Nicht besonders sexy

Die Werbung versucht mit allen Mitteln, Aufmerksamkeit auf sich zu lenken - notfalls mit Geld

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Nichts geringeres als die Revolutionierung der Online-Werbung hat die Marketing-Firma Cybergold im Visier. Das Konzept: Websurfer werden dafür bezahlt, daß sie Anzeigen lesen. Die Idee, die reizüberfluteten Mitglieder der Konsumgesellschaft für ihre Aufmerksamkeit zu bezahlen, klingt logisch - zumindest für diejenigen, die ein Interesse an Produktinformation haben. Und die sind in den USA traditionell zahlreicher als in Deutschland. Wer runzelt nicht entnervt die Stirn, wenn wieder einmal ein freundlicher Marktforscher am Telefon nach Ihrer Zahnpasta fragt oder ein Haufen unerwünschter e-mails den elektronischen Briefkasten zumüllt.

Wer sich bei Cybergold durch die Angebote klickt, so die Vision, wird stetig reicher: ganze 50 Cents kommen zum Beispiel rum, wenn man sich komplett mit Post- und e-mail-Adresse registriert. Wer anschließend noch den Internet-Provider von AT&T abonniert bekommt 10 Dollar gutgeschrieben. Für den käuflichen Erwerb von Hard- oder Software im Wert von etwa 180 Dollar springen schon mal 55 Cyberbucks raus. Meistens allerdings bewegen sich die Angebote auf der 50 Cents-Marke. All das viele Geld kann man sich anschließend entweder auf sein Bank- oder Visakonto überweisen lassen oder auch einer gemeinnützigen Organisation wie der "I have a dream"-Foundation spenden.

Während das Prinzip für die einen nichts anderes ist als eine Form des Discounting nach dem Muster "Kaufen Sie fünf CDs und nehmen eine umsonst mit", sehen andere darin vor allem für die Werber entscheidende Vorteile. Man erreicht den Kunden direkt, weil er ein gewisses Interesse an dem Produkt zeigt und bekommt ein unmittelbares Feeback. So hatte zum Beispiel auch "Wired" 1997 vor kurzem eine Kampagne bei Cybergold laufen: Abo-Interessenten klickten auf das entsprechende "Wired"-Symbol, gaben ihre Adresse ein, und erhielten dafür einen Dollar sowie eine Ausgabe umsonst. Der Vorteil: "Wired" hatte sofort Zugriff auf die Adressen der potentiellen Interessenten ohne aufwenigen Postversand und Adressaufnahme. Die Kampagne brachte den selbsternannten Propheten des Informationszeitalters laut Cybergold-Chef Nat Goldhaber über 8000 neue Abonnenten und sparte damit rund ein Drittel der Ausgaben, die eine Direktmarketing-Kampagne per Post kosten würde.

Doch Cybergold hat noch mehr auf Lager: Die Firma bietet den werbetreibenden Kunden an, Datenpakete über die Nutzergewohnheiten der Abonnenten zusammenzustellen. Dazu wurde eigens eine Kooperation mit dem Marktforschungsunternehmen Audits & Service Worldwide unterschrieben. Goldhaber, der diverse Organisationen zum Schutz der Privatsphäre im Internet unterstützt, versichert zwar, daß Namen und Adressen der Kunden nicht weitergegeben werden. Wohl aber werden mit Hilfe von cookies die Nutzungsgewohnheiten der Cybergold-Kunden aufgezeichnet und in allgemeine Profile über Internet-Nutzung integriert. Ein weiteres plus, das aus Sicht der Werber für das Marketingkonzept spricht.

Dennoch - die meisten Web-Analysten sehen die Strategie kritisch. Jim Sterne von der kalifornischen Consulting-Firma Target Marketing meint, es sei die "falsche Motivation", Kunden dafür zu bezahlen, Werbung zu lesen. "Wenn die Anzeige nicht gut genug ist, um mein Interesse zu wecken, sondern mich dafür zahlen muß, macht man etwas falsch" sagt er. "Man spricht einen Haufen Leute an, die nur Geld machen wollen". Und ein Kritiker bei "Wired news" mosert: "Es ist, als würde man dafür bezahlt, Sex zu haben. Es wird viel darüber geredet und keiner tut es, es klingt aufregender als es ist und - um das mindeste zu sagen - es ist unmoralisch."

Auch Peter Bedell, Redakteur bei einer Gesundheitszeitschrift und Cybergold-Kunde, findet die Idee "Geld gegen Werbung" nicht besonders sexy. "Ich bin sowieso dauernd im Internet unterwegs, da hab ich halt mal reingeschaut" schildert er nicht gerade voller Begeisterung den Tag der Kontaktaufnahme. Daß er jetzt Kunde bei Cybergold ist, war lediglich eine "Nebenerscheinung" auf dem Weg, "sich durch den ganzen Werbemüll durchzuwühlen". Seine eigentliche Motivation war, so sagt er, den einen oder anderen günstigen Trip ins Ausland aufzutun. Immerhin zeigt sein Visa-Konto nach einem halben Jahr Mitgliedschaft 10 Dollar mehr an, und auch unerwünschte Post in seinem e-mail-Briefkasten sei durch das Registrieren nicht aufgetaucht.

Trotz alledem halten Cybergold bis dato insgesamt 320.000 Konsumenten die Treue - und rund 60 Anzeigenkunden. Bis Ende diesen Jahres will Goldhaber eine Million Teilnehmer haben, und um dies zu erreichen, wirft er alles hereinkommende Geld in Werbekampagnen für sein eigenes Unternehmen. Der 40-Mann-Betrieb mit Quartier im kalifornischen Berkeley will im nächsten Jahr schwarze Zahlen schreiben und nach Europa und Asien expandieren. Bisher können nur Kunden aus den USA und Kanada Mitglied bei Cybergold werden.

Was sein Geschäft angeht, zeigt sich der schwergewichtige Goldhaber gewohnt branchenoptimistisch: Obwohl in den USA bisher nur vier Prozent der Einkäufe auf Grund von Direktmarketing-Maßnahmen getätigt werden, erwartet er Zuwachsraten von jährlich sieben Prozent. Und mit ihm eine ganze Reihe anderer Onlineunternehmen, die über das Web Werbung nach dem Muster "Belohnung für Aufmerksamkeit" betreiben.

Dasselbe Spiel nur mit anderen Summen betreibt die Firma Yoyodyne in Irvington/New York. Yoyodyne macht auf ihren Internet-Seiten keinesfalls herkömmliche Werbung, sondern "permission-", sprich "erlaubtes Marketing": Der Konsument stimmt explizit zu, daß er mit Werbung überschwemmt werden will.

In einem Interview mit "Business Week" erklärte der 38jährige Yoyodyne-Gründer Seth Godin das Konzept so: "Wir glauben, daß die traditionelle Unterbrecherwerbung von einem neuen Modell abgelöst wird, bei dem die Konsumenten freiwillig Aufmerksamkeit zollen. Die Firma erzählt ihnen ein bißchen etwas über ihr Produkt, der Konsument über sich selbst, die Firma erzählt ein bißchen mehr, der Konsument ein bißchen mehr. Und mit der Zeit baut man eine richtige Beziehung auf". Und diese "Beziehung" soll nach dem Godinschen Modell durch Spiele und Rätsel entstehen.

46.000 Freiwillige konnte zum Beispiel das Spiel "Wir zahlen Ihre Steuern" verzeichnen. Eine Software-Firma, die ihr neues Programm für die Einkommenssteuer-Erklärung promoten wollte, war willens, die Jahressteuern eines der vielen Kandidaten zu zahlen, die sich an dem Quiz beteiligten: Wer sich anmeldet, muß seine e-mail-Adresse hinterlassen und bekommt dann Fragen zu dem Produkt gestellt. Auf diese Weise sammelt man immer mehr Punkte, und je mehr Punkte, desto höher die Wahrscheinlichkeit, zu den Gewinnern zu gehören.

Die höchste Rate erzielte bisher das Spiel "GetRichClick", bei dem sich 250.000 Teilnehmer Hoffnungen auf die Prämie von 100.000 Dollar machten. Den größten Coup landete Yoyodyne mit der Prämie von satten einer Million Dollar, an dem sich 360.000 Surfer beteiligten und sich dabei durch insgesamt drei Millionen Webseiten klickten.

Godin bezeichnet den Informations-Austausch zwischen Produzent und Konsument als "Me-Mail statt e-mail". Die Spiele selbst sind nicht ganz so langweilig, wie sich die Prozedur anhört. Godin arbeitet mit dem Dilbert-Cartoon und Rollenspielen nach dem Muster "Gebt dem Affen seine Banane". Je verrückter desto besser. Aus diesem Grund gehören zu seinen 45 Angestellten auch Fachleute aus allen Bereichen: "Wir haben alles, vom Yoga-Lehrer bis zum Matrosen" sagt Godin.

Als DER Knüller in der Branche wird derzeit allerdings das kalifornische Startup-Unternehmen Netcentives gehandelt. Die Firma hat mit den sogenannten "ClickRewards" eine Art Online-Währung entwickelt und mit einer ganzen Reihe von Unternehmen Kooperationen abgeschlossen. Und das geht so: Wer einen Blumenstrauß bei der Online-Seite von 1-800-Flowers kauft, bekommt - je nach Wert - eine Reihe von Punkten (ClickRewards) gut geschrieben. Dasselbe passiert beim Online-Einkauf von CDs über "Music Boulevard", einem Modem bei "CNETŽs Buy Direct", dem Warenhaus "MacyŽs" und sogar dem Internet-Browser Yahoo.

Diese gesammelten Punkte können anschließend gegen Frequent Flyer Miles bei einer ganzen Reihe großer Fluggesellschaften eingetauscht werden. Netcentives gelang es, acht Carrier mit ins Boot zu holen: American Airlines, British Airways, Continental Airlines, Delta Air Lines, Northwest Airlines, United Airlines und US Airways - ein Deal, der in der Branche für fast unmöglich gehalten wurde, da große Flugkonzerne nicht gerne mit Startups zusammenarbeiten. Doch die gesammelten Punkte können auch für andere Service-Leistungen eingetauscht werden: Mit im Boot sitzen auch Autoverleih-Firmen und Hotels.

Die Kunden haben bereits angebissen: Eine MacyŽs-Sprecherin etwa berichtet von Einkäufern, denen noch ein paar Dollar an Ausgaben fehlen, um eine runde Summe von Frequent Flyer-Punkten zu sammeln. Also bestellen sie eben noch ein paar Sachen dazu. Und gerade die Flug-Punkte sind extrem populär: Die acht Airlines, die das ClickRewards-System akzeptiert haben, vereinigen insgesamt 80 Prozent der 52 Millionen US-Kunden unter ihrem Dach - das ist ein Fünftel der amerikanischen Bevölkerung.

Das Prinzip, Netsurfer mit solchen Bonus-Systemen zu belohnen, erscheint vielen Marktanalysten logisch. Sie vergleichen den Handel über das Internet mit der Einführung von Kreditarten und Geldmaschinen - man müsse den neuen Kunden einen Anreiz bieten, um ihre Aufmerksamkeit zu gewinnen. Und das Internet, mit seiner Möglichkeit, einen direkten Kontakt zum Kunden herzustellen, bietet dafür die ideale Plattform, die noch dazu sehr viel kostengünstiger ist als herkömmliche Marketingmethoden per Telefon oder Post.

Im technologie- und spielebegeisterten Amerika werden diese neuen Methoden nach dem Muster "je mehr Mausklicke, desto mehr Gewinnchancen" schnell Fuß fassen. Und im Zeitalter des Internets ist es von da aus nur noch ein Katzensprung nach Deutschland.