offenen rechtlichen Fragen geklärt werden, heißt es dort. Die abschließenden Parlamentsdebatten seien nur auf die nächste Sitzungswoche Anfang Juni verschoben worden.