Noch 250 Tage bis zum 2. WSIS-Gipfel
Die Vorbereitungskonferenz für den 2. Weltgipfel zur Informationsgesellschaft in Tunis ist nach zehn Tagen ermüdender Diskussion mit nur spärlichen Fortschritten zu Ende gegangen
Alles war so schön eingefädelt. Nach dem Chaos der 1. Vorbereitungskonferenz (PrepCom1) im Juni vorigen Jahres in Hammamet hatte Janis Karkelins, der lettische Präsident des Vorbereitungskomitees zum 2. WSIS-Gipfel, sich ein Mandat geben lassen, mit einem kleinen Team, der Group of the Friends of the Chair (GFC), die geplanten Abschlussdokumente von Tunis zunächst im kleinen Kreis vorzubesprechen, um damit den Konsensus zwischen den mehr als 150 involvierten Regierungen zu erleichtern. Aber Karkelins hatte die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Seine "Gruppe der Freunde" hatte weniger Freunde als erwartet und das GFC-Arbeitspapier fiel fast in allen Punkten durch. Schlimmer noch, nur wenige Regierungen hielten sich an die stillschweigende Vereinbarung, die in Genf beim ersten Weltgipfel erzielten Kompromisse erst einmal ruhen zu lassen. Schon nach ein paar Sitzungen fanden sich die Delegierten im verschneiten Genf wieder in zermürbenden Kleinkriegen gefangen über gestelzte Formulierungen zu Menschenrechten, Free and Open Source Software und Zugangstarife für Backbonenetze. Da half auch nicht viel, dass man einen der Stolpersteine von WSIS I - den "Digitalen Solidaritätsfonds" - aus dem Weg geräumt hat. Der substanzlose Kompromiss ist nicht mehr als ein Papiertiger, nachdem die afrikanischen Staaten eingewilligt hatten, diesen Fonds auf freiwilliger Grundlage zu bilden.
Und mehr Unbill steht in den nächsten 250 Tagen ins Haus. Zum kontroversen Thema "Internet Governance" gab es zwar einen von fast allen Seiten gelobten Zwischenbericht der Working Group on Internet Governance (WGIG), aber der Bericht hat sich ja auch noch nicht auf konkrete Empfehlungen festgelegt. In den Statements der Regierungen wurde indes klar, dass bei der Annährung an die Substanz die Fetzen fliegen werden. Chinesen, Brasilianer, Saudis, Iraner und Inder haben, wenngleich mit feinen Nuancierungen im Detail, unisono zum Ausdruck gebracht, dass sie von WSIS II die Beendigung der privilegierten US-Rolle bei der Verwaltung der Kernressourcen des Internet erwarten. Die US-Regierung wiederum - in Genf gleich mit 20 Delegierten und vier Ministerien (Department of State, Department of Commerce, Department of Justice und Department of Defense) vertreten - ignorierte all diese Forderungen nach einer "Internationalen Internet Konvention" oder einer "UNO für das Internet" und drehte weiter mit stoischer Ruhe an der tibetanischen Gebetsmühle mit den sieben US-Grundprinzipien für das Internet: Competition, Private Sector Leadership, Free Flow of Information etc. Zwar ist verständlich, dass die US Regierung primär auf das Auslaufen des Vertrages mit ICANN im Oktober 2006 schaut und dabei weniger die UN Mitglieder als den US Kongress im Nacken spürt, aber eine Überstrapazierung der Geduld der sich nach Internet-Mitspracherechten sehnenden Regierungen in Tunis 2005 könnte fatale und konterproduktive Folgen haben.
Wie weiter nach Tunis 2005?
Zu der langen Liste der kontroversen Themen, die beim zweiten Gipfelaufstieg noch bewältigt werden müssen, gesellen sich auch die Planungen über das Folgeprozedere nach Tunis 2005. Die ITU hat sich selbst ins Spiel gebracht, als Koordinator des in das Jahr 2015 zielenden "Implementierungsprozesses" zu agieren, wenn sie dafür aus dem UN Budget etwas "extra Geld" bekommt. Der Plan sieht vor, für s der 11 Themenfelder des Genfer Aktionsplanes ein "multilaterales Team" zu bilden, das die Entwicklungen in den jeweiligen Sektor kritisch begleitet und jährlich Bericht an den Koordinator erstattet, der dann einen "Weltjahresbericht" daraus filtert und an die UN weiterleitet. Ginge es nach der ITU, würde für jedes "Team" eine UN Spezialorganisation zuständig werden, mit der ITU als oberspezialisierte Super UN Organisation an der Spitze.
Dieses Modell rief zwangsläufig den Protest der anderen "Stakeholder" - Zivilgesellschaft und privater Sektor - auf den Plan, die sich bei einem solchen "Follow Up" ausgegrenzt fühlen. Eine der Innovationen von WSIS I hatte das Prinzip des "Multistakeholderism" als ein Grundprinzip für die globale Informationsgesellschaft verankert. Nach dem ITU-Plan würde dies wieder ausgehebelt werden. Tagelang gab es in Genf vergangene Woche haarspalterische Diskussion darüber, was unter "multistakeholder" zu verstehen sei oder ob es nicht eigentlich "multilateral" heissen sollte. Unter "multilateral" versteht man jedoch das völkerrechtliche Vertragssystem. Und Völkerrechtsubjekte sind nun einmal nur die Staaten bzw. die sie vertretenen Regierungen. Bei "multilateral" also wären die netzwerkartig operierenden nichtgouvermentalen Akteure ausgegrenzt.
So war es nicht überraschend, dass in diesem einen Punkt plötzlich zwischen den eigentlich eher auf Distanz operierenden (und bei Themen wie geistiges Eigentum oder freie Software über Kreuz liegenden) Vertretern des privaten Sektors und der Zivilgesellschaft Übereinstimmung herrschte, dass man die zukünftige Gestaltung der Informationsgesellschaft nicht den Regierungen alleine überlassen dürfe. Erstmalig kamen bei PrepCom2 die beiden Stakeholdergruppen "Civil Society Content & Themes Group" (CS-C&T) und das "Coordinating Committee of Business Interlocutors" (CCBI) - hier Bill Drake, dem Vorsitzenden der "Computer Professionals for Social Responsibility" (CPSR) und dort Ayesha Hassan von der "International Chamber of Commerce" (ICC) - zu einer gemeinschaftlichen Sitzung zusammen. Sie produzierten ein Sieben-Punkte-Papier, dass allen Regierungen am letzten Tag noch mit auf den Weg gegeben wurde und indem sie volle und gleichberechtigte Mitwirkungsrechte forderten. Als Koordinatoren oder Ko-Moderatoren der geplanten "Teams" könnten auch NGOs oder Unternehmen agieren. Und das "Team of the Teams" - d.h. der geplante hochrangige Koordinierungsmechanismus - sollte nach dem Vorbild der WGIG zusammengesetzt werden. Dort sind die Regierungen, Privatsektor und Zivilgesellschaft mit je einem Drittel vertreten, hälftig Nord und hälftig Süd. Das Follow Up sollte auch nicht in die Hände einer einzelnen UN Spezialorganisation liegen, sondern direkt UN Generalsekretär Kofi Annan unterstellt werden.
Zivilgesellschaft mit neuem Selbstbewusstsein
Das selbstbewusste Auftreten der Zivilgesellschaft bei der PrepCom2 gehört zu den signifikanten Fortschritten, die diese einst zerstrittene Anarcho-Truppe mittlerweile vorzeigen kann. Das zwischenstaatliche WSIS-Regierungsbüro machte sogar dem zivilgesellschaftlichen WSIS-Büro seine Aufwartung und die argentinische Botschafterin lud die "Zivilisten" ausdrücklich ein, sich mit Formulierungsvorschlägen an der Ausarbeitung der Tunis-Dokumente zu beteiligen. Ob es jedoch so weit geht, dass in Tunis die Vorstellungen der Zivilgesellschaft gleichberechtigt neben denen der Regierungen in einem gemeinsamen Schlussdokument stehen werden, wie von Tracey Naugthon, Vorsitzende des CS Media Caucus aus Südafrika, gefordert wurde, bleibt abzuwarten. Soviel Mitsprache will man dann wohl doch nicht haben. Insofern wird nun bei der Zivilgesellschaft wieder ernsthaft die Option für ein eigenständiges Schlussdokument diskutiert.
Der Maturisierungsprozess verläuft zwar unterschiedlich, ist aber unübersehbar. Das "Civil Society WSIS Büro" ist dabei sich eine "Charta" zu geben, die einzelnen der über 20 thematischen Caucuse arbeiten an "Mission Statements" und erstmals gab es auch ein ordentliches Wahlverfahren für die "WSIS CS Sprecher". Die Gruppen, die sich mit Menschenrechten und Medien befassen, vereinen mehr als 40 globale und regionale Organisationen die für Hunderttausende Mitglieder sprechen. Sie arbeiten koordiniert und gründlich an der Basis und fangen an, auf der Weltbühne ihre Stimme zu erheben. Der "Media Caucus" hat sich z.B. ausführlich mit den Recht auf freie Meinungsäußerung in Tunesien beschäftigt, eine "Fact Finding Mission" in das Gastgeberland von WSIS II entsandt und einen hundertseitigen Bericht verfasst, der die Selbstdarstellung der tunesischen Regierung konterkariert. Was Diplomaten vielleicht noch unter den Tisch kehren würden, bringen die "Watchdogs" der Zivilgesellschaft ans Tageslicht. Vieles erinnert in der "WSIS CS Community" an die Frühzeit der "Grünen" in Deutschland, nur dass sich diesmal alles global und im Eilzugtempo abspielt.
Auch bei der Diskussion zu "Internet Governance" kam die Zivilgesellschaft mit fakten- und wissensbasierten Statements und besetzte die Lücken, die in den Einlassungen der Regierungen offen geblieben waren: Der "Privacy Caucus" forderte eine stärkeren Datenschutz bei der Nutzung der Whois Datenbank im Internet, der "Media Caucus" prangerte Verletzungen des Rechts auf freie Meinungsäußerung im Cyberspace an, der Human Rights Caucus setzte sich für eine Förderung des Zugangs zum Internet, der "Education Caucus" für kulturelle Vielfalt und Multiligualismus ein. Koordiniert wurde diese "konstruktive Einmischung" vom "Internet Governance Caucus", auf dessen Liste knapp 200 Internetexperten aus aller Welt über Zukunftsoptionen diskutieren. Der dort praktizierte "bottom up" Prozess verschafft den Äußerungen der Vertreter der Zivilgesellschaft, die mit neun Frauen und Männern in der WGIG präsent sind, eine starke Legitimation.
Wie belastbar jedoch die sich entwickelnde neue Multistakeholder Partnerschaft in der Praxis ist, wird sich aber erst noch zu zeigen haben. Einen ersten Test gibt es Mitte Juli 2005, wenn die WGIG ihren Abschlussbericht vorlegt. Dann aber - mit nur noch 100 Tagen bis zum Gipfel - wird die Zeit eng.