"Obama schlimmer als Nixon?"
In den USA brodelt der Skandal um die Bundessteuerbehörde IRS
Die eigentlich unparteiliche Bundessteuerbehörde IRS hat sich in der Vergangenheit besondern auf die Überprüfung von Organisationen, die der Tea-Party nahe stehen, konzentriert. Obama ließ nun verlauten, er sei "wütend" angesichts dieses "Fehlverhaltens". Die Rücktritte von zwei verantwortlichen IRS-Kommissaren soll politische Gerechtigkeit herstellen. Die Republikaner dagegen vermuten eine gezielte Aktion gegen konservative Gruppen. Dabei ist das Verhalten der Bundesbehörde Zeichen einer tiefer greifenden Entwicklung der Obama-Administration.
Der Internal Revenue Service hat wie jetzt bekannt wurde Organisationen die der konservativen Tea-Party nahe stehen zwischen 2010 und 2012 etwas genauer unter die Lupe genommen. Das offenbart ein Gutachten des Generalinspekteurs der Steuerverwaltung. Demnach hat das Determination Unit der IRS im Frühjahr 2010 angefangen, einen Kriterienkatalog auszuarbeiten. Ungefähr 300 Gruppen, die einen Antrag auf Steuerbefreiung stellten und im Namen Bezeichnungen wie "Tea-Party" oder "Patriots" trugen, wurden auf eine Beobachtung- oder "Be On the Look Out"-, kurz BOLO-Liste, gesetzt und genauer zu ihren politischen Aktivitäten befragt.
Das "Fehlverhalten ist unentschuldbar", sagte Barack Obama am Donnerstag auf einer Pressekonferenz. Die amerikanischen Bürger hätte ein Recht wütend zu sein, er selbst sei es auch. Zeitgleich verkündete der für die Abteilung für Steuerbefreiung zuständige Kommissar Joseph Grant, nicht weiter an seinem Posten festhalten zu wollen, obwohl er diese Stellung erst seit zwei Wochen innehatte. Einen Tag zuvor war bereits der leitende IRS-Kommissar Steven Miller zurückgetreten.
Am Freitag wurde Miller beim ersten Anhörungstag zu den Vorgängen vor dem House Ways and Means-Ausschusses befragt. Er bestand darauf, dass das Verhalten seiner Mitarbeiter BOLO-Listen anzufertigen und spezielle Gruppen für eine genauere Untersuchung rauszusortieren "absolut nicht illegal" gewesen wäre. Räumte zugleich aber ein, dass es nicht hätte passieren dürfen.
501(c)(4) - Politik-Architekten mit Hilfe von Steuergeldern
Der Status der Steuerfreiheit in den USA ist für kleine Gruppen, die über kein großes Budget verfügen, oftmals überlebenswichtig. Voraussetzung für die Anerkennung des 501(c)(4)-Status und damit zur Einstufung als Wohltätigkeitsorganisation ist, dass man sich wesentlich im Bereich der sozialen Führsorge wie öffentliche Bildung engagiert und nicht primär in Politikinteressenvertretung.
Weil die Darstellung dieser Ziele oftmals nur eine Frage der Formulierung ist, bei der Anwälte Abhilfe wissen, ist der rechtliche Status seit dem umstrittenen "Citizen United"-Entscheid zu Wahlkampfspenden auch für politische Big-Player interessant geworden (Das Geld wählt mit). Denn einerseits braucht die IRS zuweilen Jahre, um Anträge überhaupt zu prüfen, währenddessen die Gruppen bereits ihre Arbeit aufnehmen können. Vor allem aber brauchen die Namen der Geldspender nicht veröffentlich werden. Anders als SuperPACS fallen diese Gruppen damit als angeblich un-politische Organisation nicht mehr in den Verantwortungsbereich der Federal Election Commission, die über jeden Spender und politische Aktivitäten genausten Bescheid wissen will.
Karl Roves "Wohltätigkeitsorganisation" Crossroads GPS, die sich offiziell der Forschung und der Bildung der amerikanischen Bürger verpflichtet fühlt, steckte so 174 Millionen US-Dollar in den Wahlkampf 2012 - allein 70 Millionen davon kamen von Spendern, die durch den 501(c)(4)-Status anonym bleiben konnten. "Dark Money", das den politischen Prozess unter anderem durch den Ankauf von TV-Werbezeit direkt beeinflusste (Schattengeld im US-Wahlkampf).
Keine Überprüfung der Hauptakteure
Das Verstecken von Geldgebern sei die einzige Motivation für den Aufbau von Crossroads gewesen, sagt Fred Wertheimer, Gründer und Präsident von Democracy 21, einer Organisation für Finanzreform, in einem Interview mit der Washington Post.
Genau deshalb hätte Democracy 21 zusammen mit dem Campaign Legal Center zwischen 2010 und 2012 dutzende Briefe an den IRS gesendet. Die Forderung: Die Behörde solle doch bitte Crossroads Antrag auf Steuerbefreiungs-Status überprüfen und wenn man schon dabei sei auch gleich die Anträge weiterer Millionen-Dollar-Gruppen wie die pro-Obama Organisation Priorities USA.
Doch nichts geschah; Roves Antrag für Crossrads GPS ist bis heute nicht abschließend geprüft. Stattdessen fing der IRS an, gezielt die Anträge der vielen Tea-Party nahen Fraktionen zu untersuchen. Und nicht nur die, sondern auch gleich jene ,die dafür eintraten, "America a better place to live" zu machen oder das Thema aufgriffen, wie die Regierung Steuergelder ausgibt, mit Schulden umgeht und generell auch solche, die kritisierten, wie das Land regiert würde (Gutachten "Criteria for Potential Political Cases").
Politisch Motiviert? "Scheußlicher Customer Service"!
Nach den Rücktritten Millers und Grants wird nun über die Motivation für das Vorgehen der Behörde spekuliert. CNN berichtet, zwei Mitarbeiter hätten sich "aggressiven" Verhaltens ("rogue") schuldig gemacht, und beruft sich dabei auf die Aussage einer Quelle aus dem US-Kongress. Namen wurden nicht genannt, auch wenn der Sprecher des Repräsentantenhauses, John Boehner, bereits ein Opfer forderte: "My question is, who's going to jail over this scandal?"
Mit einer Erklärung für das Verhalten versuchte Louis Lerner, verantwortlich für die Überprüfung der für Gesuche zuständigen IRS-Abteilung, derweil die Diskussion auf sachlicher Ebene zu halten: Ab 2010 wäre die Zahl von 501(c)(4)-Anträgen durch das Aufkommen der Tea-Party-Grassroots-Bewegung so massiv angestiegen, sagte Lerner, dass man die Bearbeitung der Anträge zentralisierte. Dabei sei eben besonders auf Organisationen geachtet worden, die im Namen die Bezeichnung "Tea Party" oder "Patriots" trugen. Soll heißen, motivierte, aber unfähige Mitarbeiter des IRS hätten lediglich versucht, in der Flut der Anträge durch die Anfertigung einer Liste den Kopf über Wasser zu halten. Man darf annehmen, dass Miller das mit unangemessenem, aber im Prinzip "nicht illegalem" Verhalten seiner Mitarbeiter meinte. Während der Anhörung am Freitag entschuldigte Miller sich dann auch für den "scheußlichen Customer Service", den man abgeliefert hätte. Einige Republikaner wollten sich damit allerdings nicht zufrieden geben.
Die gezielte Überprüfung von Tea-Party-Organisationen wäre gar nicht der eigentlich Skandal, behauptete David Camp, Abgeordneter aus Michigan und Vorsitzender des House Ways and Means-Ausschusses während der Anhörung und schob die Diskussion über das IRS-Verhalten in Richtung Weißes Haus: Faktisch sei es "lediglich das neueste Beispiel einer Kultur von Vertuschungen - und politischer Einschüchterung - innerhalb dieser Administration". Es ginge laut Camp um die Bedrohungen konservativer Spender und das "Leaken" vertraulicher IRS-Dokumente.
Einer von Camps Parteikollegen nahm die vorgeschlagene Richtung auf: Die Prüfung des Themas wäre hilfreich, generell "aber nur die Spitze des Eisberges". Ob es in der Tat nur inkompetente Mitarbeiter waren oder die Obama-Administration direkt involviert ist, wird sich zeigen müssen. Zur kommenden Anhörung am Mittwoch hat das House Oversight Committee Douglas Shulman geladen. Shulman war von 2008 bis Ende letzten Jahres leitender IRS-Kommissar und bringt vielleicht mehr Licht in die Affäre.
Verteidigung der Hegemonie
Doch bei allen Erklärungsversuchen, die Frage, die bisher unbeantwortet blieb, ist: Warum hat der IRS die Anfragen von Democracy 21 ignoriert und die Anträge auf Steuerbefreiung der großen Millionen-Dollar-Organisationen von Demokraten und Republikaner nicht überprüft? Im Zuge der vergangenen Jahre muss die Frage erlaubt sein: Weil eben jene Organisationen für die Interessen der politischen und wirtschaftlichen Eliten spielen?
Es dürfte wohl den wenigstens aus diesem Team daran gelegen sein, den neuen Weg des Einflusses auf die Politik, der seit "Citizen United" mit Geld gepflastert ist, näher zu untersuchen. Dagegen sind Aktivisten oder Gruppen, die offen das politische Establishment kritisieren, vielleicht noch keine Bedrohung des Status Quo, aber doch ein Risiko, das es zu minimieren gilt. Zu diesem Verfahren gehört die Bespitzelung der friedlichen und systemkritischen Occupy-Bewegung mit Hilfe nahezu aller US-Bundesbehörden ebenso wie Obamas Krieg gegen Whistleblower wie Bradley Manning. Und in dieses Verhaltensmuster passt es freilich auch, dass eine Regierung gegen die außerparlamentarische Tea-Party vorgehen würde, die grundsätzlich als "authentische Grassroots-Bewegung" entstand, wie Thomas Greven vom John-F.-Kennedy-Institut der FU Berlin analysiert, und erst danach von "Mobilisierungsversuchen konservativer Interessengruppen und Medien" profitierte.
Ist es im Zuge dieser Entwicklungen also noch überraschend, wenn Obamas Justizministerium heimlich die Telefonanschlüsse der Nachrichtenagentur Associated Press abgehört hat? Eher fügt sich dieses Verhalten als weiteres Puzzlestück zu einem Panoramabild zusammen, auf denen die Konturen und damit Ausmaße der so genannten "Anti-Terror"-Bekämpfung immer deutlicher zu erkennen sind. Vielleicht ist es zu Recht einmal an der Zeit, die polemische Fragen zu stellen: Ist Barack Obama schlimmer als Richard Nixon?