Neue RBB-Chefin: Wie Ulrike Demmer den Diskurs über eine Diskursverengung verengt

Wahl von Ex-Regierungssprecherin zur Intendantin des Rundfunks Berlin-Brandenburg geriet zum Fiasko. Das liegt an ihrer Erwerbsbiografie. Und an ihrer Haltung zur Debattenkultur.

Die Wahl der ehemaligen stellvertretenden Regierungssprecherin Ulrike Demmer zur Intendantin des Rundfunks Berlin-Brandenburg (RBB) war von Makeln überschattet, der in der begleitenden Berichterstattung zu wenig und vor allem zu wenig kritisch wahrgenommen wurde: Demmer hat von Juni 2016 bis Dezember 2021 die Politik der damaligen Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) gegenüber der Presse vertreten.

Dass sie nun wiederum den öffentlich-rechtlichen RBB gegenüber der amtierenden Regierung vertreten soll, wirft Fragen auf, die der Fachautor Sebastian Köhler auf Telepolis gestellt hat. Hier soll es um einen weiteren Aspekt gehen: Demmers Haltung zur Debattenkultur, zu öffentlich-rechtlichen Medien und deren Selbstkritik.

ARD und ZDF können es sich nicht leisten, auch nur an irgendeiner Stelle mit den Regierungsapparaten verwechselt zu werden. Die Unterscheidung zwischen Staatsfunk und öffentlich-rechtlichem Fernsehen mag beckmesserisch klingen, doch sie ist existenziell.

Georg Löwisch, von 2015-2020 Chefredakteur taz, auf Zeit-Online

Vor ihrer Zeit als Politikvertreterin war Demmer u.a. im Marketing des RBB und als Journalistin bei ZDF, Focus und Spiegel tätig. Ihre Zeit im Bundespresseamt bezeichnete sie mehrfach als Bereicherung für ihr Politikverständnis. Entsprechend gibt es auch lobende Stimmen zu Demmers Wahl.

Wie Demmer den nach der Affäre Schlesinger in der öffentlichen Wahrnehmung beschädigten RBB künftig aufstellen will, wurde bisher in der Öffentlichkeit wenig verhandelt. Da spielten weiterhin reale und mögliche Gehälter eine zentrale Rolle. Für Demmer wird ein Gehalt zwischen 180.000 bis 230.000 Euro pro Jahr vermutet.

Patricia Schlesinger hatte 303.000 Euro erhalten. Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) hatte eine Orientierung an einer von den zuständigen Rechnungshöfen vorgeschlagenen Obergrenze erbeten und sich dafür den Vorwurf unbotmäßiger Einmischung eingehandelt.

Dabei gibt es auch genügend Baustellen beim Programm öffentlich-rechtlicher Sender. So wird immer wieder mangelnde Vielfalt bemängelt und auch in wissenschaftlichen Studien belegt (siehe zur Besetzung von Talkshows hier Seite 43, zu den Reportageformaten von "Funk" hier).

Just um die Meinungs- und Perspektivenvielfalt ging es kurz vor Demmers Wahl bei einer von ihr moderierten Veranstaltung der Brost-Stiftung in Essen. Unter dem Titel "Das wird man wohl noch sagen dürfen!?" diskutierten Kabarettist Dieter Nuhr und Verfassungsrichter Peter Müller (CDU), ehemals Ministerpräsident des Saarlands (Audiomitschnitt).

Die Wahrnehmung der beiden Gäste, der Meinungskorridor sei in den öffentlichen Debatten stark eingeschränkt, teilte Ulrike Demmer nicht. "Wann haben Sie das letzte Mal das Gefühl gehabt, Sie dürften nicht mehr sagen, was Sie denken?", fragte Demmer Dieter Nuhr zum Einstieg.

Der zeigt sich verwundert, denn er habe noch nie etwas Entsprechendes behauptet, schließlich habe er unter anderem mit seiner eigenen Sendung in der ARD eine Machtposition. Es werde ihm nur oft unterstellt. "Reden wir nicht von mir", bat Nuhr mehrfach.

Denn ganz anders ergehe es jungen Kollegen. Wer heute mit 25 Jahren eine Kabarett-Karriere starten wolle, bekäme mit dem, was Nuhr gemacht hat, keinen Fuß auf den Boden. Und auch ihm selbst blieben wohl, wenn er wieder eine Kabarett-Tour plante, die meisten Theatertüren verschlossen.

Es gebe eine Einheitsmeinung im Kabarett, die nicht überschritten werde. Allerdings versteht Nuhr sich als Komiker und bespielt größtenteils große Hallen.

Auch Peter Müller hatte zum Einstieg eine Diskursverengung kritisiert.

Nicht jeder, der mit der ein oder anderen Maßnahme in der Corona-Zeit nicht einverstanden war, ist ein Corona-Leugner. Nicht jeder, der über Ausländerkriminalität reden will, ist ein Ausländerfeind. Nicht jeder, der, wie ich, die Rechtsvergessenheit der EU kritisiert, ist ein Europa-Gegner. Aber die Leute werden typischerweise in diese Ecken gestellt und dann muss man sich mit ihren Argumenten nicht mehr auseinandersetzen, und das ist demokratiefeindlich.

Peter Müller bei der Brost-Stiftung

Müller und Nuhr waren sich in den meisten Punkten einig, ihr Gegenpart war Moderatorin Demmer. Anstatt sich mit Argumenten auseinanderzusetzen, so Nuhr und Müller sinngemäß, werde regelmäßig moralisiert, etikettiert und personalisiert. Moralische Argumente würden benutzt, "um Leuten den Mund zu verbieten, um Diskussionen direkt abzuwürgen". Nuhr habe einmal einen Kunstpreis in Bochum nicht bekommen "mit dem Argument, ich hätte einen Witz über Greta Thunberg gemacht".

Teilweise dürfen nicht einmal die Probleme benannt werden. Ich komme aus dieser linken Bewegung, ich bin damit sozialisiert worden. Ich habe irgendwann gemerkt, es gibt Dilemmata. Ich war zum Beispiel immer für Ausländer und ich war für Frauen. Was ist denn, wenn die Ausländer gegen Frauen sind? Was mache ich da? Aus diesen Dilemmata mache ich ja Humor. Das ist ein ganz wichtiger Punkt in meinem Humor: Anspruch und Wirklichkeit gegeneinander laufen zu lassen. Und das halten viele Menschen nicht aus, weil damit Probleme sichtbar werden, die nicht lösbar sind.

Dieter Nuhr bei der Brost-Stiftung

Nuhr verwies als Beispiel auf die Direktorin des Frankfurter Forschungszentrums Globaler Islam, Susanne Schröter. Seitdem sie versucht habe, über die Frage "Das islamische Kopftuch – Symbol der Würde oder der Unterdrückung?" zu diskutieren, habe sie "durchgehend damit zu kämpfen, dass ihr Leute die Professur wegnehmen wollen, nur weil sie diskutieren will".

Als ich mir erlaubt habe zu sagen, wir werden voraussichtlich die Pariser Klimaziele nicht erreichen – sagt außer mir [noch] so ziemlich die gesamte Klimawissenschaft – und wir werden deshalb nicht nur über die Frage nachzudenken haben, wie begrenzen wir den Klimawandel, sondern auch, wie passen wir uns an den unvermeidlichen Klimawandel, der stattfinden wird, an, habe ich eine Riesendebatte gekriegt, wie ein Verfassungsrichter dazu kommt, so etwas zu sagen, das stehe ihm nicht zu.

Peter Müller

In Frankreich hingegen, so Nuhr, werde gerade das Volk befragt, wie viel gegen den Klimawandel und wie viel für die Klimaanpassung getan werden solle. In Deutschland hingegen würden nicht einmal die Probleme benannt. Nur deshalb seien die Emotionen beim Thema Heizung jetzt so hochgekocht.

Der Auftritt von Bundesinnenministerin Nancy Faser mit "One Love"-Armbinde bei der Fußball-WM in Katar habe eine verheerende Außenwirkung für Deutschland gehabt, meinte Nuhr. Aber eine Debatte darum habe es in den Medien nicht gegeben – nicht, weil das jemand verordnet hätte, sondern wegen des Herdentriebs der Journalisten, bei denen einer vom anderen abschreibe.

"Das ist Ihre Meinung", entgegnete Demmer. Darauf Nuhr: "Ja, aber eine Meinung, die nicht gespiegelt wird." Er glaube, dass sehr viele seiner Meinungen von 60 Prozent der Bevölkerung geteilt werden, in den Medien würden sie aber nur von fünf Prozent gespiegelt. "Das ist das Bedenkliche, das ist die Differenz, über die wir reden müssen."

Peter Müller mahnte die dienende Funktion des öffentlich-rechtlichen Rundfunks an. "Intendantinnen und Intendanten sagen, der Rundfunkbeitrag ist Demokratieabgabe." Da sei dann die Notwendigkeit gegeben, sich mit besonderer Intensität darum zu bemühen, die Breite des Meinungsspektrums darzustellen. Einzelne Gegenbeispiele sehe er eher als Feigenblatt. Müller: "Da sehe ich unglaublich viel Luft nach oben."

Was ist der Unterschied zwischen demokratischen, autokratischen und diktatorischen Systemen? Der Unterschied ist ja nicht, dass in der Demokratie alles besser läuft. Der Unterschied ist, dass du in der Demokratie offen ansagen kannst, was schlecht läuft und man sich damit dann auch beschäftigt. Das Problem, das wir haben, ist, (…) dass man sich damit dann nicht beschäftigt.

Peter Müller

Fast zum Eklat kam es bei folgendem Wortwechsel.

Müller: Im ZDF gab's mal ein politisches Magazin, das hat ein Mensch namens Löwenthal moderiert.

Demmer: Heute gibt's Dieter Nuhr.

Nuhr: Eigentlich ein schönes Beispiel für so eine Etikettierung, die ich meine, die Debatte unterbindet. [...] Es ärgert mich natürlich so etwas, weil es mich genau in die Ecke setzt, in die ich mich selber überhaupt nicht gesetzt sehen will, weil ich bin nicht rechts. Ich glaube, dass ich in vielen Teilen meines Denkens sehr viel linker bin als mancher Grüne, wo sehr viel "Blut und Boden"-Kollektivismus auch eine Rolle spielt.

Demmer: Ich wollte Sie ausdrücklich nicht in die rechte Ecke stellen, sondern wollte sagen, es gibt ein großes Spektrum, – das bestimmt diverser sein kann, aber das soll hier heute nicht unser Thema sein. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk ist in der Tat wichtig für die Willensbildung und für die Debattenkultur. Aber ich würde sagen, an Debatten im öffentlich-rechtlichen Fernsehen mangelt es de facto nicht.

Nuhr: Das ist einer der Hauptpunkte, warum die Leute sich nicht mehr gehört fühlen.

Denn die Talkshows seien einseitig besetzt, viele Bürger sähen sich dort nicht vertreten.

Nuhr: Ein konservativer Talkmaster fällt mir gerade nicht ein im öffentlich-rechtlichen Rundfunk.

Heikles Wahlverfahren

Demmers Wahl zur künftigen RBB-Intendantin stand in keinem guten Licht. Eine "Findungskommission" hatte dem zuständigen Rundfunkrat aus 50 Bewerbungen vier zur Auswahl vorgeschlagen: neben Ulrike Demmer Heide Baumann (Medienmanagerin, zuletzt bei Vodafone), Juliane Leopold (Chefredakteurin ARD Digitales) und – nachgereichtJan Weyrauch (Programmdirektor Radio Bremen).

Noch vor der Wahl zogen Baumann und Weyrauch ihre Kandidaturen zurück, so dass der mit Vertretern aus Politik und Verbänden besetzte Rundfunkrat nur noch aus zwei Kandidatinnen wählen konnte.

Nach dem zweiten Wahlgang zog auch Baumann zurück. Trotzdem erreichte Ulrike Demmer als nunmehr Alleinkandidatin erst im vierten Wahlgang die notwendige Zweidrittelmehrheit mit 16 von 24 Stimmen.

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