Nordirak: Referendum für kurdischen Staat unter schlechten Vorzeichen

Seite 2: Ablehnung nicht nur von der Türkei

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Die Türkei ist der vehementeste Gegner. Und das, obwohl Erdogan und Barzani, die KDP und die AKP politisch nicht weit auseinander liegen.

Wirtschaftlich ist die irakische Autonomieregion (KRG) für die Türkei wichtig, denn die KRG bezieht nahezu alles aus der Türkei. Selbst das Trinkwasser in Flaschen kommt aus der Türkei. Da in der KRG nichts produziert wird, ist sie von der Türkei komplett abhängig.

Ein Embargo seitens der Türkei würde das gesamte Gebilde der KRG zum Einsturz bringen. Der türkische Energieminister Berat Albayrak warnte Mitte August, das Referendum würde für die KRG direkte Konsequenzen in der Zusammenarbeit auf dem Energiesektor haben. "Der Nord-Irak weiß, dass der einzige regionale Verbündete die Türkei ist", sagte Albayrak.

Die politische Unterstützung aus Ankara für Barzani war stets strategischer Natur. Die KRG war für Ankara der Garant, dass die Macht der irakischen Zentralregierung nicht zu groß wurde. Heute mutet es scheinheilig an, wenn der türkische Außenminister Mevlüt Cavusoglu am Mittwoch vergangener Woche dem Fernsehsender TRT Haber erklärt, das Referendum könnte zu einem Bürgerkrieg im Irak führen. Schließlich ist die Türkei selbst einer der Akteure, die im Irak die Konflikte mit anheizen.

Erinnert sei an die Forderung der Türkei, bei der Rückeroberung von Mossul beteiligt zu werden und die damit verbundene Stationierung türkischer Soldaten im Nordirak - gegen den Willen der irakischen Regierung. Ein unabhängiger Kurdenstaat stand für die Türkei nie zur Debatte.

Ablehnung in Iran

Iran lehnt die Unabhängigkeitsbestrebungen ebenfalls ab. Diese Woche empfing Erdogan erstmals seit der Islamischen Revolution 1979 Irans Armeechef Mohammad Bagheri mit neun weiteren Generälen in seinem Palast in Ankara. Eigentlich sind sich Iran und die Türkei spinnefeind. Moslembruder Erdogan mag die Schiiten nicht. Weder im Iran noch im Irak.

Doch der gemeinsame Feind, die Kurden, lässt die beiden Kontrahenten im Buhlen um Macht und Einfluss im Nahen Osten näher zusammenrücken. Nach den Gesprächen in Ankara erklärte Bagheri, Iran und Türkei seien sich einig, dass das Referendum über eine Unabhängigkeit der KRG der Sicherheit in der Region schaden würde. Im iranischen Staatsfernsehen sagte er dem Irak eine neue Welle der Spannungen und Konflikte voraus.

Dabei hat Irans Armeechef, wie Erdogan auch, die iranischen Kurden im Auge. Auch der Iran befürchtet, dass ein Kurdenstaat in unmittelbarer Nachbarschaft Einfluss auf die Kurden im Iran haben könnte. Die iranische Regierung unterdrückt die kurdische Minderheit mit martialischen Methoden. Hinrichtungen kurdischer Oppositioneller häufen sich in jüngster Zeit.

Besonders betroffen ist die iranisch-kurdische PJAK (Partei für ein freies Leben in Kurdistan), die ideologisch der PKK nahe steht und sich ebenfalls für eine demokratische Selbstverwaltung einsetzt. Um zu verhindern, dass sich PKK-Kämpfer oder Schmuggler über die türkisch-iranische Grenze bewegen, lässt die Türkei gerade eine 680 Kilometer lange Mauer bauen. Teheran begrüßte dies als Beitrag zur Erhöhung der Sicherheit.

Bagdads Befürchtungen

Die irakische Regierung lehnt das Referendum ebenfalls ab. Bagdad befürchtet, dass Barzani das Referendum als Druckmittel benutzen wird, um von Bagdad mehr Zugeständnisse zu bekommen, vor allem in der Frage der Kontrolle über die umstrittenen Gebiete, die kurdisch besiedelt sind, aber nicht unter KRG-Verwaltung stehen - darunter Shengal und Kirkuk. Die Turkmenen wollen nach einer Meldung der Nachrichtenagentur Rudaw das Referendum boykottieren, da sie insbesondere Kirkuk als turkmenische Stadt betrachten.

Des Weiteren fürchtet Bagdad Forderungen aus Erbil nach weiteren Öleinnahmen. Die Autonomieregion steckt wirtschaftlich in einer tiefen Krise, die nicht zuletzt dem Ölpreisverfall geschuldet ist.

USA: Tillerson für Verschiebung

Die USA stehen dem Referendum skeptisch gegenüber. US-Außenminister Rex Tillerson gab zu bedenken, dass das Referendum zum gegenwärtigen Zeitpunkt vom Kampf gegen den IS ablenken könnte. Tillerson bat in einem Telefonat mit Barzani, das für den 25. September geplante Referendum zu verschieben. Probleme zwischen der KRG und Bagdad sollten besser im Dialog gelöst werden.

Barzani verlangte für den Fall einer Verschiebung "Garantien und Alternativen für die Zukunft der Kurden". Sich offen gegen das Referendum zu positionieren, dürfte für die USA schwierig sein, da sie sich bislang als Schutzmacht der irakischen Kurden begriff. Andererseits wollen sie ihren Konflikt um Einfluss in Nordsyrien mit der Erdogan-Türkei nicht noch ausweiten. Dort unterstützen die USA die kurdischen Einheiten YPG/YPJ der SDF (Syrian Democratic Forces) der nordsyrischen demokratischen Föderation.

Gabriel: "Nicht der richtige Weg"

Deutschland lehnt das geplante Referendum ebenfalls ab. Bundesaußenminister Gabriel warnte vor einem solchen Schritt: "Die Einheit des Irak infrage zu stellen, ja sogar Staatsgrenzen neu ziehen zu wollen, ist nicht der richtige Weg und kann eine ohnehin schwierige und instabile Lage nur verschärfen, in Erbil genauso wie in Bagdad." (vgl. Wem nützt ein kurdischer Nationalstaat)

Sorgen in Damaskus

Die syrische Regierung betrachtet die kurdischen Bestrebungen im Nordirak mit Sorge und lehnt die Unabhängigkeitspläne ebenfalls ab. Zwar lehnen die syrischen Kurden einen kurdischen Nationalstaat auf syrischem Territorium ab, trotzdem bereitet Assad die Nordsyrische Demokratische Föderation einiges an Kopfzerbrechen. Er befürchtet, dass die Forderungen nach Autonomie und einem föderativen Modell für Syrien auch in anderen Teilen Syriens Sympathisanten finden könnten.

Israel: Für ein unabhängiges Kurdistan

Israel hat sich dagegen für ein unabhängiges Kurdistan ausgesprochen. Israels Interesse liegt dabei in der Schwächung der arabischen Zentralstaaten. Möglichst viele kleine Staaten sind besser in Schach zu halten als mächtige Zentralstaaten wie bspw. Iran. Wenn der Einfluss der schiitischen Regierung im Irak geschmälert wird, ist dies im Interesse Israels.

Israel unterhält schon seit den 1960er Jahren Beziehungen zur Barzani-Familie. In den letzten Jahren intensivierten sich die Kontakte stetig. Schon 2014 soll der ehemalige Ministerpräsident Netanjahu gesagt haben, Israel würde einen unabhängigen Kurdenstaat im Nordirak sofort anerkennen.

Fazit

Grundsätzlich ist eine kurdische Unabhängigkeit im Nordirak zu befürworten. Dazu gehört auch eine unabhängige Ökonomie. Ein unabhängiger kurdischer Staat benötigt dazu allerdings ein Mindestmaß an Selbstversorgung. Eine Ökonomie, die nur auf Öl-Dollars und Importen beruht, wird in Klientelismus und Korruption versinken - wie dies gegenwärtig bereits der Fall ist.

Grundpfeiler eines unabhängigen Staates müssen Demokratie, Rechtstaatlichkeit und Freiheit sein. Solange die kurdische Führung einzelne Familienmitglieder finanziell und mit Ämtern begünstigt, meint Michael Rubin vom amerikanischen Thinktank AEI, werde man eine historische Chance vertun und letztendlich als "failed state" enden.

In den USA würde man auch keine Hoffnung auf Besserung durch den Sohn Barzanis, Masrour Barzani sehen. Menschenrechtsorganisationen werfen dem Geheimdienstchef Masrour Barzani vor, für zahlreiche Menschenrechtsverletzungen verantwortlich zu sein.