Neues und Altes

Die Affäre Hohmann: Gewohnte hiesige Niedertracht in einem neuen Gewand

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Ein Bundestagsabgeordneter der CDU pfeift sein Hassliedchen zum "Nationalfeiertag" (vgl. Der Wortlaut der Rede von MdB Martin Hohmann zum Nationalfeiertag), den unmittelbaren Zuhörern gefällt es. Verspätet werden die Medien darauf aufmerksam, danach beginnt der übliche Schadensbegrenzungszirkus der Parteiführung, der bis dahin nicht aufgefallen sein will, wer da mit ihr gemeinsam all die Jahre für christliche und treudeutsche Werte gekämpft hat.

Der Zentralrat der Juden appelliert an den deutschen Staat, sich selbst wegen Antisemitismus zu verfolgen. Im Internet empört sich die Volksseele schon darüber, dass die Merkel dem Hohmann einen kleinen Tadel unter Parteifreunden ausspricht: All die stolzen Deutschen, sie wollen die Hand nicht mehr vorhalten, wenn sie aufstoßen. Also der Normalzustand - im Land erst seit der Wiedervereinigung, in der CDU schon immer? Schon. Und doch auch wieder nicht.

Das Neue liegt nicht darin, dass die Hohmann-Rede über hundert Bundestagsmitgliedern bekannt sein konnte, bevor der Hessische Rundfunk darüber berichtete.

Dass einer wie Hohmann von der CDU als Berichterstatter zur NS-Zwangsarbeiter-Entschädigung in den Bundestagsinnenausschuss gepflanzt worden war, entspricht der gängigen Praxis der Christdemokraten, die mit Figuren wie Filbinger, Dregger, Lummer und ihren geistigen Ziehsöhnen noch nie ein Problem hatten und möglicherweise nie eines haben werden.

Jedes Mal fällt ein weiteres Puzzlestück an seinen Platz

Es erstaunt nicht, dass Hohmann in seiner Heimat geliebt wird für das, was er sagt. Und bis zum gewohnten Nachrichtenumfeld, zu den Degussa-Firmen, die am Berliner Holocaust-Mahnmal mitverdienen wollten, und den Skinheads, die an Halloween Ku-Klux-Klan spielen, ist alles bekannt und schon mal da gewesen; all das macht den gewohnten Zuschnitt der hiesigen Niedertracht aus.

Aber es gab immer zumindest einen neuen Aspekt bei jeder Gelegenheit aus der letzten Zeit, zu der jemand über die deutsche Geschichte und die Juden sagen musste, was ihm so auf den Nägeln brannte. Jedes Mal fiel ein weiteres Puzzlestück an seinen Platz. So auch hier.

Dieses Mal stammt das Puzzlestück von einem Bundeswehrgeneral. Und zwar nicht von einem Hinterbänkler der Bundeswehr, sondern von Reinhard Günzel, bis Dienstag dieser Woche Chef des "Kommando Spezialkräfte" (KSK), jener Elitetruppe und Vorausabteilung des neuen deutschen Machtstrebens, die schon einmal austestet, wie es sich anfühlt, wenn Deutschland Frieden und Freiheit in der ganzen Welt (mit)verteidigen darf, by all means necessary. Günzel fand die Rede Hohmanns völlig okay, schrieb ihm das in einem Brief, und Hohmann wedelte mit diesem Brief vor Fernsehkameras herum, weil auch ein einzelner Mann in all seinem Mut vor Fürstenthronen belegen will, dass er Freunde hat - und was für welche (vgl.Ideologische Wiederbewaffnung).

Freilich, auch dieses Puzzlestück, die Tatsache, dass ein Bundeswehrgeneral, und gerade dieser, offen den offenen Antisemitismus in der Rede eines Bundestagsabgeordneten unterstützt, ist nicht gar so überraschend, wenn man es einmal umdreht. Vor dem nationalistischen, aggressiven und elitären Charakter des Kommando Spezialkräfte wird seit ihrem Bestehen gewarnt. Günzel selbst ist schon 1997 aufgefallen, als er eine Manöver-Konfrontation mit Friedensdemonstranten auf klassische Offiziersart kommentierte. Er "habe die Faust in der Tasche geballt, um seinen Fallschirmjägern nicht den Befehl zu geben, das Problem sehr schnell zu lösen".

Damals war er noch Kommandeur eines Fallschirmjäger-Bataillons in Schneeberg (Erzgebirge). Kurz nach seiner kleinen Drohgebärde wurde er das erste Mal von seinem Kommando entbunden, weil in seinem Bataillon so starke rechtsradikale Tendenzen aufgedeckt wurden, dass sie nicht mehr unter den Teppich zu kehren waren. Manche erinnern sich auch noch an seine öffentlichen Rechtfertigungen für die Popularität des Fallschirmjäger-Evergreens Rot scheint die Sonne bei Einheiten, die er im Saarland befehligte. Dass die Elitetruppen des Militärs, besonders das KSK, auch für explizit rechtsextremes Gedankengut anfällig sind, ist ebenfalls Thema seit ihrem Bestehen.

So überraschend war Günzels Aktion also nicht. Neues und Altes, Überraschendes und Altbekanntes durchdringen einander in Deutschland oft auf spezielle Weise. Eigentlich müsste man dem gewesenen General ja dankbar sein. So deutlich hat noch niemand darauf hingewiesen, dass neue deutsche Größe ohne altdeutsche Denke nicht zu haben ist.

Die Konjunktiv-Artisten der Revanche

Weltweite Vorneverteidigung beginnt im Kopf, und weil die Erinnerung an vergangene deutsche Großtaten neuer Tat- und Kommando-Spezialkraft im Weg steht, wird sie mit der Projektion der eigenen Schweinereien auf andere entsorgt. "Die waren ja mindestens genauso schlimm." Dieser Spielzug ist eine alte Revisionistenmasche, die man in seiner antikommunistischen Variante spätestens seit den Purzelbäumen von Ernst Nolte aus den Achtzigern zur Genüge kennt. Das Dreamteam Hohmann/Günzel hat ihn jetzt gleichzeitig auf antisemitisch und antikommunistisch durchgespielt. Altes und Neues, Neues und Altes.

Die öffentlichen Scharaden zur Maskierung und Handhabung des Vorgangs sind schon komisch. Dass Dampfkesselchen Hohmann jetzt in den Umweltausschuss des Bundestags abgeschoben wird, wo er sich unter anderem um Reaktorsicherheit kümmern soll, dass er nach Ansicht des CSU-Wehrspezialisten Hans Raidel den Günzel durch Bruch des Briefgeheimnisses "auf dem Gewissen" habe, dass Günzel laut Verteidigungsminister Struck trotz aller vorliegenden Fakten ein einzelner "Verwirrter" sein soll - wenn es eine Seifenoper wäre, man hätte seinen Spaß.

So ist es nur deutsche Realität, spaßig ist die selten. Und für die einzig sinnvollen Konsequenzen, nämlich die Verabschiedung Hohmanns nach Fulda sowie die Auflösung des KSK, ist in dieser Realität schon gar kein Platz. Die CDU braucht ihre Hohmänner. Und mit dem KSK haben Struck und die Seinen noch Großes vor in der Welt - genau aus diesem Grund soll ja so messerscharf zwischen der Truppe und ihrem "verwirrten" (ehemaligen) Anführer unterschieden werden. Deswegen können auch jetzt einzelne Abgeordnete der SPD und Grünen "Untersuchungen" über die ganze Bundeswehr fordern, bis sie Pickel kriegen - passieren wird gar nichts.

Aber wie soll man mit ihnen umgehen, den Konjunktiv-Artisten der Revanche, den Normalisierern und Einebnern, den Wird-man-doch-mal-sagen-Dürfern, wie soll man auf ihr Gelaber reagieren? Soll man sie totschweigen, um ihnen die Aufmerksamkeit und den Widerhall zu verweigern, die sich selbst ohnehin immer wieder schaffen?

Und, gesetzt den Fall, Günzel hätte Recht, indem er behauptet, Hohmann hätte nur gesagt, was die Mehrheit meint: Läuft es für Juden in Deutschland auf entschiedene Anstrengungen zur Selbstverteidigung hinaus, wie sie Ralph Giordano schon 1992 in einem Brief an Helmut Kohl ankündigte?

Eins ist klar: Die "deutsch-jüdische Verständigung", die Rafael Seligmann noch vor wenigen Tagen im Streit um das Berliner Holocaust-Denkmal konstatieren wollte, ist ein Hirngespinst. Dafür könnte es keinen deutlicheren Beweis geben als den Fall Hohmann/Günzel.