Nordirak: Jesiden befürchten erneut Vertreibungen

Seite 2: Die irakische Regierung und die PKK

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Am 7. und 8. Januar gab es in Bagdad ein Treffen zwischen der irakischen Regierung, dem türkischen Premierminister Binali Yildirim, sowie mit der kurdischen Regionalregierung von Barzani. Yildirim und Haider Al-Abadi einigten sich auf einen schrittweisen Abzug der türkischen Truppen aus dem irakischen Militärstützpunkt Baschika bei Mossul und vereinbarten einen gemeinsamen Kampf gegen alle Terrororganisationen.

Der türkische Militärstützpunkt in Baschika hatte Ende 2016 zu Ärger zwischen der irakischen und der türkischen Regierung geführt. Die Türken hatten 150 türkische Soldaten und 20 Panzer in das Militärlager verlegt, angeblich, um die türkischen Militärausbilder in Baschika zu schützen, die dort kurdische Peschmerga und sunnitische Kämpfer im Kampf gegen die Terrormiliz IS trainieren.

Ob die irakische Regierung die PKK nunmehr wie die türkische Regierung ebenfalls als Terrororganisation sieht, ist nicht eindeutig auszumachen. Der irakische Parlamentsabgeordnete Hoschjar Abdullah berichtete, am 14. Januar habe sich Al-Abadi in der Sitzung der Sicherheitskommission des Parlaments folgendermaßen zur Situation im Shengal geäußert:

Die Türkei und Erbil haben Angst und sind eingeschüchtert von der PKK. Unsere Politik ist klar, und wir haben der Türkei gesagt, dass sie unser Land nicht für einen Krieg benutzen können.

Al-Abadi

Noch im Oktober des vergangenen Jahres stellte sich die irakische Regierung in Kirkuk hinter die PKK/HPG und erteilte der Türkei eine Absage, sich an der Mosul-Operation zu beteiligen.

Die KDP-nahe Nachrichtenagentur Rudaw berichtete am 09.01., die PKK stimme nun einem Abzug ihrer Einheiten aus dem Shengal zu, um weitere Spannungen und einen möglichen Einmarsch türkischer Truppen zu verhindern. Rudaw zitierte aus einer PKK-Erklärung:

Die PKK hat den Jesiden geholfen, Selbstverteidigungseinheiten und Selbstverwaltungsorgane aufzubauen. Durch den Aufbau dieser Einheiten und einer unabhängigen jesidischen Verwaltung sind die Aufgaben der PKK für Sindschar erfüllt.

Rudaw

Rudaw beruft sich dabei auf Mohammed Amin Penjweni, einen der PKK nahestehenden Vertreter, der über eine Einigung der KDP mit der PKK berichtete. Dabei soll auch beschlossen worden sein, dass nur die lokalen ezidischen Selbstverteidigungseinheiten YBS und die ezidischen Frauenselbstverteidigungseinheiten zum Schutz der ezidischen Bevölkerung dort verbleiben sollen.

Die irakische Regierung soll sich zudem bereit erklärt haben, den Sold der ezidischen Einheiten zu übernehmen. Dies dürfte weder Barzani noch der türkischen Regierung gefallen, denn diese betrachten die ezidischen Einheiten als verlängerten Arm der PKK bzw. der syrischen PYD, da sie ebenfalls ein demokratisches, föderatives Modell wie in Nordsyrien favorisieren.

Eziden im Shengal für Verbleib der PKK

Am 26. 12.2016 veröffentlichten der 'Rat der Êziden zum Wiederaufbau von Shengal', die 'Partei für Freiheit und Demokratisierung der Eziden' (PADÊ), die 'Bewegung der Freien Frauen Shengals' (TAJÊ) und der 'Rat der Jugend Shengals' eine Erklärung. Sie kritisieren darin die KDP.

Anstatt dass sie die Einheiten der PKK im noch andauernden Kampf gegen den IS im Shengal unterstütze, würde sie gegen die Selbstverwaltungsstrukturen der Eziden vorgehen. Die Guerilla der PKK seien die ersten gewesen, die der Bevölkerung 2014 zur Seite standen. Sie seien nach wie vor die "wichtigsten und erfolgreichsten Kräfte im Kampf gegen die Terrororganisation IS". Ein Abzug der PKK würde dem IS in die Hände spielen.

Auf einem Treffen von 60 Delegierten aus verschiedenen kurdischen Gebieten (Europa, Russland und Armenien) im Shengal vom 25. - 28.12.2016 bekräftigten die Eziden nochmals, dass sie für einen Verbleib der HPG-Einheiten seien, um den Schutz der Eziden im Shengal zu gewährleisten und baten UN, EU und andere internationale Organisationen um Unterstützung in dieser Angelegenheit.

Unterstützung bekamen die Selbstverteidigungseinheiten der PKK/HPG auch vom Verein der Peschmerga-Veteranen: 200 Mitglieder der südkurdischen Veteranengruppe Dêrin Peşmerge gingen mit ihren Waffen in die Kandil-Berge, um dort der PKK ihre Solidarität auszusprechen und von dort aus dem KDP-Repräsentaten Neçirvan Barzani zu erklären, dass sie einen "Geschwisterkrieg" unter Kurden nicht zulassen würden.

Die Peschmerga-Veteranen, die schon 1992 während des Golfkrieges in der Region kämpften, forderten die türkische Regierung auf, ihre Soldaten umgehend aus der Region abzuziehen. Sie sehen als einziges realistisches Mittel, die Region zu befrieden, den Aufruf der Gemeinschaft der Gesellschaften Kurdistans KCK zu einem Nationalkongress.

Die ezidischen Verteidigungseinheiten HPÊ und Frankreich

Die HPÊ ist neben der YPS die zweite der ezidischen Verteidigungseinheiten, die im Zuge des Völkermordes in Shengal gegründet wurde. Mit über 3.500 aktiven Kämpfern und weiteren 3.000 registrierten Freiwilligen ist sie die größte, unabhängige ezidische Einheit. Sie wehrt sich gegen eine Vereinnahmung durch die KDP-Peschmergas von Barzani.

Inzwischen trafen sich der Oberkommandeur dieser unabhängigen ezidischen Verteidigungseinheit Êzîdxans (HPÊ), Heydar Shesho, sowie der Vertreter der Eziden in Frankreich in Paris mit hochrangigen französischen Militärs zu Gesprächen.

Frankreich ist seit 2014 mit Marine- und Luftstreitkräften Teil der Anti-IS-Koalition im Irak. General Vidaud erklärte auf dem Treffen, dass die französische Marine bereit sei, die HPÊ zu unterstützen.

Um die dritte ezidische Einheit von Qasim Sheso, der die Eziden unter dem Kommando der Peschmergas sehen möchte, ist es in den letzten Monaten leise geworden. Man kann davon ausgehen, dass diese Einheit keine große Unterstützung der Eziden hat, sondern dass dies ein gescheiterter Versuch der KDP war, die Eziden zu spalten.