Neue Lobby-Gruppe für deutsche Universitäten
Mit der Initiative "German U15" wollen namhafte Hochschulen ihre strategischen Interessen gemeinsam vertreten
Man sollte meinen, das deutsche Bildungssystem hätte im Moment grundlegende Probleme zu bewältigen: die schon obligatorische soziale Exklusion, die prekären Beschäftigungsverhältnisse vieler Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter unterhalb der Professorenebene, dazu Numerus clausus und absurde Wartezeiten, die im Fall des Studiengangs "Soziale Arbeit" an der Hochschule München schon einmal 52 Semester betragen können. Oder etwa den massiven Anstieg der Studienanfänger, für die – vom Wohnraum bis zur Unterrichtsbetreuung – viel zu geringe Kapazitäten geschaffen wurden.
Doch im erlauchten Kreis der "großen forschungsorientierten und medizinführenden Universitäten" spielt die Tagesaktualität nur eine untergeordnete Rolle. Hier geht es um die Zukunft und die eigene Rolle in einem seltsamen Verteilungskampf.
Studentenzahlen in "gefährlicher Größe"
Wer die Themen- und Aktionsfelder des neuen Zusammenschlusses analysiert, an dem sich die Freie Universität Berlin, die Humboldt-Universität Berlin, die Universitäten Bonn, Frankfurt, Freiburg, Göttingen, Hamburg, Heidelberg, Köln, Leipzig und Mainz, die Ludwig-Maximilians-Universität München und die Universitäten Münster, Tübingen und Würzburg beteiligen, wird allerdings auch mit der steigenden Zahl an Nachwuchs-Akademikern konfrontiert, die lange Zeit als möglicher Beweis einer erfolgreichen Bildungspolitik galt.
Je mehr junge Menschen eine Hochschulzugangsberechtigung erwerben und nutzen, desto besser für den Arbeitsmarkt, die Überwindung sozialer Schranken und die internationale Konkurrenzfähigkeit – so lautete die These eines beträchtlichen Teils der Reformstrategen. Doch die Gruppe "German U15", für die es effektive Vorbilder in Kanada, Großbritannien oder Frankreich gibt, sieht das ein wenig anders, denn der sogenannte "Studierendenaufwuchs" stört die eigentliche Aufgabe der Bildungsinstitute.
Die U15-Universitäten "ringen" mit der Zahl der Studienanfänger, die eine "für die Forschungsuniversitäten gefährliche Größe" erreicht haben soll. Das zielt augenscheinlich nicht auf die Durchführung von Lehrveranstaltungen in Containern und Kinosälen oder die Unterbringung von Studierenden in Zeltlagern und Altenheimen. Die Größe gefährdet den Auftrag, den sich die angeschlossenen Universitäten erteilt haben.
Die U15 sind Forschungsuniversitäten, sie leisten forschungsgeleitete Lehre auf internationalem Niveau.
"German U15"
Wer da nicht mitziehen kann, hält offenbar den gesamten Betrieb auf. Und zur aussichtsreichen Positionierung im wissenschaftlichen Wettbewerb trägt sie oder er ohnehin nichts bei.
Konkurrenzkampf
Dabei ist "German U15" ohnehin schon spät dran. Denn "TU9", einen Interessenverband der neun "führenden" Technischen Universitäten gibt es bereits seit 2006. Hier haben sich die RWTH Aachen, die Technischen Universitäten aus Berlin, Braunschweig, Darmstadt, Dresden, München, die Leibniz Universität Hannover, das Karlsruher Institut für Technologie und die Universität Stuttgart zusammengetan, um gemeinsame Anliegen zu vertreten und sich beispielsweise von den deutschen Fachhochschulen abzusetzen, für die Forschung eben nur eine "Sekundäraufgabe" sei.
"TU9" geht es nicht allein darum, Themen in der deutschen Bildungslandschaft zu platzieren. Die "Allianz" präsentiert sich oder ausgewählte Studierende der teilnehmenden Universitäten in den USA und Russland, Rumänien, Tschechien, Kroatien und Griechenland, Hongkong oder Thailand und prägt damit wesentlich die Wahrnehmung dieses Teils der deutschen Bildungspolitik. Aus dem "TU9"-Blickwinkel scheint die technische Universitätsausbildung in Deutschland geradezu halbiert.
In Deutschland stammen rd. 50 Prozent der Universitäts-Absolventen in den Ingenieurwissenschaften von den TU9-Universitäten, rd. 57 Prozent der Promotionen in den Ingenieurwissenschaften werden an den TU9-Universitäten durchgeführt.
"Fußnote" bei "TU9"-Pressemeldungen
Dass diese 50 Prozent die wichtigeren oder gar besseren sind, behauptet "TU9" selbstredend nicht. Doch ist die Konkurrenz annähernd so global aufgestellt oder auch nur in der Lage, über die viel zitierten Leitmedien eine "Liebeserklärung an den deutschen Dipl.-Ing." zu senden?
Für "German U15" gibt es andere Themen, aber das Ausschlussverfahren ist ähnlich. Universitäten, die keine medizinische Vollfakultät aufbieten können, müssen leider draußen bleiben – und wer im Rahmen der Exzellenzinitiative überhaupt keine Punkte sammeln konnte, darf ebenfalls nicht mitmachen.
Das Versprechen, die Rolle der Hochschulrektorenkonferenz als "Stimme der Hochschulen" zu stärken, wirkt unter diesen Umständen reichlich kurios.
Michael Hartmann, Professor für Elite- und Organisationssoziologie an der "TU9"-Universität Darmstadt sieht in dem jüngsten Zusammenschluss deshalb "eine kleine Gruppe von besonders durchsetzungsfähigen Universitäten". Ihr Ziel scheint klar umrissen. Sie will bei der Verteilung der knappen, nach dem Auslaufen der Exzellenzinitiative im Jahr 2017 möglicherweise auch wieder knapper werdenden Hochschulmittel "möglichst viel für sich herausholen", so Hartmann.
Für einige geht es aber auch darum, überhaupt noch im Konzert der Großen mitzuspielen. Für die Universitäten Freiburg, Göttingen oder Mainz, die im Sommer aus dem Kreis der "Elite-Universitäten" verbannt oder gar nicht erst zugelassen wurden, bedeutet "German U15" immerhin eine bescheidene Teilhabe am Glanz der Exzellenten. Ähnliches gilt für das Karlsruher Institut für Technologie, das der überraschenden Degradierung durch die Exzellenzinitiative immerhin die langjährige "TU9"-Mitgliedschaft entgegenhalten kann.
Die U15 versammelt in erster Linie jene (…) Unis, die in den Verteilungskämpfen der vergangenen Jahre an Stärke gewonnen haben und diese behaupten wollen. (…) So wie sich die TU9 gegen die übrigen technischen Unis abgrenzt, wird sich auch die U15 gegen die anderen Universitäten in Stellung bringen. Mit TU9 und U15 werden die Kräfte gegen den großen Rest weiter gebündelt.
Michael Hartmann
Hochschulen als Unternehmen
Wie sich "German U15" zu den vielen umstrittenen Eckpunkten der jüngsten Reformbestrebungen verhält, wird sich in den kommenden Monaten und Jahren zeigen. Klar ist aber schon jetzt, dass die Kritiker der Bologna-Reform oder die Gegner des Konzepts einer unternehmerischen Hochschule hier keine Rückendeckung finden. Im Gegenteil.
Die Initiative setzt nicht in erster Linie auf staatliche Mittel, um dem wissenschaftlichen Nachwuchs, dauerhaft und nachhaltig Raum zur Entfaltung eigener Lehr- und Forschungsmethoden zu geben. Stattdessen plädiert man für die "Einführung eines Drittmittelkarriereprogramms", das den Einfluss externer Förderer mutmaßlich deutlich erhöhen würde. Außerdem bekennt sich "U15" zum nationalen und internationalen Wettbewerb, dessen Ergebnisse durch die zuletzt immer stärker in die Kritik geratenen Hochschulratings) veranschaulicht werden sollen.
Schließlich plädiert "U15" für die Beibehaltung der Hochschulräte, über die Wirtschaftsvertreter vielerorts Einfluss auf hochschulpolitische Entscheidungen und die strategische Ausrichtung gewinnen können. "Schon aufgrund unserer Größe" (die anders als die der Studierendenzahl offenbar nicht gefährlich ist) benötige man "ein stabiles und professionelles Management".
Jetzt die Entwicklungen der letzten zehn Jahre zurückzuführen und zum Beispiel den Hochschulrat in Frage zu stellen, zielt in die falsche Richtung.
"German U15"
"Dieser Zusammenschluss stärkt die Stimme der Wissenschaft international", meinte Annette Schavan mit Blick auf das neue Hochschulbündnis. Diese Einschätzung ist umso bemerkenswerter, als die Bundesbildungsministerin gerade erst dafür plädiert hatte, den Staat nicht aus der gestalterischen Verantwortung für eine moderne Bildungspolitik zu entlassen. Das war allerdings in Santiago de Chile.
Bildung ist ein öffentliches Gut. Das regelt nicht der Markt, sondern es ist unsere politische Verantwortung, dass junge Menschen gute Chancen bekommen.
Annette Schavan, 2. Oktober 2012
"Bewusste Forcierung einer Zweiklassengesellschaft"
Die Studierenden als die unmittelbar und langfristig Betroffenen wurden von der Gründung der neuen Lobby-Gruppe hier und da ebenso überrascht wie Teile der interessierten Öffentlichkeit. Die Studierendenvertretung der Julius-Maximilians-Universität Würzburg nahm die Entscheidung zum Beitritt ihrer Hochschule denn auch "mit Verwunderung" zur Kenntnis. Der Beschluss der Universitätsleitung sei ohne Rücksprache mit Senat und Hochschulrat erfolgt.
Sicher nicht ohne Grund, denn die Studierendenvertreter hätten die Mitgliedschaft bei "German U15" aller Voraussicht nach als "bewusste Forcierung einer Zweiklassengesellschaft" abgelehnt. Sie stören sich vor allem an der einseitigen Konzentration auf forschungsstarke Universitäten und befürchten, dass die Lehre immer mehr in den Hintergrund gedrängt wird.
Auch wenn die Forderungen der fünfzehn Universitäten an die deutsche Politiklandschaft vermeintlich positiven Inhalts sind, so steht hinter jeder Forderung nach staatlicher Finanzierung in erster Linie der Forschungssektor. Das humboldtsche Bildungsideal darf nicht zur Akquise von Forschungsgeldern, die in keinster Weise der Lehre dienlich sind, missbraucht werden.
Studierendenvertretung der Universität Würzburg
Die Sorge der Würzburger wird nachvollziehbar, wenn man sich beispielsweise vor Augen hält, wie die Universität Freiburg im Juni auf den Verlust des Elite-Status im Rahmen der Exzellenzinitiative reagierte. "Freiburg bleibt eine exzellente Forschungsuniversität", stand über der entsprechenden Meldung – erst gegen Ende wurde darauf hingewiesen, dass man immerhin auch beim Bundeswettbewerb "Exzellenz in der Lehre", beim "Qualitätspakt Lehre" und beim Projekt "Aufstieg durch Bildung: offene Hochschulen" ausgezeichnet worden sei. Im Parallel-Statement der Universität Göttingen ist ebenfalls sehr oft von Forschung, aber nur an einer Stelle von der universitären Lehre die Rede.
Die Zweiklassengesellschaft im deutschen Hochschulsystem muss sich also keineswegs nur geographisch abbilden. Denkbar wäre auch oder darüber hinaus die Spaltung in Hochschulen, die ausschließlich für Lehr- oder Forschungsaufgaben zuständig sind. Eine solche Entwicklung wird offiziell nicht angestrebt, zeichnet sich aber schon seit Jahren ab – auch in Universitätsgeschichten, die den Titel "Mythos Humboldt" tragen.
Diejenigen Institutionen, die als reine Forschungsuniversitäten übrigbleiben, werden gerade wegen ihrer hohen Konzentration von Fachwissen und Gerätschaften in der Erhaltung sehr teuer sein; das wird man aber gerne in Kauf nehmen, denn an diesen Institutionen werden weiterhin die führenden Köpfe einer neuen Wirtschaft gebildet und ausgebildet werden.
Daniel Fallon: Eine Interpretation von Humboldt für das 21. Jahrhundert, aus: Mitchell G. Ash (Hg.): Mythos Humboldt: Vergangenheit und Zukunft der deutschen Universitäten