"Nicht mit uns"
Vor dem Bundestag protestierten am Samstag Hunderte gegen Kemmerich
Ein Bündnis mehrerer Organisationen hat am Samstag zu einer Kundgebung am Platz der Republik aufgerufen. Laut den Initiatoren werde der vergangene Mittwoch in die Geschichte eingehen "als der Tag, an dem Faschist*innen von der AfD zum ersten Mal einen Ministerpräsidenten ins Amt verhalfen". Das Motto der Demonstration ist: "Kein Schritt nach Rechts - #nicht mit uns!"
Hunderte stehen auf dem westlichen Bereich der Wiese vor dem Bundestag. Sie rufen: "Alle zusammen gegen den Faschismus". Zur gleichen Zeit findet ein Treffen des Koalitionsausschusses statt, bei dem sich Union und SPD zur Wahl von Thomas Kemmerich (FDP) zum Thüringer Regierungschef durch AfD, CDU und FDP beraten.
Die Kritik der Demonstranten richtet sich an Politiker von CDU und FDP, auf Transparenten und Pappschildern steht unter anderem "Rechte Hetze tötet. Ihr macht sie salonfähig", "AFDPKemmerich Rücktritt jetzt sofort", "Mit der AFD zockt man nicht", "History repeating". Bei den Reden sind oft Appelle an die Politik zu hören, Verantwortung dafür zu übernehmen, dass Faschisten nie wieder politischen Einfluss bekommen. Die Redebeiträge auf der Kundgebung ernten viel Beifall. Auch Irmela Mensah-Schramm ist vor Ort, sie wurde für Ihre Zivilcourage mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet. Die Berlinerin sagt: "Ich bin eine ganz gefährliche Frau. Ich bin am 9. Oktober 2019 zu einer hohen Geldstrafe verurteilt worden, weil ich in Eisenach eine Menge Naziparolen verändert habe." Sie teilt den Zuhörenden mit, dass sie weiter machen werde - damit, rassistische Botschaften zu entfernen, zu übersprühen oder zu übermalen.
Der Bundesleiter der Naturfreundejugend, Wendelin Haag, kritisiert die Gleichsetzung von der Partei Die Linke mit der AfD: "Wir bekommen immer diese gleiche dumpfdreiste Logik der Hufeisentheorie zu hören, die einen Faschisten wie Herrn Höcke mit einem Demokraten wie Bodo Ramelow gleichsetzt." Anna Westner, eine Bundessprecherin der Linksjugend solid, äußert sich ähnlich: "Was diese Gleichsetzung von links und rechts anrichten kann, hat man in den letzten Tagen ganz deutlich gesehen. Es heißt nämlich, dass die bürgerliche Mitte am Ende lieber mit Faschisten paktiert,als mit Linken zusammen zu arbeiten." Außerdem weist sie auf die Berufserfahrung der Politikerinnen und Politiker der CDU und FDP hin: "Jeder von ihnen hätte sich ausrechnen können, dass Kemmerich ohne die Stimmen der AfD keine Mehrheit bekommen würde. Das war kein Versehen. Sie haben damit gerechnet, dass sie damit durchkommen, weil niemand etwas dagegen sagen würde."
Kevin Kühnert, stellvertretender Parteivorsitzender der SPD und Bundesvorsitzender der Jusos freut sich über die hohe Beteiligung an der öffentlichen Versammlung: "Keine 24 Stunden nachdem wir zu dieser Kundgebung aufgerufen haben, sind so viele von Euch heute hier auf den Platz der Republik gekommen. Diese Reaktion sehen wir bereits seit Mittwoch." An dem Tag fanden bundesweit Proteste statt, unter anderem vor den Parteizentralen der FDP und der CDU.
Kühnert zufolge "merken ganz viele in dieser Gesellschaft, dass etwas Grundsätzliches ins Rutschen gekommen ist, und dass sie nicht mehr still daneben stehen können." In der jetzigen Zeit gehe es um die Frage, ob der Konsens gelte, dass bei allen Unterschieden und bei allen Differenzen eine klare Trennlinie nach rechts-außen gezogen werde. Dieses Prinzip sei mit dem vergangenen Mittwoch in Frage gestellt und Union und FDP müsse beantworten, ob sie bereit sind, in diesen Konsens wieder zurückzukommen. Für Kühnert konnte die Wahl Kemmerichs mit den Stimmen der AfD-Abgeordneten durch zwei Aspekte zustande kommen. Einerseits eine "grenzenlose Naivität" von einigen Abgeordneten, "einfach nicht abschätzen zu können, was passiert", andererseits "billiges Kalkül, auf den Rücken der AfD ins Amt gehievt zu werden".
Für Timon Dzienus, Vorstandsmitglied der Grünen Jugend, müsse die MP-Wahl in Thüringen eingeordnet werden "in eine Zeit des wiederkehrenden Faschismus und des rechten Terrors, gefördert durch die AfD und viel zu lange nicht bekämpft". Für den Satz "Nein, es geht hier nicht um die Wahl eines FDP-Manns, nein, es geht um das Paktieren mit Faschisten" bekommt er viel Applaus. Der Tag an dem Kemmerich gewählt wurde, gehe in die Geschichte ein als der Tag, an dem "selbsternannte Konservative und Liberale" mit dem demokratischen Konsens "Nie wieder" brachen. Es sei auch ein Wendepunkt: "Der Tag an dem wir angefangen haben, entschlossen für gesellschaftliche parlamentarische Mehrheiten außerhalb von CDU und FDP zu kämpfen." Die Demonstration wurde von einem großen Bündnis unterstützt, wie "Aufstehen gegen Rassismus Berlin", die DGB Jugend und Fridays for Future.
Kurze Zeit später macht die Nachricht die Runde, dass Kemmerich mit sofortiger Wirkung von seinem Amt als Ministerpräsident zurückgetreten ist. Die Protestwelle starker Empörung, die in vielen Städten seit Mittwoch Nachmittag stattfand, hat zu dieser Entscheidung beigetragen. In einer Pressemitteilung teilte die FDP mit, dass Kemmerich auf die Bezüge als Ministerpräsident verzichtet.