Coronakrise: Die alten Fehler wiederholen?
Seite 2: Autos müssen Platz machen
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Anderswo hat man zumindest verstanden, dass in Zeiten der Pandemie das Fahrrad für viele das Fortbewegungsmittel der Wahl ist. In Kolumbiens Hauptstadt Bogotá werden auf den Straßen provisorische Fahrradwege abgetrennt, um Platz für den wachsenden Zweiradverkehr zu schaffen, wie der Spiegel schreibt.
Und man ist dort sogar in der Lage, den Effekt sofort zu beobachten und die Maßnahmen zeitnah anzupassen, wie Bogotás erste Bürgermeisterin auf Twitter berichtet. In Berlin benötigt man hingegen für die Planung neuer Fahrradwege, zu der Senat und Bezirke per Landesgesetz verpflichtet sind, Jahre.
Auch in New York City ist man etwas flexibler als an der Spree. Wie in Bogotá reagiert man am Hudson auf die Coronakrise, indem dem Autoverkehr Platz genommen und den Radfahrern gegeben wird. Denn außer spanischen Polizisten weiß vermutlich jeder, dass die Ansteckungsgefahr auf dem Rad deutlich geringer als in der U-Bahn oder im Bus ist.
Das Wetter wird schöner und New Yorker müssen raus um Sport zu machen und für ihre geistige Gesundheit während der Covid-19-Pandemie. Um dies während der Selbstisolation zu ermöglichen, werden wir viele Straßen für den Autoverkehr sperren. Unser Ziel ist es, dass es eine autofreie Straße für jeden New Yorker nicht weiter als vier Blocks von seinem Haus entfernt gibt.
Bill de Blasio, Bürgermeister von New York City auf Twitter
Die US-amerikanische Metropole ermuntert in Zeiten der Pandemie ihre Bewohner ausdrücklich, aufs Fahrrad zu steigen. Außerdem werden 435 Ausgabestellen, eingerichtet, an denen sich alle Kinder und Jugendliche Frühstück, Mittag und Abendbrot abholen können. Auch hieran könnten sich deutsche Politiker ein Beispiel nehmen.
Viren und Feinstaub
Übrigens: Wenn wegen nachlassender wirtschaftlicher Aktivitäten und vermindertem Autoverkehr durch die Krise die Luft in den Städten besser wird, könnte das eventuell auch die Ausbreitung des Virus etwas verlangsamen. Wie berichtet haben italienische Wissenschaftler in der Po-Ebene einen Zusammenhang zwischen hoher Feinstaubbelastung und der schnellen Verbreitung des Coronavirus festgestellt.
Offensichtlich ist es gar nicht so ungewöhnlich, dass Viren die kleinen Schwebteilchen als Taxi nutzen, mit dem sie tagelang durch die Luft reisen können. Verschiedene chinesische Studien hatten das schon für andere Krankheitserreger nahegelegt.
Weniger Kohle
Hierzulande haben derweil in den letzten Wochen zumindest die Kohlekraftwerke weniger als sonst zur Feinstaubbelastung beigetragen. Neue Rekorde bei der Erzeugung von Strom mit Windkraft- und Solaranlagen sorgten dafür, dass sie kaum zum Einsatz kamen.
Deutschland hat für die Einspeisung ins öffentliche Netz Braunkohlekapazitäten von 21,11 Gigawatt (GW). Aber in den letzten Tagen stand manches Kraftwerk still, während andere weit unter ihren Möglichkeiten ins Netz einspeisten. Sonne und Wind deckten hingegen oft meist über 50 Prozent des Strombedarfs, wie die Daten des Fraunhofer Instituts für Solare Energiesysteme zeigen.
Das ist insofern bemerkenswert, als die Braunkohlekraftwerke sehr träge sind. Daher werden in der Regel bei großen Angebot an Strom der erneuerbaren Energieträger erst Gas- sowie Steinkohle- und erst dann die Braunkohlekraftwerke runter gefahren. So auch derzeit. Am vergangenen Sonntag, als sonniges Wetter für reichlich Sonnenstrom sorgte, musste dann sogar noch die Mehrzahl der verbliebenen AKW für einige Stunden gedrosselt werden.
Solardeckel klemmt
Man könnte also meinen, dass der Umbau der Stromversorgung auf dem richtigen Weg ist. Doch der Eindruck täuscht. Der Ausbau der Windenergie ist, wie hier schon des öfteren berichtet, eingebrochen und auch dem Markt für Solaranlagen, der aufgrund der inzwischen äußerst niedrigen Preise der Solarmodule nach Jahren wieder anzieht, droht neues Ungemach.
Das Erneuerbare-Energien-Gesetz legt fest, dass es keine Förderung, das heißt, keinen garantierten Abnahmepreis für Strom aus neuen Solaranlagen mehr gibt, sobald die Solarkapazitäten 52 GW überschreiten. Diese werden noch in diesem Jahr erreicht, wenn sich der Ausbau nicht als Folge der Coronakrise verlangsamt.
Im letzten Jahr waren rund vier GW hinzu gekommen, derzeit hat Deutschland Solaranlagen mit einer Kapazität von knapp unter 50 GW. Eigentlich hatte sich die Berliner Regierungskoalition längst darauf geeinigt, das EEG zu ändern und den Solardeckel anzuheben. Doch die CDU-Wirtschaftskreise mauern und spielen auf Zeit.
Der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft sowie der Bundesverband Solarwirtschaft fordern daher in einer gemeinsamen Stellungnahme den Deckel schleunigst abzuschaffen. Das sei eine einfach umzusetzende Maßnahme, um auch der Branche der erneuerbaren Energien vor dem Hintergrund der Coronakrise die notwendigen "industriepolitische Impulse" zu geben. Es dürfe nicht zu einem fahrlässig herbeigeführten Ausbaustopp in der Photovoltaik kommen.
In einem offenen Brief erinnern 2.000 Unternehmen aus der Solarbranche Bundeskanzlerin Angela Merkel daran, dass sie bereits am 27. November die Aufhebung des Solardeckels als Tatsache verkündet habe, dies aber noch immer nicht umgesetzt sei. Geschehe nichts, werde der Förderstopp für weitere Anlagen vermutlich bereits in der Sommerpause erreicht.
Und die Zukunftstechnologien?
Überhaupt ist es erstaunlich, dass bei den gewaltigen Summen im dreistelligen Milliardenbereich, die von Bundestag und Bundesrat noch diese Woche zur Stimulierung der Wirtschaft auf den Weg gebracht werden sollen, so wenig von gezielter Förderung der Zukunftstechnologien die Rede ist.
Einerseits kann offenbar - anders als man es den Schülerinnen und Schülern wieder vorhält - doch ganz schnell gehandelt werden, wenn es denn den entsprechenden politischen Willen gibt. Doch andererseits unterbleibt jede Diskussion über die Richtung, in der der warme Regen gelenkt werden soll.
Will man womöglich wie schon nach der Krise 2008ff erneut die Öffentlichkeit überrumpeln und mit einer Shock-and-Awe-Taktik alte, unflexible Konzerne der Autobranche für Versäumnisse und jahrelangen Verkäuferbetrug belohnen, damit sie noch möglichst lange unsere Städte mit ihren Straßenpanzern verheeren können?
Forderungen nach der Aussetzung der Mehrwertsteuer für den Kauf von Luxusautos deuten in diese Richtung.