Widerstand gegen Hochschulrankings wächst

Immer mehr Wissenschaftler boykottieren die gängigen Hochschul-Vergleiche. Die Universität Hamburg steigt gleich ganz aus dem CHE-Ranking aus

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Es soll das "umfassendste und detaillierteste Ranking deutschsprachiger Universitäten, Fachhochschulen und Berufsakademien" sein, doch der vermeintlichen Leistungsschau von rund 400 deutschen Hochschulen könnte bald die Datenbasis verloren gehen. Im August kündigten die Universität Leipzig sowie die soziologische Institute und Arbeitsbereiche an den bayerischen staatlichen Universitäten dem sogenannten CHE-Hochschulranking die Zusammenarbeit auf. In der vergangenen Woche folgte die Universität Hamburg.

Die Aussteiger

Nehmt nicht an der online Umfrage des CHE teil. Spart euch also die Zeit. Kommt dafür lieber zum nächsten Kneipenabend des FSR ;-)

FSR Sport - Universität Leipzig

In Leipzig hat das Ranking des Bertelsmann nahen Centrums für Hochschulentwicklung (CHE) seit geraumer Zeit einen schweren Stand. Bis in den Fachschaftsrat Sport wurde über das Ende einer Zusammenarbeit diskutiert - nicht nur wegen "fraglicher Methoden" und "mangelnder Aussagekraft", sondern auch unter der Fragestellung, inwieweit durch den ständigen Vergleich "ein Konformitäts- und Anpassungsdruck auf alle Hochschulen" ausgeübt werde - und der "undemokratische Einfluss eines Privatunternehmens" spielte ebenfalls eine wichtige Rolle.

Der am 19. September veröffentlichte Grundsatzbeschluss des Präsidiums der Universität Hamburg geht weniger ins Detail als ins Grundsätzliche. Denn die Hochschule will in Zukunft nicht nur die Anfragen des CHE unbeantwortet lassen, sondern generell nicht mehr an Aktionen teilnehmen, "die geeignet sind, deutsche und internationale Universitäten gegeneinander auszuspielen". Das gilt dann wohl auch für das Shanghai-Ranking.

Der Wissensdurst der Ranking-Experten beeinträchtige mittlerweile die Arbeit von Verwaltung und Wissenschaft "erheblich" und verursache überdies "wachsende Kostenaufwendungen" für Recherche und Aufbereitung. Daneben beklagen die Hamburger "erhebliche methodische Mängel" und befürchten negative Auswirkungen auf das Ansehen der eigenen Universität. Schließlich hätten Rankings und Umfragen trotz ihrer zweifelhaften Rufs …

… gleichwohl Auswirkungen auf die Bewertung der Qualität und Leistungsfähigkeit der Universität und damit auf das Bewerbungsverhalten von Studierenden, auf die Zuwendungsbereitschaft von Staat und Drittmittelgebern.

Präsidium der Universität Hamburg, 19. September 2012

Schon seit Jahren kündigen Hochschulen oder einzelne Fachbereiche dem CHE die Zusammenarbeit auf (Umstrittene Rankings, verpatzte Bologna-Reform). Dass der Streit im Sommer 2012 besonders hohe Wellen schlägt, hängt mit der Deutschen Gesellschaft für Soziologie (DGS) zusammen.

Die Konstruktion von Differenz

Ausgangspunkt der erneuerten und vertieften Kritik war eine Stellungnahme der DGS, die im Juni dieses Jahres veröffentlicht wurde. Dem CHE-Ranking wurden darin "gravierende methodische Schwächen und empirische Lücken" attestiert. Kein neuer Vorwurf, aber die Soziologen beanspruchten "eine besondere Kompetenz bei der Beurteilung aller Arten von empirischer Sozialforschung", dem die Ranking-Befürworter bis dato wenig Überzeugendes entgegenzusetzen hatten.

Die fundierte Auseinandersetzung mit mal zweifelhaften, mal unvollständigen Lehr- und Forschungsindikatoren ergänzten die Soziologen um eine Analyse der Bewertungspraxis und Publikationsformate, zu denen auch der ""ZEIT Studienführer" gehört, kamen dann aber zu dem Schluss, dass der fehlende Informationswert nicht einmal das entscheidende Manko darstelle.

In der hochschulpolitischen Realität aber lädt das CHE-Ranking Fakultäts- und Hochschulleitungen sowie Ministerialbürokratien zu extrem simplifizierenden Lesarten ein, ja fordert diese geradezu heraus. Auf deren Basis können dann gegebenenfalls folgenschwere, jedoch sachlich im Zweifel unbegründete Strukturentscheidungen zur Soziologie als wissenschaftlicher Disziplin und zu ihren Studiengängen an einzelnen Standorten getroffen werden.

Stellungnahme der Deutschen Gesellschaft für Soziologie

In einem Gespräch mit CHE-Verantwortlichen sei man mit dem Versuch gescheitert, potenzielle Nachwuchsakademiker innerhalb des Ranking über Studienmöglichkeiten zu informieren, ohne sich der "vorgegebenen Bewertungs- und Reihungspflicht" anschließen zu müssen.

Für die DGS ist damit hinlänglich deutlich geworden, dass das CHE die Politisierung seines Hochschulrankings zumindest billigend in Kauf nimmt. Während die Urheber des Rankings behaupten, mit diesem bloß existierende Qualitätsunterschiede zwischen den universitären Standorten der Soziologie abzubilden, spricht nach Ansicht der Deutschen Gesellschaft für Soziologie viel dafür, dass das CHE-Ranking maßgeblich zur Konstruktion von "Differenz" und damit zur Spaltung der Hochschullandschaft im Fach Soziologie beiträgt. Im schlimmsten Fall wirkt das Ranking damit langfristig im Sinne einer "self-fulfilling prophecy".

Stellungnahme der Deutschen Gesellschaft für Soziologie

Mit der Empfehlung an alle Mitglieder, sich nicht mehr am CHE-Ranking zu beteiligen, folgt die DGS dem Verband der Historiker und Historikerinnen Deutschlands e.V., der bereits vor drei Jahren ausscherte und seitdem keine entscheidende Verbesserung erkannt hat.

Dem aktuellen Boykottaufruf folgen bis dato Historische Institute und Seminare der Universitäten Münster, Greifswald, Siegen, Wuppertal, Trier, Marburg, Stuttgart, Düsseldorf, Tübingen, Koblenz-Landau, Köln, Mannheim und Augsburg, der Technischen Universitäten Chemnitz, Dresden, Braunschweig und Darmstadt sowie der Pädagogischen Hochschule Freiburg. Am 17. September zog der Vorstand der Gesellschaft Deutscher Chemiker nach.

Wissenschaftler schreiben keine Bücher mehr

Das Ranking des Centrums für Hochschulentwicklung ist - wie der Präsidiumsbeschluss aus Hamburg andeutet - nicht das einzige, das massiv in der Kritik steht und künftig kaum mehr auf die vollzählige Unterstützung von Hochschulen und Wissenschaftlern rechnen kann.

Anfang September veröffentlichten Professoren der Betriebswirtschaftslehre einen offenen Brief an das Handelsblatt, der mittlerweile 339 Unterstützer gefunden hat. Sie wollen künftig nicht mehr im BWL-Ranking der Zeitung geführt werden. Auch in diesem Fall erhebt die Protestnote Vorwürfe gegen die "Eindimensionalität der Leistungsmessung", "Methodische Mängel" und mangelnde "Neutralität gegenüber Fachgebieten". Vor allem beklagen die Betriebswirtschaftler "falsche Anreizwirkungen" für Wissenschaft und Gesellschaft.

Rankings beeinflussen das Verhalten von WissenschaftlerInnen in einer Weise, die der Wissenschaft schadet. Sie veranlassen WissenschaftlerInnen, nicht mehr das zu erforschen, was sie interessiert und was für den Fortschritt der Wissenschaft wichtig ist, sondern das, was Ranking-Punkte bringt. Die Innovativität der Wissenschaft nimmt ab: Ein System, in dem sich alle an den gleichen Kriterien orientieren, verliert seine Innovationsfähigkeit. So schreiben viele WissenschaftlerInnen keine Bücher mehr, denn diese gehen nicht in die Bewertung ein. Sie verfolgen keine riskanten Projekte mehr, sondern variieren in einem hohen Maße das Bewährte. Auch versuchen sie, aus ihren Forschungsprojekten so viele Aufsätze wie möglich zu pressen, indem sie bspw. identische oder fast identische Textpassagen in mehreren Aufsätzen verwenden.

"Warum wir aus dem Handelsblatt BWL-Ranking ausgestiegen sind", 7. September 2012

Ob diese Feststellungen mehr über die mangelnde Qualität von Hochschul-Rankings oder über die charakterliche Disposition, fachliche Qualität und Arbeitsweise der so beschriebenen WissenschaftlerInnen verraten, sei einmal dahingestellt …

Die Replik der Zeitung gibt allerdings ebenso viel Anlass zum Nachdenken. Die Auswirkungen des Boykotts seien überschaubar, verriet das Handelsblatt Lesern und interessierten Akademikern.

Nur 23 der 339 Verweigerer wären in den Personenranglisten genannt worden, die anderen haben nicht genug relevante Publikationen.

"Deutschland sucht den Super-Prof" - Handelsblatt, 10. September 2012

Was relevant ist, bestimmen eben die Macher des Ranking.

Drei Millionen Besuche können sich nicht irren

Das CHE gerät zunehmend in Erklärungsnot. Auf die Stellungnahme der DGS reagierte man mit einem zehnseitigen Statement und dem Hinweis auf ein erfreulich oft frequentiertes Online-Portal.

Drei Millionen Besuche jährlich auf das kostenlose Onlineangebot zum Hochschulranking sprechen dafür, dass die sorgfältig erhobenen Informationen gebraucht werden.

Frank Ziegele, Geschäftsführer des CHE

Das Argument verfing offensichtlich nicht, und so sah sich der Geschäftsführer genötigt, nach dem Absprung der Uni Hamburg auf einer Mythos der 1980er Jahre zu verweisen, demzufolge alle Unis gleich gewesen sein sollen. Wo Ziegele diesen Mythos gefunden haben will, blieb rätselhaft, und so beklagte der CHE-Vertreter überdies die Verweigerung des öffentlichen Anspruchs auf Transparenz, der mit der Daten-Blockade der Hamburger Universität einhergehe.

Dass sich dieser Vorwurf aufrechterhalten lässt, ist allerdings zweifelhaft. Der Präsidiumsbeschluss nimmt Anfragen aus dem Parlament und solche, bei denen die Universität ein "anerkanntes öffentliches Interesse" feststellt, ausdrücklich von Boykottmaßnahmen aus und schließt eine Rückkehr - bei grundlegenden methodischen Verbesserungen - nicht kategorisch aus.

Rating statt Ranking?

Der Streit um die Rankings wird Studierende, Wissenschaftler und Hochschulen noch einige Zeit beschäftigen. Schließlich kommen selbst Schlichtungsangebote - wie das des Siegeners Rektors Holger Burckhart - nicht ohne Polemik aus: "Wenn man den Studierenden Entscheidungshilfen bei der Studienortwahl geben will, ist ihnen nicht mit Evaluationsberichten von 100 Seiten gedient."

Worin der von Burckhart geforderte Kompromiss zwischen "eingängiger Information" und den "ihr zugrunde liegenden Daten und Methodiken" bestehen könnte, ist bislang unklar - dass die Leistungen von Hochschulen evaluiert und transparent dargestellt werden sollten, aber durchaus im Sinne aller Beteiligten.

Bis Anfang 2013 will der Wissenschaftsrat entscheiden, ob sein Pilotprojekt "Forschungsrating" eine Zukunft hat. Die Ergebnisse dieses qualitativen Vergleichs sollen nicht in Form einer Bundesliga-Tabelle präsentiert und detailliert auf Institute und Fachbereiche zugeschnitten werden. Unumstritten wird auch dieses Verfahren nicht sein. Der Verband der Historiker und Historikerinnen Deutschlands verweigerte 2009 bereits die Teilnahme an der Pilotstudie.