Niederländische Ladenbesitzer ignorieren harten Lockdown
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Ladenbesitzer im Grenzgebiet müssen mitansehen, wie ihre Kunden nach Deutschland und Belgien abwandern. Am Samstag wollen sie ihre Geschäfte aus Protest öffnen. Mehrere Städte wollen das tolerieren. Wie wird die neue Regierung reagieren?
Die Niederlande sind seit 19. Dezember in einem harten Lockdown (Last-Minute-Lockdown in Niederlanden löst Chaos in Städten aus). Begründet wurde die Maßnahme mit dem hohen Arbeitsdruck im Gesundheitssektor und der zunehmenden Verbreitung der Omikronvariante des Coronavirus.
Doch, obwohl die Regierung schon seit November die Maßnahmen immer weiter verschärfte, nahmen die Neuinfektionen immer weiter zu: Erst am 11. Januar meldete das Reichsinstitut für Gesundheit (RIVM) für die Woche vom 3. Januar die Rekordzahl von 201.535 positiven Coronatests. Das waren 77 Prozent mehr als in der Woche davor.
Gleichzeitig sank allerdings die Anzahl der Neuaufnahmen in Krankenhäusern. Laut dem Reichsinstitut liegt das an dem relativ kleinen Anteil älterer Menschen unter den Neuinfektionen. Vor allem diese Gruppe habe ein höheres Risiko für einen schweren Krankheitsverlauf. Was die hohe Anzahl der Omikronfälle für die Krankenhäuser bedeute, lasse sich jetzt noch nicht abschätzen.
Abnehmender Gehorsam bei Ladenbesitzern
Nun machen Meldungen über Ladenbesitzer die Runde, die sich nicht mehr an die Coronamaßnahmen halten. So waren am vergangenen Samstag und Dienstag im grenznahen Städtchen Sittard, nahe Geilenkirchen und Heinsberg, schon einige Geschäfte offen.
Am Dienstag beendeten dann aber rund 15:30 Uhr die Aufsichtsbehörden den Verstoß gegen die Coronamaßnahmen. Die Ladenbesitzer beschwerten sich darüber, dass es für sie zu wenig Unterstützung gibt. Allerdings stellen sich jetzt auch mehr Stimmen aus der Politik auf ihre Seite.
Beispielsweise verwies der Abgeordnete Eddy van Hijum von der nördlicher gelegenen Provinz Overijssel auf die Situation im Grenzgebiet: "Wenn du deinen Umsatz ein paar Kilometer weiter hinter der deutschen Grenze verschwinden siehst, führt das zu enormer Frustration."
Schon seit Längerem gibt es Meldungen über niederländische Kunden und Partygänger, die (vor allem im Süden) nach Belgien oder (im Osten) nach Deutschland ausweichen. Vereinzelt haben sich sogar Busunternehmen auf solche Reisen spezialisiert. Die niederländische Bahn rief an Wochenenden die Bevölkerung dazu auf, wegen stark überfüllter Züge nicht mehr nach Belgien zu reisen.
Das führt natürlich die Absicht der Einschränkungen ad absurdum, die die Mobilität der Menschen – und damit die Verbreitung des Virus – reduzieren sollen. So lange die Grenzen zu den Nachbarländern offen sind, erscheint ein harter Lockdown im Alleingang daher als nicht sehr realistisch.
Auch auf höherer politischer Ebene dreht sich die Stimmung. Die Niederlande haben jetzt seit rund einem Jahr endlich wieder eine ordentliche Regierung, das Kabinett Rutte IV. Die Vorgängerregierung war wegen eines langjährigen Rassismus-Skandals bei den Finanzbehörden im Januar 2021 formell zurückgetreten und nur noch geschäftsführend im Amt.
Sowohl der bürgerlich-liberale (D66) als auch der christdemokratische Koalitionspartner (CDA) von Mark Ruttes neuer Regierung sprach sich nun dafür aus, die Sorgen der Unternehmer stärker zu berücksichtigen. Der Abgeordnete Mustafa Amhaouch (CDA) warf in der öffentlich-rechtlichen Nachrichtensendung Nieuwsuur, vergleichbar mit den Tagesthemen, sogar die Frage auf, wie lange die harten Regeln noch durchzuhalten sind.
Für den kommenden Samstag mehren sich nun die Berichte über Geschäfte, die sich nicht mehr an den harten Lockdown halten wollen. So wollen in Didam, nahe der deutschen Grenze bei Emmerich, rund zwanzig Geschäfte und Gastwirtschaften ihre Türen öffnen. Die Gemeinde wolle gegen diese Übertretungen nicht einschreiten.
Aus den größeren Städten gibt es zwar noch keine Meldungen, doch an immer mehr kleineren Orten wollen sich Unternehmer an ähnlichen Aktionen beteiligen: Aalten, Apeldoorn, Geelen, Hilversum, Katwijk, Montferland oder Roermond. Und mitunter werden sie von Bürgermeistern dabei offen unterstützt.
Überregional haben sich nun sogar schon einige Schuh- und Modeketten dafür ausgesprochen, Kundinnen und Kunden wieder in ihre Filialen zu lassen – jedenfalls dort, wo Regelverstöße toleriert werden. Zunächst soll es sich um eine symbolische Aktion für nur einen Tag handeln. Deren Fortsetzung will man aber auch nicht ausschließen.
"Regeln gelten für die Anderen"
In den Niederlanden geht man sowieso eher pragmatisch mit Regeln um. Im Zweifel gelten die nur für die Anderen, nicht für einen selbst. Viele Ausländer wissen auch nicht, dass beispielsweise Cannabis gar nicht legalisiert, sondern nur geduldet wird.
Gerade an Silvester zeigte sich wieder, was viele Bürgerinnen und Bürger von zu viel Vorschriften halten. Das Böllerverbot wurde wie schon im Jahr zuvor mit Verweis auf das Gesundheitssystem gerechtfertigt. Zusätzliche Behandlungen für Verletzungen durch Feuerwerk könne es nicht tragen.
In vielen Städten vergnügten sich aber schon seit November junge Erwachsene tagtäglich mit Böllern. Und in der Silvesternacht waren die Himmel dann bunt erleuchtet und die Luft wegen der vielen Explosionen neblig. Das konnte auch die niederländische Polizei mit der Beschlagnahmung von 205.000 Kilo an Feuerwerkskörpern nicht verhindern. Die (illegalen) Kunden und Verkäufer feierten das Ergebnis als "knallenden Erfolg".
Wenn nun Ladenbesitzer in aller Öffentlichkeit den Regelbruch ankündigen und das nicht nur die Kunden, sondern vereinzelt auch Amtsträger und Abgeordnete unterstützen oder zumindest ihr Verständnis äußern, hat das aber eine andere Dimension.
Die neue Regierung würde dann von Anfang an den Eindruck erwecken, nicht mehr ernst genommen zu werden. Dass die Regierungsbildung die bisher längste in der Geschichte der Niederlande war und am Ende vier Koalitionspartner nötig waren, macht das nicht einfacher.