Nordafrika: Regionalpolitische Fronten in Bewegung

Blick auf die große Moschee von Algier (unten Mitte). Foto: Bernard Schmid

Friedenspolitik mit arabischen Staaten: Ist der Preis die gegenseitige Bestätigung von Besatzung?

In Nordafrika sind regionalpolitische Fronten, die sich in mittlerer Vergangenheit auch mit internationalen Blockgrenzen deckten, in Bewegung geraten. Bis zum Ende des Kalten Kriegs war insbesondere Algerien außenpolitisch tendenziell mit dem sowjetischen Block verbündet - aufgrund seiner wichtigen Rolle bei der Entkolonisierung engagierte sich das Land aber auch in der Blockfreienbewegung -, während der Nachbarstaat Marokko stark mit den USA und der Ex-Kolonialmacht Frankreich im westlichen Lager liiert war.

Auch nach dem Wegfall der Blockkonfrontation infolge des Zusammenbruchs der UdSSR beharrte Algier auf einer stärkeren Eigenständigkeit gegenüber den westlichen Großmächten (bei gleichzeitigen wirtschaftspolitischen Zugeständnissen, bis hin zum 2005 aufgelegten und später aufgegeben Projekt einer Privatisierung der Öl- und Gasförderung). In jüngster Zeit kam es ferner zu einer Wiederannäherung an Russland, dessen Machthaber wieder nach einer stärkeren weltpolitischen Bedeutung nach der Implosion der 1990er Jahre streben.

Das marokkanische Regime hingegen blieb gewissermaßen der brave Schüler der westlichen oder eher nördlichen Großmächte; der gebräuchliche Begriff "westlich" ist insofern ulkig, als Rabat erheblich weiter westlich liegt als Paris. Zugleich spielten beide, miteinander rivalisierenden Regionalmächte eine Rolle in der Arabischen Liga und setzten sich, zumindest verbal und zu Legitimationszwecken ihrer jeweiligen Regimes, für die Belange der Palästinenser ein.

Marokkos Beziehungen zu Israel

Diesbezüglich gerieten die Dinge jüngst ins Rutschen. Unter Aufgabe der bisherigen Position der Mehrzahl der arabischen und arabischsprachigen Länder, die die Aufnahme diplomatischer Beziehungen einer auch für die Palästinenser erträglichen Lösung im Nahostkonflikt unterordnete, ging Marokko von dieser Linie ab und nahm im Dezember 2020 offizielle Beziehungen zu Tel Aviv auf.

Marokko folgt darin der vorausgehenden Entscheidung der Vereinigten Arabischen Emirate und der Golfmonarchie Bahrain im September 2020.. Hinter den Kulissen leitete auch das politisch-ökonomische Schwergewicht im östlichen Teil des arabischsprachigen Raums, Saudi-Arabien, eine "Normalisierungs"politik gegenüber Israel ein.

Wie auch im Falle der reaktionären Golfstaaten handelt es sich auch beim außenpolitischen Handeln der marokkanischen Monarchie mitnichten um Völkerverständigung, welch letztere mit diesem Tun herzlich wenig zu tun hat. Vielmehr geht es bei dem Deal, den die US-Administration Trump eingefädelt hat, um eine gegenseitige Bestätigung von Besatzungsstaaten in ihrer jeweiligen Okkupationspolitik.

Hauptsächlicher Preis für die Kehrtwende in der marokkanischen Außenpolitik, die nun nicht einmal mehr rhetorisch auf die palästinensischen Belange Rücksicht nimmt, war nämlich die verstärkte offizielle Akzeptanz der Präsenz marokkanischer Panzer in der Westsahara. Die frühere spanische Kolonie wurde 1975, mit dem Zusammenbruch des Franco-Regimes in Madrid, durch Marokko okkupiert. Theoretisch soll dort seit 1991/92 ein Referendum abgehalten werden, das freilich unter gegebenen Umständen am Sankt-Nimmerleinstag stattfinden dürfte.

Die Administration Trump und der Kuhhandel

Die USA, aber auch andere am großen Nah- und Mittelost-Deals beteiligte Staaten wie Bahrain und die Vereinigten Arabischen Emirate werden nun Konsulate in der durch Marokko beanspruchten Westsahara eröffnen und dadurch den Herrschaftsanspruch der Machthaber in Rabat anerkennen.

Eingefädelt hat den politisch-diplomatischen Kuhhandel, der de facto sowohl die Besatzungspolitik im Westjordanland als auch jene in der phosphatreichen Westsahara absegnen soll, die Administration Trump. An Bord des ersten Flugzeugs, das die Strecke Tel Aviv - Rabat beflog, befand sich entsprechend, mit stolzgeschwellter Brust, der Schwiegersohn des Noch-US-Präsidenten, Jared Kushner.

Wo in Algerien das Geld herkommt: Sitz des Energieministeriums (de facto: Erdölministerium). Foto: Bernard Schmid

Algerien, aber auch Tunesien hatten der Maschine der Fluggesellschaft El-Al im Übrigen den Überflug ihres jeweiligen Territoriums verboten. Abgesegnet hat den Deal in Rabat ein islamistisch orientierter Regierungschef, Said-Eddine El-Othmani von der mit der türkischen AKP vergleichbaren (und denselben Namen tragenden) "Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung", PJD.

Was übrigens die marokkanische Linke dazu bringt, darauf hinzuweisen, dies belege, dass die arabische Haltung in der Palästinafrage eben keine Religionsangelegenheit, sondern eine Frage internationalen Rechts und der Haltung zu Kolonisierungspolitik sei.

Proteste gegen den Deal: Linke, Islamisten und Anwälte

Protestdemonstrationen gegen den Deal wurden im Dezember 2020 in Rabat mit polizeilichen Mitteln unterbunden. Gegen ihn opponiert ein nicht unmittelbar ins Regierungsgeschäft eingebundener Flügel der Islamisten.

Aber auch Linke und die couragierte, in den letzten Jahren mit wachsender Repression konfrontierte marokkanischen Menschenrechtsvereinigung AMDH protestieren aus ihn eigenen Motiven, die sich von denen der Islamisten erheblich unterscheiden. Eine Gruppe von Anwälten rief inzwischen den Obersten Gerichtshof des Landes gegen das Abkommen an.

Algier alarmiert

Im Nachbarland Algerien muss der Deal der marokkanischen Monarchie unterdessen wie ein Erdbeben wirken. Sieht das Land sich nun doch politisch einer erheblich gestärkten marokkanischen Monarchie gegenüber, die sich künftig verstärkt auf US-amerikanische Waffen und perspektivisch vielleicht auf israelische Militärtechnologie stützen kann.

Jüngst meldete die marokkanische Zeitschrift Tel-Quel dementsprechend, Marokko werde für eine Milliarde Dollar US-Militärgerät erwerben.

In Algier alarmiert dies die Opposition, und in den sozialen Medien tobt ein Sturm der Entrüstung, welche politisch von unterschiedlichen Seiten kommt. Auch die Regierung sprach von einer "Bedrohung der Sicherheit des Landes".

Israel rücke, liest man in Regierungs- wie in Oppositionskreisen oder in diversen Medien, an die Grenzen des Landes heran.

Hintergrund dafür ist, dass - neben der Annäherung zwischen Rabat und Tel Aviv - daneben drei israelische Militärfirmen den Zuschlag für die technologische Ausrüstung der UN-Truppe Minusma im Sahelstaat Mali erhielten und damit auch an die Südgrenze Algeriens heranrücken.

Die auch innenpolitischen Folgen dieser neuen geopolitischen Situation für Algerien sind derzeit noch unabsehbar. Unterdessen tun sich auch im Inneren des Landes Dinge.

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