Neuer Vorwurf gegen Assad: "Er enteignet Flüchtlinge"
Seite 3: Das Problemuniversum Syrien: Fakten und Meinung
- Neuer Vorwurf gegen Assad: "Er enteignet Flüchtlinge"
- Die 30-Tages-Frist und die "Anwälte des Folterregimes"
- Das Problemuniversum Syrien: Fakten und Meinung
- Auf einer Seite lesen
Zu erkennen ist die große Schwierigkeit beim Problemuniversum Syrien: Fakten genügen bei weitem nicht. Um sie geht es nicht, sondern es geht die allermeiste Zeit um Absichten und Theaterrollen und -bilder, die eingestreut werden: Was hat eine anwaltschaftliche Vertretung, die in einem Dekret zu einem Bebauungsplan vorgesehen ist, mit Folterkellern zu tun?
Nichts, wenn man nur auf die Faken in einem Gesetzestext schaut; alles, wenn man davon ausgeht, dass es sich bei der syrischen Republik unter der Regierung Baschar al-Assad um einen Mafia- oder totalitären Staat handelt.
Die behauptete Absicht - und nicht, was genau im Dekret und den dazugehörigen Regulierungen festgehalten ist - macht den politischen Skandal. Im erwähnten Artikel der SZ werden, anders als in den sonst erwähnten Berichten, ein paar Hintergründe zum Dekret erwähnt oder erläutert. So wird auch dort darauf hingewiesen, dass die 30-Tages-Frist erst in Gang gesetzt wird, wenn andere Voraussetzungen erfüllt sind. Das geschieht also nicht plötzlich wie aus einem Hinterhalt heraus von heute auf morgen.
Aber das Projekt wird von der SZ auch so erklärt oder kanalisiert, dass der Leser auf eine bestimmte Spur geleitet wird. Er soll erfahren, auf welch perfide Weise Baschar al-Assad und mit ihm gut vernetzte Unternehmer hier politisches und finanzielles Kapital schlagen können. Die Regierung könne sich in den Städten genau der Schicht entledigen, von welcher Widerstand ausgehe, erklärt der SZ-Bericht, und die Wiederaufbauzonen würden ja genau die sein, wo vorher noch die Gegner angesiedelt waren. Und selbstverständlich würden Anhänger der Regierung bevorzugt.
Assad aber kann mit solchen Projekten ihm ergebene Geschäftsleute und Milizenführer belohnen, die das Überleben des Regimes gesichert haben - und womöglich andere Verbündete. Oppositionelle fürchten, dass das Dekret Grundlage wird für strategische Ansiedlungen unter der Kontrolle iranischer Firmen, die zu den Revolutionsgarden gehören. Im Grenzgebiet zum Libanon könnte die schiitische Hisbollah davon profitieren. Bedroht von der faktischen Enteignung sind vom Regime zuvor zerstörten Oppositionsgebiete und die dort überwiegend lebenden Sunniten. Die Nationale Koalition, der wichtigste Zusammenschluss syrischer Oppositionsgruppen, sieht darin "den Plan des Assad-Regimes, die demographische Landschaft in Syrien nachhaltig zu verändern".
SZ
Es zählt der Verdacht: Dem Neuen Syrien zuliebe
Ob das zutrifft, ist nicht zu beweisen. Nicht ausgeschlossen ist, dass diese "Könnte"-Spekulation genauso voreilig und alarmistisch ist wie die Behauptung, dass es zu einer großen Unruhe und ein Rückreisewelle unter syrischen Flüchtlingen kommt wegen der 30-Tagesfrist.
Einstweilen zählt vor allem der Verdacht. Er passt politisch sehr gut zu den Stimmen westlicher Politiker, die auf Einfluss bei der Errichtung ihres "Neuen Syriens" drängen, das ohne Assad menschenfreundlich leuchten soll.
Die Bauunternehmer, die man dafür engagieren "könnte", haben selbstverständlich keine Verbindungen zur bestimmenden politischen und wirtschaftlichen Kreisen mit entsprechend kompatiblen Anschauungen.
Wie sehr viel sorgfältiger man mit Unterscheidungen umgehen muss, demonstriert ein ausgewiesener Assad-Gegner, der Chefredakteur des Syria Report, der seinen Interviewbeitrag zum Dekret 10 korrigiert. Anders als er es behauptet habe, stehe im Gesetz nichts davon, dass die Regierung Geld aus dem Verkauf von Wohnungen schöpfen könne. Das könnte möglicherweise so kommen, sei dann "aber eine Meinung und kein Fakt".