Neue Jagdgründe für die Gangs

Kalifornische Straßengangs werben durch persönliche Internetseiten für ihre "Farben" und provozieren dadurch ihre Feinde

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Es war wohl nur eine Frage der Zeit und des Geldes, bis auch die sozialen Pariahs von Kalifornien das Internet für sich zu nutzen lernten. In dem US-Staat, der den Mythos der Straßenbanden durch eine spezielle Musikgattung (Gangster Rap) und Filme wie Colors in jedes Jugendzimmer der Welt trägt, führen die unzähligen Gangs (allein im County von Los Angeles gibt es über 130.000 Bandenmitglieder) ihren Krieg mittlerweile in der noch weitgehend gesetzlosen Virtualität.

Anthony, ein intelligenter Teenager aus Sacramento und Mitglied der Nortenos Gang, stieß beim Net-Surfen auf die Homepage der Sureno Gang, dem eingeschworenen und oftmals blutigen Rivalen. Für Anthony war es eine Frage der Ehre, sich das nötige Knowhow für die Etablierung einer Homepage anzueignen, die seine Gang repräsentiert. "NORTENOS!" brüllt seine Sac-Town Gangstas Webseite. Sie ist mit einem knallroten Chevi Impala, einer automatischen Pistole und zwei Pitbull-Terriern dekoriert. Ein Web-Knopf lädt die Surfer zum Emailen ein. "Ich tue es für all die Nortenos, die nicht mit einem Computer umgehen können" meint Anthony, der seinen Nachnamen aus Angst vor der Polizei nicht nennt. "Sie leben durch mich."

Die Kämpfe der Straßenbanden in der wirklichen Welt wurden auf das Internet ausgedehnt. Das Resultat hat unerwartete Konsequenzen für die Polizei, Bandenmitglieder und selbst kommerzielle Anbieter, von denen viele zu unfreiwilligen Sponsoren geworden sind.

"Es gibt buchstäblich Tausende von "Gang-Sites", meint Chuck Zeglin, ein Polizeidetektiv aus L.A., der die Online-Aktivitäten der Straßenbanden überwacht. "Ich habe seit 17 Jahren mit Gangs zu tun, und noch vor zwei Jahren hätten wir es für unmöglich gehalten, dass Bandenmitglieder in der Lage wären, ins Internet zu gelangen." "Ja, Gangbanger wissen, wie man einen Computer benutzt," meint Mr. Bandit, ein 18jähriger Webmaster der Mid City Stoners 13 Gang in Los Angeles, der seinen wahren Nahmen nicht nennen will. "Gangbanger sind auch talentiert".

Das Aufkommen von solchen Webseiten ist ein Phänomen des letzten Jahres und wurde durch fallende Computerpreise, leichteren Internet-Zugang und die Ausbreitung von Firmen unterstützt, die freie Werbeflächen im Netz anbieten. Suchmaschinen deuten auf die Existenz Tausender von Gang-Webseiten hin, Experten meinen jedoch, dass eine große Anzahl von normalen Kids organisiert werden, die den Lebensstil der Straßenbanden cool finden. Dutzende der vermeintlich bekanntesten Web-Adressen wie www.bloods.com, www.crips.com, und www.latinkings.com, gehören einem ehemaligen slum lord in Missouri, der gefährdete Jugendliche vom Gang-Leben weglocken will.

Die Gangsites verbinden verschiedene Elemente, sind teilweise Highschool-Jahrbuch, kirchliche Eulogie für verstorbene Freunde und Kunstgalerie für kunstvoll verzierte Autos, nackte Frauen und automatische Waffen. Bilder von Bandenmitgliedern, die mit Ganghandzeichen provozieren, und wertvolle Waffensammlungen zieren die Webseiten wie die Schnappschüsse von Familienmitgliedern und Haustieren anderer Homepages.

Obwohl es keine Straßenecken oder Nachbarschaften gibt, um die man kämpfen muss, ist die Online-Welt für Internet-kundige Gang-Kids so wertvoll wie Straßenblocks in der wirklichen Welt. Die Gangs haben ihre kleinen Ecken im Internet in eine Art endlose elektronische Schwade von Freeway-Brücken transformiert, die darauf warten, von der elektronischen Version der gesprühten Ganggraffiti bespritzt zu werden.

"Wir nehmen eure Nachbarschaft ein, und ihr könnt nichts dagegen machen", droht die Nachricht eines Sureno auf der Land of the Nortenos-Seite.

Denken diese Schwachköpfe wirklich, sie wären hart mit diesen Schreckschussknarren. Sollen wir davor etwa Angst haben?

Manchmal eskalieren Bandenmitglieder den Konflikt durch gegenseitige Hackertätigkeiten. Eines der Opfer war ein "Sureno" mit dem Spitznahmen "Mz. Smiley.": "Meine Seite macht Pause, weil einige Hasser sie angehackt haben", ist das einzige, was man auf ihrer Homepage sieht.

Doch in dem Reich, in dem noch nie echtes Blut geflossen ist, zeigen die Websites der Gangs auch andere Seiten des Straßenlebens, die oftmals durch harte kriminalistische Zeitungsberichte und Gangster Rap verdeckt werden. Hier schreiben junge Künstler Gedichte über den Schmerz der ersten Liebe, Hymnen an klassische alte Chevrolets und Pit Bulls, und widmen Liebespaaren ganze Seiten.

Die Gangsites sind das Resultat des Zusammenbruchs der digitalen Trennung. Bereits 50 % aller amerikanischen Haushalte haben Computer. Für Teenager ist der Internet-Zugang noch leichter, durch die stetig wachsende Zahl von Computern in Schulen, Büchereien und Arbeitsplätzen. Das Internet ist für junge Bandenmitglieder ein natürlicher Teil des Lebens geworden, ebenso wie es das Fernsehen, Autos und Beeper für frühere Generationen war. Bis jetzt sind die Online -Aktivitäten der Banden völlig legal. Es ist nicht ungesetzlich, einer Gang anzugehören, ebenso wie es nicht verboten ist, darüber im Internet zu diskutieren.

Doch die starke Anzahl von Gang Sites hat die Polizei alarmiert. Die Drug Enforcement Agency stellt eine Abteilung zusammen, die sich mit der Online-Aktivität der Banden beschäftigt.

Sie testen gerade das neue Terrain, doch es ist unausweichlich, dass die Gangs mit dem Drogenhandel via Internet beginnen werden,

meint Polizeidetektiv Zeglin. Diese Entwicklung ginge Hand in Hand mit einer bereits stattfindenden Verlagerung ihrer kriminellen Tätigkeiten vom Drogenhandel an der Straßenecke zum Kreditkartenbetrug und Fälschung von Identitäten. Hinzu kommt eine smarte Veränderung des Dresscodes. Während Millionen von Teenagern in der ganzen Welt versuchen, durch sackartige, in der Mitte der Arschspalte hängende Jeans und riesige Tattoos die von der Hip Hop-Generation übernommene "Mode" der Straßengangs nachzuahmen, um cool zu sein, verwandeln sich die wirklichen Gangmitglieder äußerlich mehr und mehr in normale Bürger.

Alle halten sich zurück. Viele homies tragen normale Klamotten. Sackhosen sind out. Mann, das war wie ein rotes Tuch für die Bullen,

meint Gabriel Vasquez, ein Ex-Mitglied der Blythe Street, einer Gang aus Panorama City.

Die organisiertesten kriminellen Gruppen betreiben bereits einen Teil ihres Geschäfts im Internet. Barry Glick, ein Psychologe des Justizministeriums, meint zwar nicht, dass die Gangs Drogen direkt über das Internet verkaufen, "jedoch haben sie Drogen-Vertriebssysteme installiert, und benutzen dafür das Internet und die Chatrooms".

Die Vertreter des Gesetzes haben für diese Aktivitäten keine wirklichen Beweise, da die Methoden der Gangs schwer zu entschlüsseln sind. Sie können harmlose Schlagworte benutzen, um illegale Waren anzudeuten und Botschaften kodieren, indem sie allen Computern zugängliche Programme benutzen. Experten sind sich sicher, dass sie "die gleichen Sicherheitsfunktionen anwenden, um Zugang zu einem Online Bankkonto zu bekommen".

Obwohl es wegen der Online-Aktivitäten noch kein Blutvergießen gegeben hat, haben die Gang Sites einige unerwartete Konflikte geschaffen, die auch die große Geschäftswelt Amerikas betreffen. Gangmitglieder etablieren ihre Webseiten auf Seiten von Firmen wie Angelfire, Homestead und Express Page, die kostenlosen Webspace anbieten und durch Werbeanzeigen Geld machen. Durch diese Arrangements sind einige Blue-Chips Firmen zu unfreiwilligen Sponsoren von Gang Sites wie Crips.com, Sacramento Allmighty Latin Kings Nation und anderen geworden. Microsoft, Dell Computer und Best Buy fanden ihre Werbeanzeigen in Gang Sites wieder, zusammen mit merkwürdigen Firmen wie ModernBride.com und Silicon Investor.

Network Solutions, eine Firma, die die Namensgebung im Internet regelt, war so erbost über das Erscheinen ihrer Werbeanzeigen in der Internetseite eines Bandenmitglieds, dass sie diese Homepage auflöste.

Im Großen und Ganzen stellen die Gang Sites im Netz immer noch eine obskure Ecke dar. Die berüchtigtsten Namen der Bandenwelt sind bereits von einem Vater zweier Söhne im ländlichen Cassville, Montana, gepachtet. Dirk Lemmons ist in keiner Bande, doch seine Palette von Webseiten umfasst nicht nur einige Gangseiten wie Crips.com, Bloods.com, und Surenos.com, sondern auch Russian-Mafia.com, Mexicanmafia.com und Italian-Mafia.com..www.italian.mafia.com.

Lemmons (43), hat einen Teil seines Lebens in einer verarmten Gegend von St. Louis, Ohio, verbracht. Bewaffnet arbeitete er als Manager von Appartmenthäusern in der kriminellsten Drogengegend. Überall sah er

fähige, intelligente Jugendliche, die von der Gesellschaft als wertlos stigmatisiert worden waren. Ich dachte, dass Kids in diesem Alter noch die Chance haben, ihr Leben zu verändern.

1998 begann er mit der Etablierung einiger Webseiten, die gefährdete Jugendliche davon abhalten sollen, Mitglied einer Gang zu werden. Ein Teil seiner Strategie war die Sicherung der berüchtigtsten Gangnahmen im Netz, damit sie nicht in die falschen Hände fallen würden. "Alles, was wir von Euch wollen, ist, dass ihr diese Webseite benutzt, damit Ihr Euch von der Gewalt fernhaltet" heißt es in einer Botschaft auf der Crips.com Homepage. Nachdem die Besucher angebissen haben, führt die Seite sie zu einer "Realitäts-Check" Abteilung voller grausamer Photos von ermordeten Bandenmitgliedern und Zeitungsartikeln über Opfer der Bandengewalt.

Das Internet hat bereits Anthony, dem Webmaster der Nortenos Gang aus Sacramento geholfen, sich von der Straße fernzuhalten. Er widmet mindestens vier Stunden täglich der Sac Town Gangsta-Seite, und hat nicht mehr so viel Zeit, um mit seinen Freunden rumzuhängen. Er denkt sogar an eine richtige Karriere als Computergrafiker. Doch von einem Job im naheliegenden Silicon Valley trennen ihn Welten. Die Nachrichten der 700 Besucher seiner Webseite zeigen die Unterschiede zwischen Anthony's Ecke im Cyberspace und Millionen anderer Internetseiten. "Einige Leute schicken mir Liebesbriefe," meint er, "und mache Leute sagen, dass sie mich töten wollen."