Neue Ultimaten für Griechenland
Der Euro-Krisengipfel gibt Premier Tsipras bis Sonntag Zeit, neue Bedingungen für die "Rettung" zu erfüllen. Sie unterscheiden sich kaum vom letzten Spardiktat
Drama, Tragödie oder Farce? Finale Griechenland-Rettung - oder endgültiger Grexit? Zwei Tage nach ihrer Niederlage beim griechischen Referendum über die europäische Austeritätspolitik konnten sich die Euro-Chefs am Dienstag immer noch nicht entscheiden. Gleich zwei Brüsseler Krisenrunden - erst die Finanzminister, dann die Staats- und Regierungschefs der Eurozone - endeten mit neuen Ultimaten und weiteren Widersprüchen.
Zuerst die Ultimaten: Bis Donnerstag sollen Premier Alexis Tsipras und sein frisch gekürter Finanzminister Euklid Tsakalotos neue Vorschläge vorlegen, wie sie ihren Staat zu reformieren und die Sparvorgaben umzusetzen gedenken. Und bis Sonntag soll geklärt werden, ob die Pläne ausreichen und eine "Brückenfinanzierung" für Griechenland auf die Beine gestellt werden kann - oder nicht.
Das letzte Wort soll ein neuer Sonder-Gipfel am Sonntag haben. Daran sollen dann - hört, hört - alle 28 Staats- und Regierungschefs der EU, also auch Nicht-Euroländer wie Großbritannien, teilnehmen, um eine "endgültige Entscheidung" zu treffen. Der Grexit ist also immer noch drin, und dabei sollen auch notorische EU-Nörgler wie der britische Premier David Cameron ein Wörtchen mitreden.
Allerdings nahm Kanzlerin Angela Merkel das Wort "Grexit" in Brüssel nicht in den Mund. Man habe auch nicht über die Einführung einer Parallelwährung in Griechenland gesprochen, beteuerte sie auf ihrer Abschluss-Pressekonferenz. Sorgsam vermied es die Kanzlerin allerdings auch, für einen Verbleib des von der Pleite bedrohten Landes im Euro zu plädieren - wie es zuvor der französische Staatschef Francois Hollande getan hatte. " Was wollen wir?", fragte Hollande rhetorisch bei seiner Ankunft im Brüsseler Ratsgebäude. "Dass Griechenland in der Eurozone bleibt. Das ist das Ziel." Ähnlich äußerten sich die Regierungschefs aus Italien und Spanien. Demgegenüber machten Balten, Finnen und Niederländer aus ihrem Misstrauen gegen Tsipras kein Hehl.
Alle zusammen standen sie unter dem Eindruck dringender Appelle von US-Präsident Barack Obama und der Präsidentschaftskandidatin Hillary Clinton, das Rumgeiere endlich zu beenden und Griechenland in der westlichen Wertegemeinschaft zu halten. Clinton bezeichnete die Krise als "Tragödie". Die Europäer sollten nichts unversucht lassen, um eine Einigung zu erzielen. Obama hatte sowohl Merkel als auch Tsipras angerufen und zu Eile gedrängt.
Angesichts derartiger Pressionen von allen Seiten blieb die eigentlich geplante Aussprache über das Referendum und das für die EU verheerendes Ergebnis auf der Strecke. Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker wollte Tsipras zwar die - wohl sarkastisch gemeinte - Frage stellen, worüber die Griechen eigentlich abgestimmt hätten. Das Spardiktat könne es ja nicht gewesen sein, schließlich hatte die EU es gleich nach Bekanntgabe der Volksabstimmung zurückgezogen.
Mär vom stabilen, gegen den Griechen-Virus immunen Eurosystem
Doch ob und welche Antwort Tsipras gab, wurde nicht bekannt. Mehr als die Wünsche der Griechen interessierte die "Euroretter" an diesem Abend nämlich die Frage, wie lange das griechische Bankensystem noch über Wasser gehalten werden könne und ob sich negative Auswirkungen auf das Eurosystem vermeiden lassen würden. Die zunehmend hektischen Reaktionen an den Finanzmärkten weckten Sorgen, die Währungsunion können doch nicht so immun gegen die griechischen Turbulenzen sein, wie dies die Euro-Politiker seit Beginn der Krise behauptet hatten.
Ursprünglich war die Mär vom stabilen, gegen den Griechen-Virus immunen Eurosystem gestreut worden, um Athen unter Druck zu setzen und von einem Hilfsantrag beim Euro-Rettungsschirm ESM abzuhalten. Laut ESM-Vertrag darf der Luxemburger Fonds nämlich nur dann angezapft werden, wenn eine akute Gefahr für die gesamte Währungsunion sowie einzelne Länder besteht. Diese Argumentation wurde jedoch ganz plötzlich fallen gelassen. Denn Tsipras soll sich ja nun doch beim ESM bewerben, nachdem das letzte Hilfsprogramm beim alten Rettungsfonds EFSF ausgelaufen und verfallen war.
Neben den griechischen seien auch bulgarische, rumänische und zyprische Banken von der Krise betroffen, hieß es nun. Mehrere EU-Länder hätten besorgt bei den Euro-Chefs angefragt, ob sie mit weiteren Turbulenzen rechnen müssten. Bekannt und belegt ist allerdings nur die Hektik, die der Brite Cameron an den Tag legt. Er hat sogar Notfallpläne für die Londoner City anfertigen lassen und Reisewarnungen an britische Touristen herausgegeben.
Neue Widersprüche tun sich auch bei der finanziellen "Rettung" Griechenlands auf. Zum ersten Mal wurde bei diesem Gipfel über eine "Brückenfinanzierung" gesprochen - eine Forderung, die Tsipras gleich nach seinem Amtsantritt erhoben hatte. Doch während Tsipras sie damals noch nutzen wollte, um in Ruhe ein Regierungs- und Reformprogramm auszuarbeiten, geht es nun um etwas ganz anderes: Die Euro-Chefs wollen die griechischen Banken vor dem Kollaps bewahren, den die Europäische Zentralbank selbst heraufbeschworen hat - mit ihrer Entscheidung, die Institute von der normalen Kreditfinanzierung abzuschneiden.
Junckers droht: Ein Szenario für einen Grexit sei detailliert vorbereitet
Die "Brückenfinanzierung" soll es aber nur geben, wenn Tsipras einen "glaubwürdigen" Plan für langfristige Reformen vorgelegt hat. Man will dem griechischen Patienten also nicht etwa helfen, um sein Überleben zu sichern - sondern um die Strukturreformen zu erzwingen, die beim Referendum am Volkswillen gescheitert waren.
Vollkommen abstrus wird es beim Thema Schuldenschnitt bzw. Umstrukturierung der Schulden. Tsipras hatte gehofft, diese ebenso alte wie zentrale Forderung seiner Regierung nun doch noch durchsetzen zu können. Rückendeckung bekam er dabei von Frankreich. Doch Merkel blockte den Vorstoß mit der Behauptung ab, ein Schuldenschnitt käme einer verbotenen Staatsfinanzierung gleich. Selbst noch die dringend nötige Neustrukturierung der Schulden möchte sie auf später vertagen - letztlich hat sie sich in dieser Frage keinen Millimeter bewegt.
Für Tsipras dürfte es sehr schwer werden, all diese Konditionen zu schlucken. Zusammen genommen erinnern sie fatal an das letzte "Angebot" der Gläubiger, das im Referendum abgewiesen worden war. Doch diesmal hat er keine Wahl mehr. Wenn Griechenland sich nicht bis Freitagmorgen um 8.30 Uhr zu allen Vorgaben bekenne, müsse es den Euro verlassen, drohte Kommissionschef Juncker. Ein Szenario für einen Grexit sei detailliert vorbereitet, sagte er nach dem Eurozonen-Gipfel in Brüssel. Das klang dann doch wieder dramatisch.