Ob Corona oder Klima: Risiken vermeiden
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Die Energie- und Klimawochenschau: Umsteuern oder nicht umsteuern, das ist hier die Frage
"Ist es denn wenigstens für das Klima gut?", werden dieser Tage des Öfteren Klimawissenschaftler und -aktivisten unter Anspielung auf die Folgen der Pandemie für den Energieverbrauch und den mit diesen verbundenen Emissionen gefragt. So etwa Stefan Rahmstorf vom Potsdam Institut für Klimafolgenforschung Anfang des Monats vom in Wien erscheinenden Standard.
Doch eine derartige Sicht auf die Dinge ist natürlich nicht nur zynisch, sondern auch kurzsichtig, obwohl sich in Neu Delhi sicherlich niemand über den drastischen Rückgang der Luftverschmutzung beschweren wird. Denn auch wenn die Treibhausgasemissionen durch die geringeren Fahrleistungen und den reduzierten Energieverbrauch derzeit vermutlich global rückläufig sind, so ist dieser Effekt natürlich nur vorübergehend. Das zeigen schon die Erfahrungen mit vergangenen Krisen wie z.B. 1990ff, 1997/98 und 2008ff.
Es sei denn, der Rückgang würde durch politische und wirtschaftliche Maßnahmen verstetigt, wonach es derzeit aber in den wenigsten Ländern aussieht. Möglich wäre das unter anderem zum Beispiel durch einen raschen Ausstieg aus der Verbrennung von Stein- und Braunkohle und einer mittelfristigen Beendigung der Erdgasnutzung. Als erster Schritt hierhin müssten Investitionen in neue Infrastruktur für den Gasimport eingestellt und umgelenkt werden.
Umgelenkt zum Beispiel in die Erzeugung von Wasserstoff, der zum Teil im Erdgasnetz gespeichert, zum Teil zu Methan veredelt werden und so fossiles Erdgas ersetzen könnte. Möglich wäre das mit Solar- und Windstrom vorzugsweise zu Zeiten, in denen von diesen ein Überangebot vorliegt, insbesondere versteht sich, wenn der Ausbau endlich wieder vorangetrieben würde.
Die alten Fehler
Doch davon ist man in Deutschland wie andernorts weit entfernt. Hierzulande sollen der Kohleausstieg bis 2038 hinausgezögert, Terminals für die Anlandung von Frackinggas gebaut - u.a. in Schleswig-Holstein mit dem Segen der dortigen Grünen - und die Kapazitäten für den Gasimport aus Russland ausgebaut werden.
Es geht allerdings auch noch schlimmer: Auf Twitter hat die US-amerikanische Klima-Aktivistin Jamie Henn einmal aufgelistet, was die dortige fossile Industrie und deren Unterstützer in der Regierung während der Pandemie anstellen, um der Branche durch die Krise zu helfen. Das reicht von Druck auf Washington, Öl für die strategische Reserve aufzukaufen, um den Ölpreis zu stützen, über Bergbaukonzerne, die nicht mehr in die Krankenkassen für Bergarbeiter einzahlen wollen, bis hin zur Ankündigung, Abgasstandards zu senken und Umweltvergehen nicht zu verfolgen.
Im Berliner Tagesspiegel beschreibt andererseits die Ökonomin Claudia Kemfert, Leiterin der Abteilung Energie, Verkehr, Umwelt am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin, weshalb bei den Rettungsmaßnahmen für die Wirtschaft keineswegs alte Fehler wiederholt werden sollten. Aus der Corona-Krise könne man lernen, dass sich Weitsicht lohne.
Wenn die Wirtschaft belebt werden solle, müsse vor allem in erneuerbare Energieträger, Energiesparen und klimaschonende Antriebe investiert werden. Für die Schieneninfrastruktur fordert Kemfert "mindestens eine Verdreifachung".
Nicht nur Corona-Effekt
Derweil ist die Minderung des Energieverbrauchs durch die Pandemie hierzulande vermutlich gar nicht so besonders groß. Der Bundesverband der Energie und Wasserwirtschaft berichtet zwar, dass in der 13. Kalenderwoche der Stromverbrauch um 7,4 Prozent unter dem der 10. Kalenderwoche lag. Doch ist der Rückgang nicht allein auf die Corona-Krise, also den verminderten Verbrauch in der Industrie, dem Dienstleistungsgewerbe und den Büros zurückzuführen. Auch saisonale Effekte spielen eine Rolle.
Das wird auch an den Zahlen deutlich, auf die Bruno Burger vom Fraunhofer Institut für Solare Energiesysteme in einem Tweet hinweist. Demnach sank der Stromverbrauch - wie in anderen Jahren auch - oder zumindest die Nettostromproduktion im Verlaufe des Märzes. In der 13. Kalenderwoche also Ende März/Anfang April liege der Verbrauch demnach regelmäßig unter den Werten der 10. Kalenderwoche. In diesem Jahr um 7,1 Prozent, 2019 um 5,1 Prozent, 2018 um 6,9 Prozent und 2017 um 5,1 Prozent.
Burger schätzt folglich die Größe des Corona-Effekts auf lediglich zwei bis drei Prozentpunkte, wobei er vermutlich die in einigen Jahren in die 13. Kalenderwoche fallenden Feiertage eingerechnet hat.
Ein Vergleich 2019/2020 für jeden Kalendertag zeigt Ende März einen Rückgang von zehn bis knapp 15 Prozent an Wochentagen. Das war zu Beginn der zweiten Woche der Ausgangsbeschränkungen. In Italien nahm der Stromverbrauch im Vergleich zum Vorjahr hingegen an einzelnen Tagen über 35 Prozent gegenüber dem Vorjahr ab. Auch in Spanien, Österreich, Frankreich, Belgien und im geringeren Umfang auch Portugal und Großbritannien fällt der Rückgang stärker aus.
Mörderische Gewalt
In vielen Ländern, nicht nur in Deutschland, sind Umwelt- und Klimaschützer immer wieder Zielscheibe wüster Beschimpfungen und Beleidigungen. Während es aber hierzulande meist dabei - anders als bei ähnlichen Ausfällen gegen Einwanderer und Flüchtlinge - bleibt, sind in Ländern wie Honduras, den Philippinen oder Brasilien die Hasstiraden die Begleitmusik zu Morden.
Wie berichtet, sind in den vergangenen Monaten in Brasilien wiederholt Sprecher der Guajajará getötet worden, mutmaßlich im Auftrag jener Bergbauunternehmen oder Holzfällern, gegen die sich die Bewohner des Amazonas-Regenwaldes wehren. Wie das Nachrichtenportal america21 meldet, ist nun mit dem Lehrer Zezico Guajajará ein weiteres Opfer zu beklagen. Sein Leichnam wurde mit Schussverletzungen auf einer Straße im nördlichen Bundesstaat Maranhão gefunden.
Mehr Platz fürs Rad
Hierzulande hat unterdessen die wiederholt zum Ziel rechter Kampagnen gewordene Deutsche Umwelthilfe (DUH) Ende letzter Woche in zunächst 39 Städten mit hoher Luftbelastung die Einrichtung temporärer Fahrradstraßen und Tempo-30-Zonen für die Dauer der Coronakrise beantragt. Damit sollen Menschen unterstützt werden, die ohne eigenen Pkw zur Arbeit fahren müssen, aber in Zeiten der Ansteckungsgefahr den öffentlichen Personennahverkehr meiden wollen.
Außerdem weist die Organisation daraufhin, dass zahlreiche Studien den engen Zusammenhang zwischen schlechter Luftqualität und gesundheitlicher Gefährdung insbesondere der Atemwege belegen. Atemwegserkrankungen machen aber im Falle einer Infektion mit Covid-19-Virus einen schweren Krankheitsverlauf wahrscheinlicher.
Schließlich sollen mit den zusätzlichen oder verbreiterten Radwegen auch Unfallrisiken vermieden und der Gesundheitssektor entlastet werden. 2019 seien 15.000 Radfahrer bei Unfällen auf deutschen Straßen schwer verletzt worden. Die meisten Unfälle würden sich innerorts auf Straßen ereignen, auf denen Fahrrad und motorisierter Verkehr auf engstem Raum miteinander auskommen müssen.
Zugleich wurden Bürger aufgefordert, über ein DUH-Portal weitere Vorschläge für temporäre Fahrradwege zu machen. Nach nur drei Tagen, so die Umweltorganisation, seien über 2.600 Vorschläge eingegangen, sodass jetzt in 134 Städten Anträge eingereicht werden.
Der DUH schwebt vor, zurzeit weniger genutzte Straßen teilweise oder vollständig für den Zweiradverkehr umzuwidmen. Wie berichtet, haben Kolumbiens Hauptstadt Bogotá und das US-amerikanische New York City bereits mehr Platz für Radfahrer auf ihren Straßen geschaffen. Wie in vielen Städten ist dort krisenbedingt der Autoverkehr zurückgegangen, während mehr Menschen aufs Rad steigen.
Auch der Berliner Innenstadtbezirk Friedrichshain-Kreuzberg hat bereits im vergangenen Monat in einem Pilotprojekt einen ersten temporären Radweg auf einer wichtigen, aber bisher für Radfahrer sehr bedrohlichen Strecke markiert. In den nächsten Tagen sollen weitere Verbreiterungen und provisorische markierte Wege folgen. Auch eine schöne amtsdeutsche Wortschöpfung hat man für das Vorhaben gefunden: "pandemieresiliente Infrastruktur".
Die große und weiter wachsende Zahl der Radfahrer an der Spree wird es freuen. 2016 hatte dort eine Initiative für einen Fahrradvolksentscheid innerhalb von nur dreieinhalb Wochen 105.000 Unterschriften für ein Volksbegehren gesammelt. Ziel: zügiger und großzügiger Ausbau des Berliner Radwegenetzes. Zum Volksentscheid kam es jedoch nicht, da das Berliner Abgeordnetenhaus 2017 ein Mobilitätsgesetz verabschiedet hat, das die Ziele der Initiative im Wesentlichen aufnahm.
Ganz ohne Protest wurden die provisorischen Radwege dennoch nicht auf den Fahrbahnen markiert. Die örtliche CDU, mit vier Abgeordneten im Bezirksparlament immerhin doppelt so stark wie die PARTEI, musste ein wenig auf die Pauke hauen. Das sei alles reine Ideologie und das Vorgehen der grünen Bürgermeisterin "selbstherrlich".