Niederlande: Schwere Krawalle in mehreren Städten

Bild: Mw007/CC BY-SA 4.0

Auch in der dritten Nacht seit Einführung der Sperrstunde zur Eindämmung der Corona-Pandemie kam es zu Ausschreitungen

In den Niederlanden gilt seit Samstag, den 23. Januar 2021 eine Sperrstunde (avondklok): Zwischen 21 und 4:30 Uhr darf man sich nur noch unter bestimmten Bedingungen draußen aufhalten. Zu den Ausnahmen zählen - unter anderem - Arbeit, Reisen ins oder aus dem Ausland, die Teilnahme an Prüfungen, dringende medizinische Behandlungen, Notfälle aber auch das Ausführen eines Hundes. Letzteres muss alleine geschehen.

Beschreibung: "Sperrstunde: Bleiben Sie drinnen." Mit diesem Plakat wirbt die niederländische Regierung für die Einhaltung der jüngst wieder verschärften Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie.

Für die meisten Ausnahmen ist das vorherige Ausfüllen eines Formulars und die Vorlage weiterer Beweisstücke nötig, beispielsweise einer Bestätigung vom Arbeitgeber. Mit dieser Maßnahme sollen die Kontakte weiter reduziert werden. Aus demselben Grund darf man in den Niederlanden zurzeit zuhause auch nur noch einen Besucher am Tag empfangen.

Illegale Versammlung

In der ersten Nacht mit den verschärften Maßnahmen wurden laut niederländischer Polizei über 3.600 Bußgelder (zu je €95) verhängt und 25 Menschen festgenommen, die nicht nachhause gehen wollten oder gewalttätig wurden. Am Sonntagmittag kam es dann zu einer spontanen Versammlung von laut Polizei rund 1.500, laut Medien bis zu 2.000 Maßnahmengegnern auf dem Amsterdamer Museumsplatz. Zwar wurden Demonstrationen mit Verweis auf die Corona-Maßnahmen verboten, doch verabredete man sich über soziale Netzwerke zum "Kaffeetrinken" auf dem öffentlichen Platz.

Die Versammlung wurde von der Polizei aufgelöst und die Menschen mit Wasserwerfern, Reiter- und Hundestaffeln vom Museumsplatz vertrieben. Nur einige Dutzend friedlich auf dem Gras sitzende Protestierende ließ man nach anfänglichem Gerangel und Wasserwerfer-Einsatz schließlich sitzen. Am Abend berichtete die Polizei von 190 Festnahmen. Vorsorglich war der Amtssitz der Amsterdamer Bürgermeisterin extra gesichert worden. (Vom Museumsplatz streamte NH Nieuws live auf YouTube) Einige Bürgerinnen und Bürger kündigten bereits an, nächste Woche wieder "kaffeetrinken" gehen zu wollen.

Krawalle in Eindhoven

Doch die Bilder vom Mittag aus Amsterdam sollten nur der Vorbote schlimmerer Ereignisse werden: Am Nachmittag und Abend kam es in Eindhoven zu schweren Krawallen. Als dort die Polizei eine Versammlung auf dem Platz des 18. Septembers - dieser erinnert an die Befreiung der Stadt durch die Alliierten im Jahr 1944 - auflöste, eskalierte die Situation. Laut dem Bürgermeister haben Menschen dann Waffen gezückt und sind sie damit auf die Polizei losgegangen. Auch seien Steine geflogen. Die Polizei setzte Tränengas ein.

In der anschließenden Straßenschlacht wurden Fahrräder und Autos angezündet, Scheiben eingeschlagen und einige Läden geplündert. Vor allem der Bahnhof wurde schwer verwüstet. Der öffentliche Personennahverkehr kam zum Erliegen. Um 23 Uhr berichtete der fassungslose Bürgermeister den Medien, die Situation sei zu 95% wieder unter Kontrolle. Die Randalierer bezeichnete er als "Abschaum". Man befinde sich auf dem Weg in den Bürgerkrieg und müsse vielleicht bald die Armee im Inneren einsetzen. Laut Medienberichten kam es zu 60 bis 70 Festnahmen.

Unter diesen Eindrücken vom Sonntag fürchtete man zum Wochenbeginn weitere Ausschreitungen in anderen Städten. So verbarrikadierten beispielsweise am gestrigen Montag Ladenbesitzer in der Innenstadt Nijmegens dicht der deutschen Grenze ihre Geschäfte mit Holzlatten oder leeren Regalen. Fans des lokalen Fußballvereins NEC reagierten auf ihre Weise auf Gerüchte, Radikale wollten das Stadtzentrum verwüsten: Die Geschäfte würde man zur Not selbst verteidigen.

Auch dritte Nacht mit Krawallen

Ob das Randalierer abgeschreckt hat? In Nijmegen blieb es in der Nacht vom Montag auf den Dienstag jedenfalls ruhig. Dafür ging es in anderen Städten heiß her. Inzwischen ist von den heftigsten Ausschreitungen seit 40 Jahren die Rede. So waren laut Polizeiangaben in Rotterdam rund 150 bis 200 Randalierer auf den Straßen, schmissen mit Steinen und Feuerwerkskörpern auf Polizisten. Es kam zu Plünderungen und rund 50 Festnahmen. Die Polizei setzte auch einen Wasserwerfer ein. Ein Polizist wurde am Bein verletzt.

In Den Bosch seien es einige Dutzend gewesen, die in einige Läden eindrangen und auf der Straße Feuer legten. Die Polizei blockierte Zufahrtswege, um zu verhindern, dass mehr Randalierer in die Stadt kommen. Im an der Nordseeküste gelegenen Haarlem beschmissen Krawallmacher die Polizei mit Steinen und kam es zu Brandstiftung. Die Ordnungshüter verwendeten Tränengas. In Amsterdam versuchten Randalierer, einen Polizeibus umzuschmeißen, doch behielt die Polizei die Kontrolle.

In Geelen und Zwolle seien jeweils einige hundert Jugendliche durch die Stadt gezogen und hätten Feuerwerkskörper gezündet. In Zwolle, Hauptstadt der Provinz Overijssel, machte sich die Polizei die Geographie zunutze: Das Zentrum ist nämlich nur über eine Handvoll Brücken zu erreichen.

Als Randalierer Pflastersteine aus dem Boden zogen, griffen die Ordnungshüter sofort hart durch und trieben die Krawallmacher auf eine der Brücken, wo bereits andere Polizisten warteten. Der lokale Fernsehsender RTV Oost berichtete, dass jemand - bei 3°C Wassertemperatur - von der Brücke sprang, um der Verhaftung zu entgehen.

Ernüchterung

Am heutigen Dienstag sichten in vielen Städten Ladenbesitzer die Schäden. Mitbürger helfen beim Aufräumen. Landesweit habe es in der dritten Nacht 184 Festnahmen gegeben. Parlamentarier und Regierungsmitglieder unterstreichen heute, dass die Sperrstunde bleibt.

Der Minister für Justiz und Sicherheit, Ferdinand Grapperhaus, verkündete, dass den Krawallmachern Gefängnisstrafen drohen. Der Bürgermeister von Den Bosch hat präventiv den Notstand ausgerufen, um eine Wiederholung der Zustände vom Vortag zu verhindern.

Laut der Nachrichtenseite NOS.nl musste die Polizei seit der Verschärfung der Maßnahmen am vergangenen Samstag in 21 Städten und Gemeinden wegen Randalierern ausrücken, darunter Amsterdam, Arnhem, Breda, Den Haag, Eindhoven, Enschede, Haarlem, Rotterdam, Tilburg und Zwolle.

Allein der weniger dicht besiedelte Norden scheint bisher relativ ruhig zu sein. In der Gemeinde Urk wurde eine Coronavirus-Teststation des Gesundheitsdienstes zerstört, in Enschede ein Krankenhaus mit Steinen beschmissen.

Gewalt im Kontext

Diese Ausschreitungen sind natürlich von Bürgerinnen und Bürgern abzugrenzen, die sich friedlich versammeln, um ihre Unzufriedenheit mit den Corona-Maßnahmen auszudrücken. Umgekehrt werden diese (wegen der Auflagen illegalen) Zusammenkünfte aber auch von gewaltbereiten Menschen benutzt, um die Polizei anzugreifen und Privateigentum zu zerstören. In den Medien hat sich inzwischen die Rede von den "Sperrstundenrandalen" (avondklokrellen) etabliert.

Die Randalierer sind meistens junge Männer und mit Kapuzenpullis, Atemmasken und Schals vermummt. Über Hintergründe und Motive ist bisher wenig bekannt. Es scheint zum Teil schlicht um Sensationslust zu gehen, wobei sich die Täter selbst oder ihre Freunde filmen und die Videos dann online teilen.

Auf einer Aufnahme ist zu sehen, wie ein Pressefotograf in Haarlem aus nächster Nähe einen Stein an den Kopf geschmissen bekommt und die Angreifer wiederholt schreien: "Hau ab! Verschwinde! Schneller!" Sie scheinen die Macht ihrer Masse und Brutalität auszukosten.

Der fassungslose Bürgermeister von Eindhoven sprach in die Kamera, wie er mit Mühe das Image einer Zukunftsstadt der Technologie aufgebaut habe. Das wolle er sich nun von den Randalierern nicht zerstören lassen.

Es scheint aber, dass sich nicht alle mit dieser "Stadt der Technologie" identifizieren können oder wollen. Natürlich entschuldigt das nicht die Angriffe auf die Polizei und auf Privateigentum: Aber wie so oft dürfte es auch hier soziale Hintergründe geben. Denjenigen, die nicht dazugehören, ist jetzt vielleicht langweilig geworden. Die Sperrstunde gibt ihnen nun die Gelegenheit zur Konfrontation mit Polizei und Gesellschaft.