Nichts Bessers weiß ich mir an Sonn- und Feiertagen …
Kommentar zur Behandlung des Iran-USA-Konflikt in den Medien
Die Meldungen aus dem Nahen Osten überschlagen sich wieder mal: Raketenangriff auf einen irakischen Stützpunkt der Amerikaner, bei dem ein Militärangehöriger getötet wird, US-Bombardement auf den Stützpunkt einer Milizengruppe, versuchter Sturm auf die US-Botschaft in Bagdad, Tötung des iranischen Generals im Irak usw. Alles wird in der Öffentlichkeit ausgiebig kommentiert - unter der Frage, ob die Kriegsgefahr nun steigt oder fällt oder ob es sich nur um (Vor-)Wahlkampfgetöse von Seiten Donald Trumps handelt, um Gesichtswahrung der Iraner etc.
Dass bei der ganzen Aufregung eine hammerharte Parteilichkeit unterstellt ist, gilt als Selbstverständlichkeit. Doch genau die sollte man einmal ins Visier nehmen.
Als ein Gespräch von Krieg und Kriegsgeschrei
Zugespitzt hat sich die Auseinandersetzung zwischen dem Iran und den USA mit der Tötung von General Soleimani. Bewertet wurde dies von einigen Kommentatoren - so von der SZ - als kriegerischer Akt, schließlich wurde ein hoher Vertreter einer anderen Regierung getötet. Als kritisches Organ untersucht das Blatt dann genauestens, wer das Opfer war, und wird fündig:
Der 62 Jährige war der Kommandeur der Al-Quds-Brigaden, der für Auslandseinsätze zuständigen Elitetruppe der iranischen Revolutionsgarden. Doch das beschreibt die Bedeutung des Mannes nur unzureichend. Er war der maßgebliche Architekt der iranischen Regionalpolitik. Er hat Irans Strategie entwickelt, die sich auf verbündete Milizen stützt, vor allem im Irak, in Syrien und Libanon. Er war das Mastermind hinter der "Achse des Widerstands" gegen Israel und die USA.
SZ
Der so beschriebene war also einer, der für eine Politik stand, die vom Westen und nicht nur von den USA als expansiv und damit nicht hinnehmbar betrachtet und bekämpft wird. Einfluss auf andere Länder zu nehmen und sich so eine politische Einflusssphäre zu verschaffen, gehört sich in den Augen westlicher Journalisten nicht. Dass die USA in der ganzen Welt Einfluss nehmen und versuchen die Politik anderer Länder zu beeinflussen oder zu bestimmen, ist bei dieser Betrachtungsweise allerdings als selbstverständlich unterstellt.
Auch dass Deutschland mehr "Verantwortung" in der Welt übernehmen will, ist aus diesem Blickwinkel nicht dasselbe wie das Bestreben des Irans. Deutschlands Einmischung in die Politik anderer Länder gilt vielmehr vor diesem Hintergrund immer als etwas Gutes, während das Gleiche von Seiten des Iran als ein einziges Verbrechen gekennzeichnet wird. Und wenn dann der Kopf einer solchen Politik getötet wird, trifft es offenbar den Richtigen - wobei dann nur noch die Frage übrig bleibt, ob dies nun die eigene Sache befördert oder nicht.
Deutlicher wird in der Darstellung des Opfers des amerikanischen Militärschlags die WAZ, ein Organ der Funke Mediengruppe: "Er war der wichtigste General der Mullahs - Israel sah in ihm den 'Mastermind des Terrors'." Nun ist es die Aufgabe eines jeden Generals, die Vernichtung seiner Feinde zu organisieren; das fällt normalerweise unter den beschönigenden Titel der Landesverteidigung. Von daher stellt sich die Frage: Wann ist ein General ein Terrorist und wann nicht?
Am Töten anderer Menschen, ob Soldaten oder Zivilisten, kann es nicht liegen. Dann würden israelische Politiker und amerikanische Präsidenten genauso darunter fallen, schließlich sind die militärischen wie zivilen Opfer israelischer Militäraktionen gegen Palästinenser, Syrer oder Iraner zahlreich und bei den von amerikanischen Präsidenten angeordneten Tötungen von Feinden Amerikas fällt auch immer eine erhebliche Zahl ziviler Opfer an. Die Unterscheidung zwischen einem "normalen" General und einem Terrorgeneral muss sich daher anderen Kriterien verdanken als der Betrachtung ihrer Blutbäder. Als Terroristen werden immer die Gegner bezeichnet, denen das Recht auf Einsatz militärischer Mittel abgesprochen wird. Und deutsche Journalisten haben offenbar kein Problem damit, die von den maßgeblichen Politikern vorgegebene Betrachtungsweise zu übernehmen und sich als deren Sprachrohr in Sachen Feindbildpflege zu betätigen.
Bild am Sonntag, die Zeitung aus dem Hause Springer, trägt dies denn auch gleich offensiv vor:
Islamisten trauern um Terror-General… Es sind gespenstische Szenen, eingefangen in der irakischen Hauptstadt Bagdad. Zehntausende haben sich versammelt, sie tragen Schwarz, ihre Gesichter sind wutverzerrt. Sie brüllen "Tod für Amerika, Tod für Israel!" und fordern Rache.
BamS, 5.1.20
Demonstranten sind eben nicht Demonstranten. Wenn sie sich gegen die irakische Regierung wenden - wie die Woche davor -, drückt sich in ihnen der Volkswille aus, wenn jetzt die Massen auf die Straße gehen, dann zeigt sich schon im Äußeren dieser Menschen, dass sie für eine schlechte Sache eintreten. So kommen Journalisten ohne jedes Argument aus, um dem Leser klarzumachen, wo der Feind steht und wer trotz Blutbad der Gute ist.
Wenn hinten, weit, im Nahen-Osten
In Jubel über den erfolgreichen Schlag gegen den Feind aus dem Iran bricht jedoch keiner aus, stattdessen ergehen sich die meisten in besorgten Szenarien. So sieht der Kommentator der SZ den größeren Zusammenhang:
Iran und USA sind in einem Konflikt verstrickt, der schon vor nunmehr 40 Jahren begonnen hat und mit der Tötung von Qasim Soleimani seinen Höhepunkt noch lange nicht findet.
Stefan Kornelius in der SZ vom 4./5./6.1.20
Und bei solchen Verstrickungen sind anscheinend keine Absichten erkennbar, die die beiden Parteien verfolgen und die zu dem Konflikt geführt haben, sondern allenfalls Handlungen, die entweder den Konflikt verschärfen oder mildern. Und so findet der Kommentator auch gleich jede Menge Irrationalität:
Am Beginn der jüngsten Phase des Konflikts standen der Rückzug der USA vom Nuklearabkommen und die radikale Isolation Irans von der Weltwirtschaft - eine Entscheidung, die rational wirklich nicht nachvollziehbar war und bei Donald Trump nur mit der vollständigen Ablehnung der Politik seines Vorgängers erklärt werden kann.
Stefan Kornelius
Warum Donald Trump die Politik seines Vorgängers ablehnt, braucht der Kommentator ebenso wenig zu erklären wie die Gründe für die Kündigung des Nuklearabkommens. Der Mann im Weißen Haus ist eben irrational. Was aber nicht bedeuten soll, dass damit für den Iran Partei ergriffen würde, auch der bekommt sein Fett weg:
Nicht weniger Verantwortung trägt aber auch der Iran, der parallel zu den Nukleargesprächen eine aggressive und terroristisch unterfütterte Nachbarschaftspolitik entwarf, mit General Soleimani als Kopf und Antreiber.
Stefan Kornelius
In bekanntem Muster wird die Politik, die nicht gefällt, als aggressiv und terroristisch bezeichnet - obgleich sie sich im Einsatz von Gewalt nicht von der Gegenseite unterscheidet -, um beiden Seiten anzulasten, dass sie nicht den Zweck verfolgen, den deutsche Journalisten als den übergeordneten in jedem Konflikt ausgemacht haben wollen: den der Konfliktlösung. Ganz unabhängig von jedem Inhalt eines Konfliktes treten so kritische Beobachter an, um den handelnden Akteuren vorzuhalten, dass sie diesem Zweck nicht nachkommen. Mit dieser etwas gouvernantenartigen Tour nach dem Motto "Vertragt euch doch endlich!" liegt das kritische Blatt aus München ganz auf der Regierungslinie:
Die Bundesregierung rief zur Deeskalation auf. "Angesichts der jüngsten Entwicklung sehen wir die Gefahr einer Eskalation", sagte Vizeregierungssprecherin Ulrike Demmer. Es komme darauf an, "mit Besonnenheit und Zurückhaltung zu einer Deeskalation beizutragen". Ein Sprecher des Auswärtigen Amts sagte, die Regierung teile zwar die Kritik der USA an der "destruktiven Politik Irans" und habe den Angriff proiranischer Demonstranten in Bagdad "scharf verurteilt". Deutschland habe sich jedoch nicht der USA-Politik des maximalen Drucks auf Teheran angeschlossen.
WAZ, 4.1.20
So verteilt die Regierung sehr dosiert Kritik wie auch Solidarität. Während der Iran scharf verurteilt wird, ist die Tötung eines ihrer Generäle eine Politik maximalen Drucks und wird so verharmlost. Gleichzeitig wirft sich die deutsche Regierung in die Pose eines Richters über die Parteien - ganz so, als ob sie nicht selber längst Partei wäre, allerdings eine, die nur wenig in die Waagschale zu werfen hat, woran die Nation übrigens zunehmend leidet.
Die Völker aufeinander schlagen
So stellt sich die Frage, was der Krieg für Deutschland bedeutet: "Drohen jetzt auch bei uns Anschläge?" fragt Bild am Sonntag (5.1.20) und sieht auch unsere Handelsrouten gefährdet. Warum angesichts der Auseinandersetzung zwischen Iran und USA ausgerechnet Anschläge in Deutschland stattfinden sollen, bleibt das Geheimnis des Blattes aus dem Hause Springer. In dessen Logik handelt es sich beim Iran um ein Terrorregime und da weiß man natürlich nie, was die machen. So erweist sich Deutschland als ein mögliches Opfer des Konfliktes, womit die Regierung natürlich zum Handeln verpflichtet ist, auch wenn sich gerade an dem Konflikt zeigt, dass Deutschland und Europa wenig einzubringen haben, um den Konflikt zu lösen.
Die Aufforderung des irakischen Parlaments an alle Länder, ihre Truppen aus dem Land abzuziehen, stellt dann die deutschen Politiker vor neue Herausforderungen. Haben sie es doch gerade erst geschafft, sich durch ihre Aufklärungsflüge und militärischen Ausbilder in der Region zu installieren und sich so als mitbetroffene wie mitentscheidende Macht ins Gespräch zu bringen. Die Reaktion der beteiligten Mächte legt zudem offen, was die Kalkulationen der verschiedenen Parteien sind.
Man steht am Fenster, trinkt sein Gläschen aus
Das Votum des irakischen Parlaments zum Abzug aller ausländischen Truppen wird zunächst von den betroffenen Ländern als ein Votum an die irakische Regierung genommen - und damit als eine noch offene Sache, die nicht unbedingt ernst zu nehmen ist, eingestuft. Gleichzeitig stellt der US-Präsident klar, dass er die Abzugsforderung mit ökonomischen Sanktionen und der Forderung nach Kostenerstattung für den Bau des US-Stützpunktes im Irak (es geht um Milliarden Dollar!) begegnen will.
Er dokumentiert damit ein weiteres Mal, dass es in der US-beherrschten Welt nur eine eingeschränkte Souveränität der Staaten gibt und diese sich nach den Vorgaben der USA zu richten haben. Andernfalls bekommen sie es mit der ökonomischen und militärischen Erpressungsmacht der USA zu tun. Und in dieser Weltordnung ist für Staaten, die aus eigener Macht ihre Stellung in der Welt behaupten wollen, kein Platz, sie werden mit der Gegnerschaft der USA konfrontiert.
Der Iran hat sich diese Gegnerschaft nicht etwa wegen seiner expansionistischen Politik verdient, sondern weil die iranischen Staatslenker in ihrer islamischen Revolution den mit den USA verbündeten Schah gestürzt und sich damit gegen ihre Statuszuweisung durch die USA gewandt haben. Die Weigerung, den Status einer minderen, weisungsgebundenen Macht anzuerkennen, ist die Todsünde des Regimes. Die Tatsache, dass sich der Iran als Schutzmacht aller Schiiten begreift und damit seine Zuständigkeit in der Welt über die eigenen Grenzen hinaus definiert, ist nichts Ungewöhnliches. Sie stellt ihn in einer Reihe mit Ländern wie Saudi-Arabien, das sich als Schutzmacht der Sunniten sieht, oder Israel, das mit seiner Zuständigkeit für alle Juden ebenfalls seinen Machtanspruch nicht auf das eigene Staatsgebiet beschränkt. Doch während diese beiden Länder das unter der Lizenz der USA betreiben, hat der Iran seinen Anspruch eigenständig und gegen die Weltführungsmacht formuliert und sich damit deren Gegnerschaft eingehandelt. Damit findet sich Iran in einer Reihe mit Ländern wie Kuba, China, Nordkorea, Russland oder Venezuela wieder, die alle als Feinde der von den Amerikanern eingerichteten Weltordnung eingestuft sind und behandelt werden - wenn auch je nach Stärke in unterschiedlichem Maße.
Deutschland und die Europäer sind in diese Weltordnung als Mitmacher und Profiteure der von den USA dominierten Welt eingeordnet. Als Profiteure sind sie zunehmend der Kritik der USA ausgesetzt, als Mitmacher zur stärkeren Lastenübernahme aufgefordert. Und mit dieser Rollenzuweisung sind die führenden Länder der EU, Frankreich und Deutschland, mittlerweile immer unzufriedener. Aus der Aufforderung nach größerer Übernahme von Rüstungskosten will vor allem Deutschland eine Aufwertung der eigenen militärischen Position machen, weswegen der Streit um die 2 % Rüstungsausgaben vom Bruttoinlandsprodukt inzwischen weitgehend verstummt und Planungen für die Umsetzung gewichen ist.
Im aktuellen Streit zwischen Iran und USA will Deutschland seine gerade erst gewonnene Position im Nahen Osten auch nach der Aufforderung durch das irakische Parlament nicht aufgeben. Die Ausbildung der irakischen Kurden war sowieso unabhängig von der irakischen Regierung in Angriff genommen worden, was eine Stärkung der Autonomie gegen die irakische Zentralregierung bedeutete. Der wurde später das Angebot unterbreitet, auch die eigenen Polizei- und Sicherheitskräfte auszubilden. Dieses Angebot wird nun nach dem Parlamentsbeschluss rückgängig gemacht - ohne den Bezug auf diesen Beschluss, sondern mit der Begründung eigener Sicherheitsinteressen.
Auch findet kein Rückzug aus der Region statt, sondern eine Verlegung auf andere, benachbarte Stützpunkte, über die Deutschland inzwischen im Nahen Osten verfügt. Der Einsatz im Kurdengebiet ist jedoch nicht davon berührt und dokumentiert so, dass Deutschland auch gegen den Willen der irakischen Regierung die Autonomiebestrebungen der Kurden für sich nutzen will. Insofern unterscheidet sich das Vorgehen Deutschlands gegenüber der Souveränität des Irak allenfalls im Stil von der Behandlung dieses Landes durch die USA.
Und sieht den Fluss hinab die bunten Schiffe gleiten
Nach dem Raketenangriff des Iran auf zwei Militärstützpunkte im Irak, die auch die Amerikaner nutzen, und der nachfolgenden Erklärung von Präsident Trump zeigt sich die Welt erleichtert. Dabei sind die Signale, die beide Parteien gesandt haben, alles andere als friedlich. Mit den Raketenschlägen auf die Stützpunkte - unter vorheriger Ankündigung - hat die iranische Regierung gezeigt, dass sie jeden Stützpunkt der Amerikaner in der Region angreifen kann, aber eine Eskalation der Auseinandersetzung nicht anstrebt, deshalb die Ankündigung. Präsident Trump seinerseits hat seine Gegnerschaft zum Iran unterstrichen, indem er die wirtschaftlichen Sanktionen verschärft. Also: Alles andere als ein friedliches Miteinander!
Nur gemessen an einer offenen militärischen Auseinandersetzung erscheint die aktuelle Situation als friedlich und hoffnungsvoll. Die USA halten daran fest, dass sich der Iran keine Atomwaffen verschaffen darf und jede eigenständige Politik in der Region aufzugeben hat, unter dieser Bedingung bietet er Frieden an und damit Handel und Wandel. Der Iran besteht auf seiner eigenständigen Politik und hält sich die Option offen, zur Selbstbehauptung angesichts der amerikanischen Drohungen das atomare Rüstungsprogramm wieder aufzulegen.
Hoffnung schöpft Deutschland, weil es in der aktuellen Situation wieder einmal die Möglichkeit entdeckt haben will, sich als diplomatischer Vermittler - als "ehrlicher Makler", wie die von Grund auf verlogene Bismarck-Phrase seit den Kolonialkonferenzen Ende des 19. Jahrhunderts bis heute lautet - ins Spiel zu bringen. Ein Dienst übrigens, den niemand bestellt hat!
Dann kehrt man abends froh nach Haus.
(frei nach Goethes Osterspaziergang im Faust)
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