Niedliches Raubtier-Dinobaby
Der Jurajäger mit den Kulleraugen
Die Plattenkalke im Altmühltal haben erneut einen Jahrhundertfund freigegeben: den bislang besterhaltenen fleischfressenden Dinosaurier Europas.
Der letzte und bis heute einzige Fund eines Raubdinosauriers (Theropode) in Süddeutschland, der Compsognathus, liegt fast 150 Jahre zurück. Jetzt wurde ein naher Verwandter von ihm entdeckt, der in mehrfacher Hinsicht ein Knüller ist: Juravenator, der Jurajäger, gehört zu einer neuen Dinosaurierart und -gattung. Er ist der am besten erhaltene Theropode, der jemals in Europa gefunden wurde, und überhaupt eines der wenigen gut erhaltenen Fossilien des oberen Jura.
Obendrein schlägt er ziemlich aus der Art: Er besitzt nämlich keine Federn – für die Forschung eine harte Nuss zu knacken. In der aktuellen Ausgabe von Nature (Vol. 440 vom 16. März 2006, doi:10.1038/nature04579) stellen Paläontologen den kleinen Raubsaurier aus dem Altmühltal vor.
Gut Ding hatte Weile
Eigentlich wollte das Jura-Museum Eichstätt seine Sammlung nur mit ein paar neuen Fossilien aufpeppen. So pachtete man einen Steinbruch nahe dem Örtchen Schamhaupten (südliche Fränkische Alb, Naturpark Altmühltal, Landkreis Eichstätt) und engagierte freiwillige Helfer, dort mit zu graben. Das alles liegt ein paar Jährchen zurück, bereits 1989 begann die Suche nach neuen Versteinerungen. Doch erst 1998 gelang den Gebrüdern Weiss, die seit ihrer Kindheit im Altmühltal nach Fossilien fahnden, der Fund, der allein alle Mühen wert war: Sie entdeckten das rund 150 Millionen Jahre alte, fast vollständige Skelett eines kleinen Dinosauriers. Doch weil das Fossil in einer Kalksteinplatte ruhte, die sehr stark verkieselt und deshalb hart wie Beton war, dauerte seine Freilegung durch den Museumspräparator Pino Völkl bis zum Sommer vergangenen Jahres.
In der paläontologischen Sektion der Ludwig-Maximilians-Universität München wurde der Fund von Ursula Göhlich von der Universität München und Luis Chiappe vom Natural History Museum of Los Angeles County wissenschaftlich begutachtet. Sie tauften ihren Schützling Juravenator starki (Fossil JME Sch 200): Juravenator, weil er im bayerischen Jura-Gebirge jagte, starki, zu Ehren der Familie Stark, der Eigentümerin des Steinbruchs.
Bei dem neu gefundenen Dinosaurier handelt es sich um eine bislang unbekannte, völlig neue Art und Gattung. Wie eine phylogenetische Untersuchung ergab, steht Juravenator dem Compsognathus (Familie der Compsognathiden) verwandtschaftlich sehr nahe. Beide gehören zu den Coelurosauriern und stehen am Anfang der Entwicklung dieser Dinosaurier-Großgruppe.
Dino mit Kindchenschema
Der kleine Jurajäger aus Schamhaupten misst 75 bis 80 Zentimeter vom Kopf bis zur Schwanzspitze und ist bis auf das letzte Drittel des Schwanzes vollständig erhalten. Zu seinen markantesten Körpermerkmalen gehört eine Einbuchtung zwischen der Prämaxilla, also dem Teil des Kiefers, in dem die Schneidezähne sitzen, und den Backenzähnen (Maxilla). Die besitzt kein anderer Dinosaurier. Auffällig sind auch seine kugelrunden Augen. Der zweibeinig laufende Juravenator ernährte sich von Fleisch; dies kann man an den sichelförmig gebogenen und mit geriffelten Schneidekanten versehenen Zähnen ablesen. Kräftige Krallen an Händen und Füßen dienten vermutlich zum Festhalten seiner Beute.
Juravenator war mit Sicherheit ein Jungtier, und zwar ein sehr junges. Paläontologin Göhlich schätzt ihn auf einige Wochen bis Monate. „Wir können das daran erkennen, dass der Schädel im Verhältnis zur Gesamtkörperlänge sehr groß ist, ebenso wie die Augen im Verhältnis zur Schädellänge. Außerdem sind bestimmte Knochennähte noch nicht miteinander verwachsen und die Oberfläche der Knochen ist sehr porös – ein typisches Merkmal von Vögeln, die gerade geschlüpft sind“, erklärt sie im Gespräch mit Telepolis. Wie groß ein erwachsenes Tier wäre, kann die Wissenschaftlerin allerdings nicht genau sagen; es wäre vieles möglich, „schließlich hat auch ein großer T. rex einmal in einem Ei angefangen“. Allerdings lassen die Verwandtschaftsbeziehungen Schätzungen zu: Seine Familienangehörigen, die eher kleinwüchsigen Compsognathiden, wurden zwischen 1,5 und 2 Meter lang.
Schuppen, aber keine Federn
Ein weiteres Merkmal des Fossils hat die Herzen der Forscher höher schlagen lassen: „Unser Juravenator weist am Schwanz Hauteindrücke auf, kleine Pusteln“, so Göhlich. „Solche Reste von Weichteilen sind äußerst selten, weil sie ganz bestimmte Ablagerungsbedingungen voraussetzen. Unter UV-Licht kann man dieses Weichteilgewebe sichtbar machen. Man sieht dabei nicht die eigentliche Haut, die ist natürlich verwest, aber die Weichteile von manchen Fossilien wurden bei der Zersetzung von Bakterienmatten überzogen, die (unter besonders günstigen Umständen) einen Film auf dem Fossil hinterlassen können, und den kann man sichtbar machen.“
Bei dem kleinen Jurajäger zeichneten sich unter dem UV-Licht die Körperumrisse am Schwanz ab – allerdings ohne Hinweise auf Federn, wie es die Wissenschaftler erwartet hätten. Denn bislang gehörten alle Fossilien, die Weichteile und Federstrukturen zeigten, zur Großgruppe der Coelurosaurier. Die Forschung ging also davon aus, dass alle Coelurosaurier gefiedert sind und die Entwicklung der Feder an der Basis der Entwicklung dieser Dinosaurier-Gruppe zu suchen ist. Als Verwandter der Compsognathiden, einer Untergruppe der Coelurosaurier, schlägt Juravenator also ganz offensichtlich aus der Art.
„Für uns stellt sich damit die Frage, ob unsere bisherige Theorie falsch ist, und sich die Federn erst kurz später entwickelt haben“, so Göhlich. „Oder aber ist die Theorie richtig und die Federn haben sich an der Basis der Coelurosaurier entwickelt, wurden aber von manchen Formen wieder verloren. Eine andere Möglichkeit wäre noch, dass die frühen Dinosaurier nicht am ganzen Körper Federn trugen, sondern nur an bestimmten Stellen. Dagegen spricht allerdings, dass auch ein anderer enger Verwandter von Juravenator, der Sinosauropteryx, ein Federkleid trug und auch heutige Vögel am ganzen Leib gefiedert sind.“
Das fehlende Federkleid des kleinen Theropoden wirft viele Frage auf, trotzdem will Xing Xu vom Institut für Wirbeltierpaläontologie und Paläoanthropologie der Chinesischen Akademie der Wissenschaften in Peking die Theorie von den frühen gefiederten Dinosauriern nicht so einfach fahren lassen. In einem News-and-Views-Artikel wirft er ein, dass so genau noch nicht feststehe, wann die Compsognathiden sich von den Theropoden abspalteten und wann genau die Entwicklung von Juravenator einsetzte, vielleicht, so meint er, spaltete er sich noch kurz vorher ab.
Warten auf weitere Funde
Antworten werden nur weitere Fossilfunde aus diesem Zeitalter bringen. Und die sollten möglichst vollständig erhalten sein. Bislang gibt es nur wenig gute Fossilien von kleinwüchsigen Dinosauriern, auch deshalb ist der Juravenator eine enorme Bereicherung. Wer den Raubdinosaurier besichtigen möchte, muss sich allerdings noch etwas gedulden, die Vitrine im Jura-Museum von Eichstätt ist noch nicht fertig.