Nur noch einen Steinwurf vom Urknall entfernt
NASA-Hubble-Weltraumteleskop übertrifft sich selbst und schießt Bilder von über 13 Milliarden Lichtjahre entfernten Galaxien - US-Astronomen gelingt der bislang tiefste Blick in das sichtbare Universum
Bereits im Rahmen der Hubble Deep Field-Observationen, bei denen Astronomen seit geraumer Zeit mit extrem langen Belichtungszeiten aus einer scheinbar leeren Himmelsregion Tausende von entfernten Galaxien in 10 Milliarden Lichtjahren Entfernung aufspürten, sorgten 1995 und 1998 in der Forschung und Öffentlichkeit für Aufsehen. Nunmehr hat das NASA-Fernrohr noch tiefer ins All geschaut. Die kürzlich veröffentlichten Hubble Ultra Deep Field-Aufnahmen geben den bislang tiefsten Blick in das sichtbare Universum. Binnen einer Million Sekunden fingen die "Hubble"-Kameras während 400 Erdumdrehungen Lichtwellen auf, die vor mehr als 13 Milliarden Jahren durchs Universum eilten. Sie entstammen einer Zeit, als das Universum gerade das "dunkle Zeitalter" hinter sich gelassen hatte.
400.000 Jahre nach dem Urknall zeigte sich der Kosmos zum ersten Male von seiner "strahlenden" Seite. Damals emittierte es erstmals Mikrowellen-Hintergrundstrahlung, die heute von allen Seiten kommend auf uns permanent niederprasselt. Vor dieser Zeit, also der Epoche unmittelbar nach dem Urknall, konnten lediglich freie Elektronen und Protonen existieren, die erst mit der Ausdehnung des Kosmos und dem Absinken der Temperaturen kollidierten und sich zu Wasserstoffatomen verdichteten.
Kosmische Photosphäre
Erst als die Temperatur auf 4000 Kelvin gesunken war, verbanden sich Elektronen und Protonen zu neutralem Wasserstoff. Dadurch wurden dem Gas freie Ladungsträger entzogen, die zuvor die Strahlung so stark gestreut hatten, dass das Gas undurchsichtig war. Nach der Formierung der Atome wurde das Gas durchsichtig, und die Strahlung konnte sich nahezu frei ausbreiten. Nunmehr konnten sich die Photonen ungehindert bewegen - der Weltraum wurde durchsichtig.
Da das Universum für elektromagnetische Strahlung jeder Art, insbesondere aber für Licht, undurchsichtig war, ehe es etwa 400.000 Jahre nach dem Urknall auf rund 4000 Kelvin abkühlte, können wir demzufolge heute nicht sehen, was sich vor langer Zeit jenseits dieses Horizonts abspielte. Unser "Blick" endet dort, wo er in eine frühe Epoche ragt, in der die Temperatur der kosmischen Materie höher und das Universum eine brodelnde hauptsächlich aus Protonen, Elektronen und Photonen bestehende Masse war. Die Fernsicht in den frühen Weltraum ist durch die kosmische Photosphäre versperrt - so als würde man den blauen Himmel durch die Unterseite von Wasserdampfwolken betrachten.
Zwischen der durch die Hintergrundstrahlung gegebenen Photonenbarriere, der kosmischen Nebelwand und unserem augenblicklichen Horizont, der von der Leistungsfähigkeit und Reichweite der Weltraumteleskope (z.B. Hubble) und erdgebundenen Fernrohre (wie etwa der Europäischen Südsternwarte ESO in Chile) abhängt, liegt ein derzeit noch nicht erschlossenes Universum incognitum, das die Weltraum-Astronomie mit ihren "Zeitmaschinen" derzeit verstärkt durchforstet und erforscht.
Vom Deep Field zum Ultra Deep Field
Eine jener Zeitmaschinen, mit denen Astronomen schon mehrfach erfolgreich in die Vergangenheit geschaut haben, ist das legendäre mittlerweile schon seit 13 Jahren im Orbit auf Dienstreise befindliche NASA-Weltraumobservatorium Hubble, das um Superlative selten verlegen ist. Geradezu herausragend ist die Erfolgsstory der Hubble Deep Fields, die das Space Telescope Science Institut (STScI) im Jahr 1993 initiierte, als man mit einer bis dahin zwar schon angedachten, aber in der Praxis noch nicht verwirklichten Idee vorstellig wurde. Warum soll man nicht das Weltraumteleskop für mehrere Stunden auf einen eng begrenzten Punkt im All fixieren und abwarten, was dabei die empfindlichen Hubble-Kameras zu Tage fördern. Gedacht - getan.
Anstatt eine breit angelegte Observation durchzuführen, nutzten die Astronomen die kostbare Beobachtungszeit, um einen scheinbar dunklen Fleck am Nordhimmel für viele Stunden zu beobachten. Das Resultat sprach für sich und revolutionierte die Astronomie. Erstmals gelang es, in leer erscheinenden Regionen des Weltalls eine Vielzahl von Galaxien zum Vorschein zu bringen, die zu einer Zeit entstanden waren, als das Universum nur rund ein Zehntel seines jetzigen Alters hatte. Seitdem sind diese so genannten Deep-Field-Aufnahmen en vogue. Auf diese Weise ließen sich bis vor kurzem Galaxien sichtbar machen, deren Licht über 12 Milliarden Jahre unterwegs war.
In diesem Jahr blickt "Hubble" noch tiefer ins All, was auch auf die letzte Wartungsmission im März 2002 zurückführen ist. Bereits zweimal stellte es einen neuen "Deep Field"-Rekord auf. Und nunmehr übertraf es sich selbst, indem es einen Blick bis zum äußeren Rand des Urknalls wagte. Dabei schaute es tiefer in den Kosmos als jemals ein Teleskop zuvor.
Aus der Tiefe des Urknalls
Im Rahmen der so genannten "Hubble Ultra Deep Field"-Observation, bei der Hubble sich eine Million Sekunden, also mehr als elfeinhalb Tage lang auf einen winzigen Himmelsausschnitt fokussierte, machte das NASA-Fernrohr gut 10.000 Galaxien aus, von denen einige sich unmittelbar im Grenzbereich zur kosmischen Photosphäre befinden, also einer Zeit entstammen, als das Universum etwas mehr als 400 Millionen Jahre alt war. Die Region, die Massimo Stiavelli vom Space Telescope Science Institute in Baltimore und seine Kollegen im Sternbild Fornax (Ofen) so intensiv unter die Lupe nahmen, erscheint irdischen Beobachtern zehnmal kleiner als der Vollmond. "Dank Hubble sind wir nun nur noch einen Steinwurf vom Urknall selbst entfernt", freut sich Stiavelli. Auch der Direktor des zuständigen Forschungsinstituts (Space Telescope Science Institute) Steven Beckwith kann seine Begeisterung für die Aufnahmen nicht verhehlen. "Zum ersten Mal schauen wir auf Sterne zurück, die sich aus der Tiefe des Urknalls gebildet haben. Diese Bilder werden noch über Jahre hinweg in den astronomischen Handbüchern zu finden sein." Jetzt beginne, so Beckwith, eine intensive Erforschung der Aufnahme mit möglicherweise neuen Erkenntnissen zur Entstehung von Sternen und Galaxien.
Reichte während der Deep-Field-Observationssequenzen in den Jahren 1995 und 1998 die Sensibilität des Instrumentariums und die Effektivität der Beobachtungsmethode immerhin, um zirka 10 Milliarden Lichtjahre in die Vergangenheit des Universums einzutauchen, so konnten die Astronomen mit der im März 2002 neuinstallierten "Advanced Camera for Surveys" (ACS) http://acs.pha.jhu.edu/ und der "Near Infrared Camera" und dem "Multi-object Spectrometer" (NICMOS) http://ircamera.as.arizona.edu/nircam/ nunmehr die früheste Entwicklungsphase des Universums studieren.
Einige der rund 10.000 auf dem Bild zu sehenden Galaxien sind so leuchtschwach, dass sie auf den beiden Vorgängeraufnahmen, den Hubble Deep Field-Bildern aus den Jahren 1995 und 1998, nicht zu erkennen waren. Im Hubble Ultra Deep Field jedoch tummeln sich einige der am weitesten entfernten und jüngsten Galaxien, die je ins Visier genommen wurden. Einige von ihnen sind derart lichtschwach, dass Hubble von ihnen nur rund ein Photon pro Minute empfangen konnte - im Gegensatz zu Millionen von Photonen bei nahen Galaxien.
Hubble-Instrumente wurden kombiniert
Obgleich die geschossenen Bilder nur etwa 500 Millionen Lichtjahre tiefer ins All als die bisherigen Hubble-Fotos reichen, so ist doch dieses "kleine" Stück für Astronomen von entscheidender Bedeutung, erlaubt es doch einen Blick in die Zeit der ersten Galaxien und damit auf das Ende des "dunklen Zeitalters" des Kosmos. Denn unter Berücksichtigung der aktuellen WMAP-Daten, wonach das Universum ungefähr seit 13,7 Milliarden Jahre expandiert, sind nach Adam Ries(e) einige diese archaischen "Materie-Oasen" zirka 13,3 Milliarden Jahre alt.
Die am weitesten entfernten Galaxien konnten allerdings nur mit NICMOS im infraroten Bereich des Lichtes beobachtet werden, schlichtweg deshalb, weil infolge der Expansion des Universums das Licht dieser Galaxien in den infraroten Bereich des Spektrums verschoben worden ist. "Das Bild wird uns helfen, ein Nachfolgeinstrument für NICMOS für den Hubble-Nachfolger zu entwickeln, der diese Zeit mit größerer Empfindlichkeit untersuchen soll", erklärt Rodger Thompson von der Universität von Arizona.
Um das neue Bild generieren zu können, kombinierten die Astronomen die beiden Instrumente und überlagerten auf diese Weise die ACS- mit der NICMOS-Aufnahme. Erst dadurch konnten sie die jungen Galaxien studieren, die zwischen 400 und 800 Millionen Jahre nach dem Urknall existiert haben. Faszinierend ist die Formenvielfalt auf dem Bild: Neben einer Reihe von klassischen Spiralgalaxien, elliptischen Galaxien finden sich unter den 10.000 fernen Welteninseln Galaxien in allen Farben, Formen und Größenklassen.
Erfolg resultiert aus letzter Hubble-Wartungsmission
Installiert wurde die neue digitale verbesserte ACS-Durchmusterungskamera bereits bei der letzten Hubble-Inspektion im März 2002. Seitdem kann sie zweimal größere Himmelsausschnitte mit fünfmal höherer Empfindlichkeit als die bisherigen Instrumente aufnehmen - was zur Folge hat, dass sich Hubbles Entdeckungspotential verzehnfachte.
Seinerzeit musste die bis dahin fehlerfrei funktionierende Faint Object Camera (FOC als letztes verbliebenes HST-Origninalinstrument den Platz räumen. Galt in den 80er Jahren die FOC noch als hochmodern, so musste sie indes der digitalen Revolution Tribut zollen.
Möglicherweise könnte eine optimale Konfiguration der Kamera und eine ideale Abstimmung mit dem Teleskop sogar den Blick auf extrasolare Planeten frei machen. Das modifizierte Hubble-Weltraumteleskop könnte aufgrund seiner hohen Sensibilität das extrem schwache Licht eines Planeten außerhalb unseres Sonnensystems einfangen. Wenngleich die Erfolgschancen eines solchen Versuchs eher gering zu veranschlagen sind, ist es dennoch durchaus möglich, dass das ACS aufgrund seiner Sensibilität zumindest jupitergroße Exoplaneten in relativer Erdnähe direkt nachweisen kann. Hierfür wäre allerdings eine weitere Wartungsmission vonnöten.
Ob diese allerdings jemals stattfinden wird, ist derzeit noch völlig unklar. Vorerst ist nach den Einsätzen in den Jahren 1993, 1997, 1999 und 2002 eine fünfte Wartungsmission, mit der ein reibungsloser Betrieb bis Ende des Jahrzehnts sichergestellt wäre, nicht in Sicht. Denn selbst wenn die restliche Shuttle-Flotte dieses Jahr wieder den Betrieb aufnimmt, wird "Hubble" den Kürzeren ziehen. Schließlich wird den US-Raumfähren primär die Aufgabe zufallen, die Internationale Raumstation wieder auf Vordermann zu bringen. Für "Hubble" bedeutet dies: Entweder segnet das Fernrohr schon in diesem Jahr das Zeitliche - oder es kann noch mit viel Glück fünf weitere Jahre das All erforschen.
Aber egal wann oder wie der Satellit auch enden mag - die Resultate, die der künstliche Trabant so kunstvoll lieferte, haben unser Weltbild im wahrsten Sinne des Wortes verändert.