Neue Ermittlungen zu toter NSU-Zeugin
Seite 2: Passend zum Untersuchungsauftrag der Landtagskommission
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Die Todesfälle, vor allem der von Florian H., passen strenggenommen zum Untersuchungsauftrag der Landtagskommission. Der Ausschuss hält den Polizistenmord von Heilbronn zwar für aufgeklärt und sieht analog zur Bundesanwaltschaft in Böhnhardt und Mundlos die alleinigen Täter, sucht aber nach Unterstützern, vor allem in den Reihen von Neonazis im Land, die wiederum in engem Kontakt zur Szene in Thüringen und Sachsen standen.
Florian H. war etwa ein Jahr lang Teil dieser Szene in Heilbronn und Umgebung. Er kam mit Leuten in Kontakt, die seit Jahrzehnten dabei sind. Insgesamt ein Milieu, in dem sich nicht nur west- und ostdeutsche Rechtsextremisten, sondern auch V-Personen von Verfassungsschutz oder polizeilichem Staatsschutz mischten.
Eine dieser Figuren ist Michael Dangel aus Heilbronn, 49 Jahre alt. Er war bei zahlreichen rechtsgerichteten Gruppierungen aktiv - Republikaner, DVU - und gründete selber immer wieder welche. Darunter auch einen sogenannten "Geheimbund", in dem die heutige Verteidigerin des Angeklagten Ralf Wohlleben sowie ihr damaliger Freund Michael Stingel mitmachte. Schneiders und Stingel lebten später einige Zeit in Jena, wo sie unter anderem engen Kontakt zu Wohlleben und André Kapke, ebenfalls NSU-Beschuldigter, hatten.
Die Existenz des "Geheimbundes" stritt Dangel gegenüber dem Untersuchungsausschuss ab. Belegt ist das allerdings durch veröffentlichte Akten des Landesamtes für Verfassungsschutz (LfV) Baden-Württemberg. Das LfV hatte in der Gruppe einen Spitzel platziert, VM "Rose", mutmaßlich eine Frau.
War da mehr?
Mit diesen Akten konfrontiert haben die Abgeordneten den Zeugen Dangel allerdings nicht.
Stand die Heilbronner Szenegröße Dangel lediglich unter Beobachtung des Verfassungsschutzes - oder war da mehr? In einer früheren Sitzung rutschte einem Kriminalbeamten eine verhängnisvolle Formulierung heraus: Er sprach über Dangel, und dass er nicht wisse, wie der mit "Klarnamen" heiße. Möglich, dass er den Klarnamen mit dem Decknamen verwechselte, es würde aber bedeuten, dass der Mann einen Decknamen besaß.
Der Verdacht, Dangel könnte für eine Behörde gearbeitet haben, bekommt durch eine seltsame Begebenheit, die auch in der Ausschusssitzung zur Sprache kam, neue Nahrung. Bei einer Vernehmung durch das LKA im November 2013 übergab er den Kriminalbeamten Ordner mit Unterlagen aus seiner politischen Vergangenheit. "Ungewöhnlich" fand das der Ausschuss. Dangel erklärte es - nicht weniger seltsam - mit "offensiver Informationspolitik". Damit die Polizei sehen konnte, was er alles gemacht habe.
"Vielleicht, weil ich so verbohrt war"
Die direkte Frage, ob er eine V-Person war, verneinte der Rechtsextremist. Doch auf die weitere Frage, ob er von einer Behörde angesprochen worden sei, folgte eine einigermaßen kryptische Antwort: Er sei in 30 Jahren nicht einmal auf eine Zusammenarbeit angesprochen worden, so Dangel. Das habe ihn überrascht und sei fast beschämend, weil "praktisch alle" angesprochen worden seien. Eine Erklärung hatte er nicht: "Vielleicht, weil ich so verbohrt war."
Hat sich Dangel als Kontaktperson angeboten?, wollte der Ausschuss von der Vertreterin des LKA wissen und die antwortete so lakonisch wie mehrdeutig: "Mir nicht."
Journalisten machten während der Ausschusssitzung Wahrnehmungen: Unter den Zuschauern saß, wie schon bei vergangenen Sitzungen, nicht nur ein LfV-Beamter der Abteilung Rechtsextremismus, sondern auch ein Vertreter der Abteilung Beschaffung, sprich: verantwortlich für V-Mann-Führung. Wem oder was galt sein Interesse?
Michael Dangel unterhielt Verbindungen nach Jena, wo das Trio Böhnhardt, Mundlos, Zschäpe herkam. Die Ost-West-Wanderungen in den 90er Jahren waren beachtlich: Mundlos und Zschäpe reisten nach Ludwigsburg, ebenso Zschäpes Cousin Stefan A. Er musste vor dem Untersuchungsausschuss bereits Platz nehmen. Dagegen Enrico Rickmann aus Chemnitz, Neonazi und zugleich V-Mann des Verfassungsschutzes - bisher vom Ausschuss nicht vorgeladen.
"Noie Werte" und "Triebtäter"
Genauso wenig wie Andreas Graupner, der sogar seinen Wohnsitz an den Neckar verlegte und in der rechtsextremen Band "Noie Werte" mitmachte. Auch Jan Werner, führender Blood and Honour-Kader aus Chemnitz, zog an den Neckar. Werner ist einer der neun weiteren NSU-Beschuldigten.
Im Nachbarort ließ sich der Deutschland-Chef von Blood and Honour (B&H) nieder, Stephan Lange, kürzlich als Quelle des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV) enttarnt - und bisher vom Ausschuss nicht vorgeladen. Ebenfalls in dem Ort wohnte Markus F., eine zentrale Neonazi-Größe von Baden-Württemberg und ebenfalls mutmaßlich in Verbindung mit Sicherheitsbehörden - auch er bisher vom Ausschuss nicht vorgeladen. Dasselbe gilt für Jug P., gegen den das BKA wegen Waffengeschäften ermittelte - bisher nicht vorgeladen..
Vorgeladen war diesmal Holger W. aus Baden-Württemberg, in den 90ern Gitarrist in der rechtsradikalen Band "Triebtäter". Bandmitglied war unter anderem Roland Sokol, der später V-Mann des Landesamtes für Verfassungsschutz (LfV) BaWü wurde und inzwischen verstorben ist. Von 2001 bis 2011 lebte W. in Jena und Apolda, immerhin zehn Jahre lang.
Seine Befragung durch den Ausschuss war allerdings wenig ergiebig, weil wenig fundiert. Wesentliche Akten fehlen den Abgeordneten, nach Sokol haben sie nicht einmal gefragt. W. erklärte, Ende der 90er Jahre bei Partys in Thüringen auch das Trio getroffen zu haben. Ins Bild passte schließlich seine Antwort auf die Frage einer Abgeordneten: Ob er Kontakte zum Trio unterhielt, das hätten ihn die Ermittler des LKA bisher nämlich nie gefragt.
Welche Rolle das rechtsextreme Ost-West-Geflecht während der Mordserie von 2000 bis 2007 spielte, ist bisher unklar. Zumal Zweifel bestehen an der (Allein-) Täterschaft von Böhnhardt und Mundlos beim Polizistenmord in Heilbronn. Das könnte die Bedeutung des Trio-Umfeldes schmälern und eine andere Perspektive nahe legen: War das Trio - umgekehrt - vielleicht selber Teil des Täterumfeldes?