Nordirak: Kurdistan versinkt im Chaos
Seite 2: Das Besondere an Kirkuk
- Nordirak: Kurdistan versinkt im Chaos
- Das Besondere an Kirkuk
- Reaktionen der kurdischen Bevölkerung
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Kirkuk spielt als umstrittenes Gebiet zwischen KRG und irakischer Regierung wegen der Ölquellen eine besondere Rolle. Seit Jahren ist die Zugehörigkeit der multiethnischen Region Kirkuk umstritten. Wegen der Ölquellen hatte Saddam Hussein mittels Zwangsumsiedlungen die Stadt arabisiert.
2014 brachten die Kurden im Kampf gegen den IS wichtige Stellungen in der Region und die Stadt unter ihre Kontrolle. In der Region leben sunnitische Kurden, schiitische Araber und Turkmenen. Wegen der dort lebenden Turkmenen erhebt auch die Türkei Anspruch auf dieses Gebiet. Der Chef der türkischen faschistischen Partei MHP, Devlet Bahceli, erklärte1 am vergangenen Sonntag in Ankara:
Keine Macht kann verhindern, dass Kirkuk die 82. und Mossul die 83. Provinz der Türkei werden.
Devlet Bahceli
Angeblich sollen 5.000 Freiwillige bereitstehen, um die Rechte der Turkmenen in Kirkuk zu verteidigen. Über das Internet verbreiteten sie Fotos der "Grauen Wölfe" mit Maschinenpistolen und Sturmgewehren. Die Grauen Wölfe scheinen generell den Schulterschluss mit der irakischen und iranischen Regierung gegen die Kurden zu versuchen: An der Grenze zwischen Türkei und Irak posierten türkische und irakische Soldaten gemeinsam mit dem Wolfsgruß vor der Kamera.
Die Provinz Kirkuk war nach der Rückeroberung vom IS in der Verantwortung der PUK-Peschmergas. Diese teilten mit, die kampflose Übergabe Kirkuks sei erfolgt, um eine völlige Zerstörung der Stadt zu verhindern, mit welcher der iranische General Soleimani gedroht hatte.
Aus Kirkuk sind die schiitischen Milizen mittlerweile abgezogen und haben ihre eroberten Stellungen dem irakischen Militär und der Polizei übergeben. Wie diese allerdings nun mit den ethnischen und religiösen Minderheiten in dieser aufgeheizten Situation umgehen, bleibt abzuwarten. Von Entwarnung kann nicht die Rede sein.
Unübersichtliche Berichterstattung lässt kaum seriöse Analysen zu
Die verschiedenen kurdischen Fraktionen im Nordirak agieren zum Teil chaotisch und irrational, auch innerhalb ihrer eigenen Lager. Der Barzani-Clan gab sich trotzig und rief zum Durchhalten für sein "Kurdistan" auf. Am Dienstag jedoch kündigte Barzani an, das Ergebnis des Referendums zurückzuziehen und bot der irakischen Regierung einen Waffenstillstand an.
Die oppositionelle Goran-Partei, die Barzani wegen ihrer Demokratiebestrebungen vor die Tore Erbils verwiesen hat und die gegen das Referendum war, ist abgetaucht und scheint keine Rolle in dem Konflikt zu spielen. Der größte Widersacher der Barsani-Partei KDP, der mächtige Talabani-Clan mit der PUK-Partei, stimmte dem Referendum nur zähneknirschend zu, andere Quellen sagen, sie hätten es abgelehnt, weil damit der Barzani-Clan nur seine Macht zementieren wollte.
Nun mehren sich die Stimmen, dass die PUK einen Deal mit der irakischen Zentralregierung gemacht haben soll. So soll es Absprachen gegeben haben, wonach sich die PUK-Peschmerga kampflos von ihren Stützpunkten bei Kirkuk, zurückgezogen haben. Hemen Hawarmi vom Parteikomitee der KDP (Barzanis Partei) sprach vom "Verrat einiger kurdischer Beamter", die die Eroberung durch die irakische Armee und Hashd al Shaabi erst möglich gemacht haben. Dafür spricht die Aussage des PUK-Kommandanten Shex Jaafar: "Ich habe die Peshmerga aus Kirkuk zurückgezogen, nicht Barzani."
Der von der irakischen Regierung abgesetzte kurdische Gouverneur der Provinz Kirkuk behauptete, Jalal Talabanis Söhne hätten sich mit der irakischen Regierung verbündet und hätten ihn ermorden wollen. Jalal Talabani (PUK), traditioneller Stammesführer wie auch Barzani, war kurz vor Ausbrechen des Konflikts verstorben.
Qasim Shesho, ehemals PUK-Mitglied und Peschmerga-Kommandant im Shengal, schloss sich mit seiner ezidischen Einheit der KDP an. Kurz vor dem Angriff der irakischen Armee und der schiitischen Milizen mit engen iranischen Verbindungen (PMU), zog er sich mit seiner Peschmerga-Einheit aus dem Shengal zurück.
Teile der Bevölkerung reagierten empört, sie fühlten sich an 2014 erinnert, als die Peschmerga sie beim Überfall des IS alleine ließen. Haydar Sheso, der einst eine ezidische Einheit gründete, die gemeinsam mit den ezidischen Selbstverteidigungseinheiten YBŞ/YJŞ und HPG/YJA-Star seit 2015 versucht, das Gebiet zu schützen, ist nun mit seiner Einheit angeblich mit den schiitisch dominierten Haschd al Shaabi unterwegs.
Die Eziden im Shengalgebiet und die Christen in der Ninive-Ebene sind mehrheitlich gegen das Referendum gewesen und bestehen auf einen eigenen Autonomiestatus im Irak.
Die HPG-Guerillas (PKK) waren ebenfalls gegen das Referendum und bezeichneten dies als schweren taktischen Fehler. Nun versuchen sie, die von ihnen kontrollierten Stützpunkte und Gebiete wie z.B. das Flüchtlingslager Maxmur zu verteidigen. Denn der IS hat im Nordosten von Maxmur in der Gunst der Stunde wieder einige Dörfer eingenommen, aus denen zuvor die Peschmergas abgezogen waren. Guerilla und IS stehen sich wieder einmal in Sichtweite gegenüber.
Die Nachrichten aus der Region, vor allem über die Social-Media-Kanäle überschlagen sich mit Berichten, die nicht zu überprüfen sind. Aber sie geben ein Bild darüber ab, wie chaotisch die Lage ist. Da berichtet etwa ein kurdischer Reporter als Augenzeuge entsetzt über die Enthauptung von kurdischen Peschmerga in Kirkuk durch die schiitischen Hashd al-Shaabi-Milizen.
Tausende von Kurden sollen auf der Flucht nach Erbil sein, der Hauptstadt der kurdischen Autonomieregion, während Turkmenen die turkmenische und die türkische Flagge in den Straßen Kirkuks hissen. Die Türkei frohlockt, beglückwünscht Bagdad und kündigt ihrerseits an, im Irak gegen die PKK vorgehen zu wollen.
Es gab aber auch Treffen zwischen der irakischen Regierung und der kurdischen Führung, die absurder nicht sein könnten: Der Präsident des Irak, Fuad Masum, ein Kurde, ist Mitbegründer der PUK. Masum traf sich als irakischer Präsident mit der kurdischen PUK, um für ein politisches Gleichgewicht zu sorgen.
Der Mitbegründer der kurdischen Partei PUK soll in seiner Funktion als irakischer Präsident gegen oder für die Interessen seiner kurdischen Brüder und Schwestern agieren? Das konnte nur in die Hose gehen. Die KDP von Barzani ihrerseits versucht die schwierige Lage der PUK auszunutzen und greift sie verbal an.