Nichts wird so bleiben wie es ist

Seite 3: Greta

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Vor Jahresfrist setzte sich ein 15-jähriges Mädchen namens Greta Thunberg mit dem Schild "SKOLSTREJK FÖR KLIMATET" (Schulstreik für Klima) allein vor den schwedischen Reichstag, zuerst täglich, dann nur noch freitags. Greta fand bald Unterstützer. Kürzlich demonstrierten weltweit Abermillionen für das Klima (allein in D 1,4 Millionen). Im September 2019 hielt Greta den bei der UNO versammelten Staats- und Regierungschefs den Spiegel vor und kritisierte in einer (im besten Sinne un-verschämten) Rede das Klimaversagen der Politik. Greta war fortan Favoritin für den Friedensnobelpreis. Man fragt sich: Wie konnte all das in so kurzer Zeit geschehen?

An Gretas Botschaft allein kann es nicht liegen. Denn diese Gedanken kennen auch die Angelas, Olafs, Emmanuels und Wladimirs dieser Welt (bei Donald bin ich mir nicht sicher...). Gretas Erfolgsgeschichte kann nur mit ihrer Authentizität und ihrem Charisma erklärt werden.

Gleichwohl ist die Verengung der Diskussion auf Greta falsch. Greta ist nicht der Urknall des globalen Klimaprotests, sondern sie ist die Stimme eines reifenden weltweiten Erkenntnisprozesses. Greta bündelt die Sorgen vieler, vor allem junger Menschen. Der gegen Greta gerichtete Vorwurf, sie mache keine konkreten Vorschläge, zeugt von einem großen Missverständnis. Es ist nicht Aufgabe demonstrierender Schüler, konkrete Pläne vorzulegen. Ihre historische Aufgabe ist es, Versäumnisse zu erkennen, zu mahnen und ein radikales Umdenken einzufordern.

Es war die verfassungsmäßige Aufgabe von Schmidt, Kohl, Schröder, Merkel & Co. die Zukunft konkret zu gestalten. Hierzu hatten sie einen Wählerauftrag. Dieser Aufgabe waren sie nicht gewachsen. Insofern gleichen sie den Bushs, den Clintons, den Putins und Bolsonaros. Der Twitterer im Weißen Haus spielt auch hier in einer eigenen Liga.

Sache für Profis

Es ist unübersehbar. Wo die Politik vorangehen sollte, beschwichtigte sie. Wo sie entscheiden sollte, moderierte sie das Thema Klima absichtsvoll in die Warteschleife von Kommissionen und Fachausschüssen. In Sonntagsreden wurden die Vorturner der Politik nicht müde, die Bedeutung des Klimaschutzes zu beschwören (Merkel: "Menschheitsherausforderung"). Am Montag drauf warnten die gleichen Leute im Plenarsaal vor deutschen Alleingängen, das schaffe Wettbewerbsnachteile für die deutsche Wirtschaft. Und koste Arbeitsplätze. Ergänzend hierzu schwadronierten sie in Sitzungspausen über die Notwendigkeit von Sanktionen für Klimaschulschwänzer. Natürlich zum Besten der unreifen Schüler …

Ein durch besondere Klugheit Ausgezeichneter, der FDP-Vorsitzende Christian Lindner, sagte mit Blick auf Greta und die Bewegung "Fridays for Future", Klimaschutz sei eine "Sache für Profis", Schüler sollten sich lieber in der Schule "über physikalische sowie technische und wirtschaftliche Zusammenhänge informieren". Das war dämlich und dreist zugleich. Denn Lindner gehört mit seinen neoliberalen Scheuklappen zum Club derjenigen, die dazu beitrugen, die Erde klimatechnisch gegen die Wand zu fahren. Schuldmindernd kann man Lindner jedoch zugutehalten, dass er nicht die moralische Reife und Weitsicht des 15-jährigen Mädchens Greta hat.

Peter Vonnahme war bis zu seiner Ruhestandsversetzung 2007 Richter am Bayerischen Verwaltungsgerichtshof in München. Er ist Mitglied der deutschen Sektion der International Association of Lawyers Against Nuclear Arms (IALANA). Von 1995 bis 2001 war er Mitglied des Bundesvorstands der Neuen Richtervereinigung (NRV). In den letzten Jahren war er publizistisch tätig.