Niederlande: Entscheidung über Ausgangssperre vertagt
Erste Parlamentskammer debattiert derweil alternative gesetzliche Lösung
Nach einem abenteuerlichen Mittwoch - am Morgen hatte das Den Haager Gericht im Eilverfahren die seit 23. Januar geltende Ausgangssperre für illegal erklärt, am Abend das Berufungsgericht das erstinstanzliche Urteil aber schon wieder ausgesetzt (Ausgangssperre in Niederlanden bleibt vorläufig doch in Kraft) - ging es am Freitag in der Stadt im Westen der Niederlande ruhiger zu: Zuerst durfte die Regierung ihren Standpunkt untermauern, danach die Aktivisten von "Viruswaarheid", die die Regelung gesetzlich angegriffen hatten.
Nach der Mittagspause bekam jede Partei noch einmal eine halbe Stunde, um auf den Standpunkt der Gegenseite zu reagieren. Die Vorsitzende Richterin der dreiköpfigen Kammer, Ratsfrau Tan-de Sonnaville, erklärte dann gegen 14:30 Uhr, man habe nun so viele Argumente gehört, dass man erst in einer Woche schriftlich urteilen werde. Eigentlich war noch am Freitag mit einem mündlichen Urteil gerechnet worden.
Derweil bemühte sich die seit ihrem Rücktritt nur noch geschäftsführend agierende Regierung um eine andere gesetzliche Stützung der Ausgangssperre. Die Zweite Parlamentskammer, vergleichbar mit dem Bundestag, verabschiedete das neue Gesetz bereits mit 115 von 150 Stimmen. Dann debattierte noch die Erste Kammer der Senatoren darüber. Geert Wilders' PVV verärgerte die anderen Mitglieder aber mit der überraschenden Forderung nach einer persönlichen Abstimmung vor Ort, weswegen alle in den Rittersaal in Den Haag kommen mussten.
Da die Koalitionsparteien in der Ersten Kammer mit 52 von 75 Stimmen eine großzügige Mehrheit haben, gilt die Zustimmung als so gut wie sicher. Die Senatorinnen und Senatoren hatten aber noch einige kritische Fragen über die schwere Maßnahme gegen die Verbreitung des Coronavirus und das neue Gesetz gestellt. Die Abstimmung wird für den heutigen Abend erwartet. Da das Berufungsgericht die Entscheidung nun um eine Woche vertagt hat, gibt es zurzeit aber keinen dringenden Grund mehr zur Eile: Die Ausgangssperre ab 21 Uhr gilt juristisch weiterhin.
Bewertung
Auf deren Einführung folgten die schwersten Krawalle in den Niederlanden seit rund 40 Jahren (Niederlande: Schwere Krawalle in mehreren Städten). Die Randalierer dürften wohl kaum auf die Straße gegangen sein, weil sie formaljuristisch an der Begründung der Maßnahme zweifelten, sondern weil sie die Bevormundung satt waren - oder schlicht aus Langeweile und Sensationslust.
Das aufsehenerregende erstinstanzliche Urteil vom Mittwoch kam aber nicht überraschend, da die gesetzliche Begründung der Ausgangssperre schon von verschiedenen Seiten für unzureichend gehalten worden war. Dass "Viruswaarheid" eine stark regierungskritische Position vertritt und auch den Gang vor Gericht nicht scheut, war ebenfalls bekannt.
Dass sich das Berufungsgericht Zeit für eine so weitreichende Entscheidung nehmen will, ist nachvollziehbar. Am Mittwoch hatte es befunden, die Interessen der Regierung würden vorläufig schwerer wiegen. Den formaljuristischen Einwand hätte man wohl heute schon klären können, auch ohne in die inhaltliche Diskussion zur Bedrohlichkeit der momentanen Pandemielage und der Verhältnismäßigkeit der Einschränkungen einzusteigen.
So werden die Kritiker wahrscheinlich unterstellen, das Gericht wolle der Regierung nur Zeit verschaffen. Während die Befürworter der Corona-Maßnahmen den Richterinnen und Richtern wohl dafür danken werden, die Bevölkerung vor dem Virus zu schützen. Ob der Prozessverlauf das Vertrauen in den Rechtsstaat stärkt, möge jeder für sich selbst entscheiden.
Wenn es bis zum nächsten Freitag ein neues Gesetz gibt, was zum gegenwärtigen Zeitpunkt wahrscheinlich ist, könnte das Berufungsgericht das ganze Verfahren wohl schlicht einstellen. Die Frage, ob die veraltete Gesetzeslage illegal ist, wäre damit nämlich praktisch irrelevant. Diese Diskussion bliebe dann den Rechtswissenschaftlern überlassen - und Viruswaarheid müsste wieder von vorne beginnen.