Neue Wertegemeinschaft: Mit Donald Trump in die Willkürzone der internationalen Politik
- Neue Wertegemeinschaft: Mit Donald Trump in die Willkürzone der internationalen Politik
- Ein "Pivot to Asia" der EU-Staaten?
- Probleme mit dem außenpolitischen Personal
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Gegen Russland, China und den Rest der Welt. Die aktuellen Entwicklungen lassen befürchten, dass sich die Bundesregierung der destruktiven Außenpolitik der Regierung unter Donald Trump unterordnet
In den vergangenen Jahren beklagten sich zahlreiche europäische Politiker darüber, dass die Regierung unter Donald Trump willkürlich Vertragswerke und Abmachungen in den internationalen Beziehungen zerstört. Mit dem versuchten Putsch in Venezuela und dem amerikanischen Austritt aus dem INF-Vertrag hat sich der Tenor allerdings deutlich verschoben.
Neuerdings beeilen sich auch zahlreiche deutsche Außenpolitiker, ihre Wertegemeinschaft mit Donald Trump, Mike Pompeo und Gina Haspel unter Beweis zu stellen, indem sie offensichtliche Rechtsbrüche in den internationalen Beziehungen begeistert unterstützen. Stephen Walt, Professor für internationale Politik an der Harvard-Universität, erinnerte mit Blick auf das Verhältnis zwischen USA und EU kürzlich daran, dass gemeinsame Werte eine "fromme Rhetorik" sind. Die "regelbasierte Ordnung" und eine "transatlantische Gemeinschaft" bezeichnet er als Schaufensterdekoration:
"Der wahre Grund, warum sich die Vereinigten Staaten in der Vergangenheit intensiv für die europäische Sicherheit eingesetzt haben, liegt darin, dass sie dachten, es läge im Interesse des Landes zu verhindern, dass ein einzelner Staat Europa dominiert und seine reichlich vorhandene industrielle Macht kontrolliert."
Im Gegensatz zu vielen deutschen Außenpolitikern ist dem Herausgeber von Foreign Policy dabei bewusst, dass Europa erheblich größer ist als die EU und etwa Russland miteinschließt. Mit einer gemeinsamen Politik, so Walt, könnte Europa mächtiger sein als die USA. Als Vertreter der realistischen Schule der Außenpolitik hält er fest, dass das Engagement der USA in Europa eigentlich einem Machtkampf um die Führung in der "westlichen Hemisphäre" entspringt.
Diese nüchterne Sichtweise entspricht im Wesentlichen dem, was auch Donald Trump in seiner Nationalen Sicherheitsstrategie formuliert hat. Die Aufrechterhaltung "günstiger Machtverhältnisse" erfordere zwar "ein starkes Engagement und eine enge Zusammenarbeit mit Verbündeten und Partnern". Partnerschaft sei aber vor allem deshalb geboten, weil "Verbündete und Partner die Macht der USA vergrößern und den Einfluss der USA ausweiten". Daher müsse man sicherstellen, dass die eigene "militärische Macht unübertroffen ist", und dass alle Verbündeten "vollständig in alle unsere Machtinstrumente integriert" sind.
Aus dieser Perspektive sieht Donald Trump durchaus einen Wert in der NATO. Das Papier betont sogar, wie wichtig die NATO und ihre Beistandsklausel seien, immerhin "vergrößern europäische Verbündete und Partner unsere strategische Reichweite", zumal sie "uns Zugang zu vorgelagerten Militärbasen und Überflugrechte für globale Operationen gewähren".
Eingemeindung der EU gegen Russland und China
Unter den Verbündeten innerhalb der EU hatten sich in den vergangenen beiden Jahren erste Anzeichen einer selbstständigen Außenpolitik gezeigt, die tatsächlich europäische Interessen zum Ausgangspunkt der eigenen Politik macht. Von der Beendigung der transatlantischen Freihandelsabkommen TTIP und TPP bis zu neuen Sanktionen gegen den Energieexporteur Iran ließ die Trump-Regierung keine Gelegenheit aus, um den EU-Staaten und insbesondere Deutschland klarzumachen, dass man sie als unangenehme Konkurrenten betrachtet.
Vor diesem Hintergrund gestaltete sich etwa die Münchner Sicherheitskonferenz vor zwei Jahren zu einem Plädoyer für Europa. Der damalige Außenminister Sigmar Gabriel verwies auf den "American exceptionalism" und benannte die bisherige Schwäche der EU-Außenpolitik, um ein deutliches Plädoyer für eine selbstbewusstes und unabhängiges Europa zu halten. Wir dürfen, so Gabriel damals, "Europa nicht denen überlassen, die es zerstören wollen". Und mit Blick auf den Zwei-Prozentismus der NATO-Pressesprecher vertrat der SPD-Außenminister, dass Krisenprävention, Wiederaufbau und wirtschaftliche Zusammenarbeit einen weit größeren Beitrag zur Sicherheit leisten als alle Militärausgaben. Niemand solle deshalb "in Glückseligkeit über eine neue Aufrüstungsspirale" verfallen.
Nun, nach zwei Jahren mit Donald Trump im Amt wird man solche Positionen auf der kommenden Sicherheitskonferenz nicht mehr hören, im Gegenteil reiht sich die Bundesregierung in jede noch so absurde Initiative ein.
Wie Stephen Walt klarstellt, ist Donald Trump nicht das eigentliche Problem, auch wenn sein "vulgäres, eitles, unberechenbares und unnötig beleidigendes Verhalten" eine ohnehin schwierige Situation noch verschlimmert:
Vielmehr begann das eigentliche Problem, sobald die Sowjetunion zusammenbrach, weil dies die prinzipielle Begründung für ein tiefes Engagement der USA für die europäische Sicherheit beseitigte.
Ohne eine solche "prinzipielle Begründung" sollte es auch schwerer zu akzeptieren sein, dass die amerikanische Außenpolitik in den vergangenen Jahren kräftig dazu beitrug, die gesamte Peripherie der EU zu destabilisieren und in Brand zu stecken. Mit dem Irakkrieg, dem Georgienkrieg, den Interventionen in Libyen und Syrien über den Umsturz in der Ukraine, mit den Sanktionen gegen Russland und den Iran hat sich eine Situation entwickelt, die historisch nur mit der Expansion des Osmanischen Reiches am Anfang des 15. Jahrhunderts vergleichbar ist (Ein Ring, sie zu knechten).
Damals wurden die europäischen Staaten vom Landweg nach Asien und in die arabische Welt abgeschnitten und mussten sich zwangsläufig nach Übersee ausrichten, sprich: auf die Amerikas. Genau in diese Rubrik fällt nun der strategische Vorschlag der Trump-Regierung, den auch Walt in seiner Kolumne darlegt: Die NATO und die EU-Staaten können eine neue identitätsstiftende Aufgabe finden, wenn sie sich dem amerikanischen Krieg gegen die "revisionistischen Mächte China und Russland" anschließen, wie Donald Trump die beiden Länder in seiner Nationalen Sicherheitsstrategie nennt.
Wie die vergangenen Tage erneut zeigen, ist diese Ausrichtung gegen Russland in der EU-Politik bereits erfolgreich verankert. Die Bundesregierung, die innerhalb der EU eine ähnlich entscheidende Stimme für die Russland-Beziehungen darstellt wie Spanien für die Lateinamerika-Politik, unterstützt weiterhin ein Sanktionsregime, das vor allem die Wirtschaft in den EU-Staaten schädigt. Zu den Ausfällen durch die zahllosen Sanktionen kommen weitere Kosten dieser destruktiven Außenpolitik, etwa die Milliarden-Subventionierung von Frontstaaten wie der Ukraine oder das Grenzregime im Mittelmeer, das ohne die mutwillige Zerstörung von Syrien und Libyen in dieser Form kaum nötig geworden wäre.
Wie der Spiegel berichtete, soll der Vorschlag, der Russischen Föderation beim INF-Vertrag eine zeitliche Frist zu setzen, sogar aus dem Bundeskanzleramt gekommen sein. Kurz vor dem entscheidenden NATO-Treffen habe Angela Merkel mit Donald Trump auf dem G-20-Gipfel in Buenos Aires ein entsprechendes Vorgehen ausgemacht:
Sie drängt den Präsidenten, den Vertrag zumindest nicht sofort aufzulösen, sondern Moskau eine Frist zu setzen. Andernfalls könnten sich die Alliierten nicht klar gegen Moskau stellen und Russland allein für das Scheitern des Vertrags verantwortlich machen.
Der Spiegel
Allerdings war der Umgang, insbesondere von Angela Merkel, mit der Volksrepublik China bisher weniger eindeutig von transatlantischen Interessen geprägt. Inzwischen hat die Bundeskanzlerin das Reich der Mitte elf Mal besucht, kaum ein anderes Land kann sich dieser Aufmerksamkeit rühmen. Deutsche Unternehmen exportieren inzwischen Waren im Wert von mehr als 86 Milliarden Euro nach China, umgekehrt sind es Importe von mehr als 100 Milliarden Euro. Inzwischen besuchte Präsident Xi Jinping auch mehrmals Deutschland. Seit seinem Amtsantritt entwickelt er offensiv seine Vision der neuen Seidenstraße, die Belt and Road-Initiative.
Ein gemeinsamer kontinentaler Entwicklungsraum von China über Russland nach Europa, quer durch die arabische Welt, mit weit verzweigten Ausläufern nach Afrika: Ein kurzer Blick auf eine Weltkarte, die auf den eurasischen Raum zentriert ist, dürfte jedem klarmachen, was die Horrorvorstellung für amerikanische Außenpolitiker ist. Die USA würden sich in einer abseitigen Randlage des Weltgeschehens wiederfinden, wo sie sich um ein gutes nachbarschaftliches Verhältnis zu Mexiko und Kanada bemühen müssten.
Vor diesem Hintergrund, so die aktuelle Einschätzung von Stephen Walt, gibt es vor allem ein Projekt, das "der NATO einen neuen Sinn einhauchen" könnte. Die US-Regierung, so Walt, werde sicherstellen wollen, dass die wirtschaftlichen Beziehungen Europas zu China dem Land nicht helfen, effektiver mit den Vereinigten Staaten zu konkurrieren:
Presto - hier ist Ihr neues transatlantisches Schnäppchen. Die Vereinigten Staaten stimmen zu, weiterhin ein formales Mitglied der NATO zu bleiben, obwohl ihr militärischer Gesamtbeitrag allmählich abnehmen wird und eventuell ein europäischer Militär die Rolle des Obersten Alliierten Kommandanten in Europa übernehmen wird. Im Gegenzug vereinbaren die europäischen NATO-Mitglieder, den Zugang Chinas zu Spitzentechnologien einzuschränken und davon abzusehen, ihnen Waren zu verkaufen, die direkte militärische Anwendungen haben könnten.
Stephen Walt
Noch vor wenigen Wochen hätte sicher kaum ein Beobachter innerhalb der EU in Erwägung gezogen, dass die europäischen NATO-Mitglieder ausgerechnet in der aktuellen Situation auf wirtschaftliche Beziehungen zu China verzichten. Aber, so Walt, die Situation hat sich inzwischen geändert:
Die europäischen Sorgen über die chinesischen Ambitionen sind in den letzten Jahren gewachsen, ebenso wie die Befürchtungen über einen totalen Rückzug der USA. Und wenn es den Vereinigten Staaten wirklich ernst damit ist, die Macht Chinas zu begrenzen, wäre es natürlich wünschenswert, Europa an Bord zu haben - zumindest im wirtschaftlichen Bereich. Diese Vereinbarung könnte der NATO also eine strategische Begründung liefern, die ihr seit 1992 fehlt, und die transatlantische Partnerschaft etwas länger am Laufen halten.
Stephen Walt
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