Neue Ermittlungen zu toter NSU-Zeugin
Seite 3: Erster Unterschlupfgeber
Einer der mithelfen könnte aufzuklären, ist Thomas Starke, der sich heute Thomas Müller nennt. Er war aktiv in der Neonaziszene in Chemnitz, war einmal mit Beate Zschäpe liiert, lieferte Sprengstoff, war erster Unterschlupfgeber für das Trio nach dessen Flucht von Jena nach Chemnitz im Januar 1998 - und er wurde im November 2000 als V-Person des Landeskriminalamtes Berlin angeworben. Bis zum Auffliegen des NSU im November 2011 war Starke eine konspirative Quelle des Staatsschutzes.
Laut LKA in Stuttgart war der Aktivist eine Schlüsselfigur für die Verbindungen der ostdeutschen Neonaziszene nach Baden-Württemberg. Er kann nicht persönlich vernommen werden, weil die Bundesanwaltschaft ein Ermittlungsverfahren gegen ihn führt und er ein Aussageverweigerungsrecht besitzt, das er vor dem OLG in München auch in Anspruch genommen hat. Mindestens achtmal soll Starke bisher vom BKA vernommen worden sein - viermal als Zeuge und viermal als Beschuldigter.
Von der Polizeibehörde ausgebremst
Was sagte er dabei aus, was weiß er? Das will der Ausschuss nun von Vernehmern des BKA hören. Allerdings werden die Parlamentarier seit Monaten von der Polizeibehörde ausgebremst. In die Juni-Sitzung schickte sie einen Vertreter, der Vieles nicht beantworten konnte, Auskünfte zur V-Mann-Tätigkeit Starkes verweigerte er gleich ganz. Hinterher übten die Abgeordneten offen Kritik am BKA, sprachen von "Torpedierung" ihrer Arbeit und zogen "Aufklärung- und Kooperationswillen" des Amtes in Zweifel (vgl. Bundesanwaltschaft, BKA und LKA sabotieren NSU-Ausschuss).
Zur Oktober-Sitzung jetzt sollte der Hauptsachbearbeiter erscheinen. Doch auch mit diesem Zeugen, Kriminaloberkommissar Thomas Baaden, setzte sich das Spiel fort. Auch er musste bei vielen Fragen passen.
Untersuchungsausschuss (UA): Hatte Starke nach 2001 noch Kontakt zum Trio?
Zeuge Baaden: Habe ich nicht mehr eindeutig vor Augen.
UA: Es soll eine Schlägerei zwischen Starke und Mundlos gegeben haben?
Zeuge: Sagt mir nichts.
UA: Welche Beziehung hatte Starke zu Ralf Marschner?
Zeuge: Kann ich leider nicht sagen.
UA: Hatte Starke Kontakte nach Stuttgart?
Zeuge: Kann ich nicht sagen.
Auch bei dem Thema V-Person erlebte man eine Wiederholung.
UA: War Ihnen bekannt, dass Starke V-Person des LKA Berlin war?
Zeuge Baaden: Laut Aussagegenehmigung habe ich keine Berechtigung, die Frage zu beantworten.
Selbst in nicht-öffentlicher Sitzung soll der BKA-Mann keine Frage beantwortet haben. Der Ausschuss überlege nun, hieß es, ob er den Quellen-Führer Starkes beim LKA Berlin als Zeugen vorlädt.
An der Frage, was Thomas Starke wusste, hängt die, was der Staatsschutz wusste.
Der NSU und der Verfassungsschutz - zwei untrennbare Komponenten, wie es scheint. Auffällig ist: je mehr man gräbt, desto mehr hat man es mit dem Inlandsgeheimdienst zu tun. Was will der Verfassungsschutz sechs Jahre nach dem Auffliegen des NSU?
Der Anschlag auf die beiden Polizeibeamten Michèle Kiesewetter und Martin Arnold am 25. April 2007 in Heilbronn scheint dabei immer weiter weg zu treiben.
Der Abgleich der Telefondaten aus der Funkzelle des Tatortes Theresienwiese ist immer noch nicht erschöpfend vorgenommen worden, die Bundesanwaltschaft weigert sich weiterhin, entsprechende Ermittlungen zu veranlassen. Und das obwohl - oder weil? - die Existenz einer Telefonnummer, die im Zusammenhang mit der terroristischen Sauerlandgruppe stand, am Tatort inzwischen bestätigt wurde.
Neuigkeit Streifenwagen
Und doch gab es in der Ausschusssitzung eine Neuigkeit: Zum ersten Mal wurde eine Ermittlerin des LKA nach der Anwesenheit von anderen Streifenwagen der Polizei auf der Theresienwiese kurz vor dem Anschlag gefragt. Mehrere Zeugen hatten unabhängig voneinander in den 40 Minuten vor dem Mord, der um 13.58 Uhr verübt worden sein soll, fünfmal einen Streifenwagen bemerkt, zweimal in unmittelbarer Nähe des späteren Tatortes.
Die letzte Sichtung eines Streifenwagens machte ein Zeuge ziemlich genau fünf Minuten vor den Schüssen mitten auf dem Festplatz. Kiesewetter und Arnold waren da noch auf der Anfahrt. Waren also Polizisten bei dem Überfall auf ihre Kollegen in der Nähe? Die Polizeiautos, ihre Besatzung und möglichen Aufträge sind nicht identifiziert. Kein Beamter hat sich bisher dazu geäußert.
Die Antwort der Kriminalhauptkommissarin gegenüber den Abgeordneten war unambitioniert. Sie habe schon mal davon gehört, es sei wohl mal rumgefragt worden, man sei aber nicht weitergekommen.
Auch das ist eine Auskunft, eine Art Selbstauskunft: Wer ausschließlich Böhnhardt und Mundlos für die Täter hält, wie es die Bundesanwaltschaft vorgibt, muss andere Spuren ignorieren. Die Ermittler sitzen in der Uwe-Uwe-Falle.