Das Geld wählt mit
Wie umstrittene Entscheidungen des Obersten Gerichtshofes den Einfluss finanzkräftiger Lobbygruppen auf die US-Politik weiter erhöhen
Es ist eine schwere Wahlschlappe für die amerikanische Rechte. Wider Erwarten hat der Oberste Gerichtshof der Vereinigten Staaten die mühsam errungene Reform des amerikanischen Gesundheitswesens, ein politisches Kernprojekt aus der ersten Amtszeit von Präsident Barack Obama, für verfassungskonform erklärt (Riesenerfolg für Obama).
Damit haben sich die Hoffnungen der Republikaner, den ohnehin angeschlagenen Präsidenten in der heißen Wahlkampfphase einen entscheidenden Schlag versetzen zu können, nicht erfüllt. Der republikanische Präsidentschaftsanwärter Mitt Romney hat am vergangenen Dienstag bereits seine Antwort auf das mit Spannung erwartete Urteil der amerikanischen Verfassungsrichter geprobt, indem er feststellte, dass die "ersten dreieinhalb Jahre der Amtszeit des Präsidenten für etwas verschwendet wurden, was dem amerikanischen Volk nicht hilft," sollte der Oberste Gerichtshof die Gesundheitsreform als nicht verfassungsgemäß verwerfen.
Tatsächlich bildete die Reform des ineffizienten und überteuerten Gesundheitssektors der USA das wichtigste innenpolitische Vorhaben der Obama-Administration, das erst nach weitreichenden Zugeständnissen an die Lobbygruppen der Gesundheitsindustrie beschlossen werden konnte (Auf der Kippe). Die Verfassungsrichter nahmen bei dem Gerichtsverfahren vor allem eine Bestimmung unter die Lupe, laut der US-Bürger zum Abschluss einer privaten Krankenversicherung verpflichtet wurden, nachdem die Einführung einer staatlichen Versicherungsoption im Ringen um die Durchsetzung der Gesundheitsreform von der Obama-Administration aufgegeben werden musste. Ausgerechnet diese umstrittene Bestimmung, die der US-Gesundheitsbranche weiter Millionen neue "Kunden" zuführen wird, erklärte der Oberste Gerichtshof für verfassungsgemäß.
Dennoch wird die amerikanische Rechte Obamas Gesundheitsreform im Wahlkampf weiterhin thematisieren, bildete doch das Ringen um dieses Reformwerk - das immerhin Millionen US-Bürgern erstmals überhaupt eine rudimentäre Krankenversicherung verschaffen wird - ein zentrales Moment der Mobilisierung der erzkonservativen Tea-Party-Bewegung (Amerikas rechtsextremer Mainstream). Die von konservativen Medien und Denkfabriken in irrwitziger Weise als "Sozialismus" bezeichnete Einführung einer allgemeinen Krankenversicherung, die ursprünglich von Obama geplant war, verschaffte den Republikanern das populistische Thema, um sich nach ihrer Wahlniederlage schnell zu erholen. Der mit der rechten Kampagne gegen "Obamacare" einhergehende Aufstieg der Tea Party schlug sich in einer Reihe von Wahlerfolgen für die Republikaner nieder, die wieder die Mehrheit im US-Kongress stellen. Es verwundert somit nicht, dass Romney ankündigte, bei seiner Wahl zum Präsidenten die Reform "am ersten Tag" zu revidieren.
Meist werden die Urteile des Obersten Gerichts zugunsten der Konservativen gefällt
Ein international weitaus weniger beachtetes Urteil, das den Wahlkampfverlauf ebenfalls entscheidend prägen dürfte, fällten die Obersten Richter nur wenige Tage zuvor am vergangenen Montag. Dabei haben die Verfassungshüter Regelungen zur Beschränkung von Wahlkampfspenden durch Unternehmen im US-Bundesstaat Montana aufgehoben, die seit mehr als hundert Jahren in Kraft waren. Diese Beschränkungen der Wahlkampffinanzierung standen mit der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs in Konflikt, das bei einem berüchtigten Urteilsspruch vom Januar 2010 Konzernen und Unternehmen de facto Menschenrechte verlieh.
Das nach der damals klagenden Lobbygruppe Citizens United bezeichnete Urteil sprach Unternehmen das Recht auf freie Meinungsäußerung zu, das sie in die Lage versetze, mit unbegrenzten Finanzmitteln "ihre" Kandidaten zu unterstützen. Anhand von Folgeprozessen wurde in der Rechtspraxis dieses Urteil dahin gehend implementiert, dass zwar die individuellen Spendenbeschränkungen von 5.000 US-Dollar erhalten blieben, aber formell unabhängige Kampagnen-Komitees nun Spenden in unbegrenzter Höhe entgegennehmen können. Sowohl der Präsident als auch sein republikanischer Herausforderer haben bereits solche "unabhängigen", als Super-PAC (Political Action Comitee) bezeichneten, Spendenkomitees eingerichtet. Um die mit Großspenden einhergehende Veröffentlichung der Spendernamen zu umgehen, werden diese verstärkt über dubiose Tarnorganisationen umgeleitet, die dazu nicht verpflichtet sind.
Das Ergebnis dieser höchstrichterlichen Rechtsprechung in der politischen Praxis wurde jüngst in der New York Times geschildert. Offen wurde die Aufhebung der Gesetze zur Spendenbeschränkung in Montana gefordert, die 1912 zur Eindämmung der Macht der damals dominanten Bergbauindustrie erlassen wurden.
Wenn die Richter am Obersten Gerichtshof die Nachrichten verfolgen, dann müssten sie die Transformation der amerikanischen Politik wahrnehmen, die nach dem Citizens-United-Urteil ab 2010 einsetzte. Sie sehen zu, wie Hunderte von Millionen Dollar durch Lobbygruppen in Super PACs und in verschwiegene Interessenvereinigungen geleitet wurden, die die Transparenz-Anforderungen des Gerichts missachten.
Es falle schwer, nicht zu der Schlussfolgerung zu gelangen, dass die konservativen Richter ziemlich zufrieden seien mit der Dominanz, die das "Big Money" den Wirtschaftsinteressen im diesjährigen Wahlkampf verschaffe, so die NYT. Tatsächlich stellt der Oberste Gerichtshof eine Art konservativer Altlast aus der Ära der Regentschaft des konservativen Präsidenten George W. Bush dar, der in seiner langen Amtszeit etliche der Richterposten mit konservativen Hardlinern besetzt hat.
Der US-Präsident hat nicht die Macht, die obersten Verfassungshüter abzusetzen, er kann nur frei werdende Posten neu besetzten. Während Obamas Amtszeit verließen bisher aber nur "liberale" Richter den Gerichtshof, sodass sich nichts an den Machtverhältnissen in diesem Gremium änderte. Den vier liberalen, den Demokraten nahestehenden Richtern stehen fünf konservative Kadis gegenüber. Folglich werden die meisten umstrittenen Urteile – wie auch der Fall Citizens United – mit der knappen konservativen Mehrheit von fünf zu vier entschieden. Nur bei dem Urteil zur Gesundheitsreform hat der konservative Richter John G. Roberts Jr. überraschend die Seiten gewechselt.
Bislang kommt die Aufhebung der Beschränkungen bei der Wahlkampffinanzierung klar den Republikanern zugute
Im Mai hat Mitt Romney erstmals mit einem Volumen 76 Millionen Dollar mehr Spenden eingesammelt als Obama, der auf rund 60 Millionen kam. Die unterschiedliche soziale Schichtung der Anhängerschaft der Demokraten und Republikaner spiegelt sich auch im Spendenverhalten. An Obama flossen weitaus mehr kleinere Spenden (572.000) von weniger als 250 Dollar, während Ronmey bei einer weitaus geringeren Masse an Kleinspendern (297.000) mehr Großspenden erhielt - und deswegen an Obama beim Geldsammeln vorbeiziehen konnte.
Der Präsident kann auf Spendenzuflüsse von Minderheiten wie Homosexuellen und Migranten bauen, während der Herausforderer vor allem bei den Spenden der Wall Street in Führung liegt. Damit hat sich das Spendenverhalten der einflussreichen amerikanischen Finanzindustrie diametral verändert, die noch vor vier Jahren insbesondere Obama unterstützte (Der konformistische Rebell).
Doch von besonderem Interesse sind in diesem Wahlkampf die Einnahmen der formell unabhängigen Super-PAC , bei denen der Abstand zwischen den Republikanern und den Demokraten bereits enorm ist. Romney Super-PAC "Restore Our Future" hat im Mai acht Millionen US-Dollar eingesammelt, sodass die Gesamtzuflüsse in dieses Spendenkomitee sich inzwischen auf 64 Millionen belaufen (von denen 55 Millionen bereits ausgegeben wurden). Priorities USA Action, das Super-PAC Obamas, konnte im vergangenen Monat nur vier Millionen Dollar an Zuflüssen verzeichnen und verfügt über ein Gesamtkapital von nur 4,5 Millionen Dollar.
Der Nachrichtendienst Bloomberg meldete unlängst, dass die "Vermehrung" von konservativen Super-PACs bei demokratischen Wahlkampfmanagern die Befürchtung wachsen lasse, dass der Präsident "das Geldrennen verlieren" werde:
Die andere Seite wird uns mit der Hilfe anonymer Interessengruppen überholen, die Schecks in Höhe von 10 Millionen Dollar ausstellen, während unsere durchschnittliche Spende im Mai 55 Dollar betrug.
Tatsächlich konnten im Mai etliche republikanische Super-PACs enorme Mittelzuflüsse verzeichnen, die den Abstand zu den Demokraten noch weiter anwachsen lassen. Das Spendenkomitee des republikanischen Strategen Karl Rove hat sein Kapital im vergangenen Monat um 4,6 Millionen Dollar auf 29 Millionen erhöhen können. Dies soll aber nur ein Anfang sein: Insgesamt will Rove rund 300 Millionen US-Dollar mobilisieren.
Auch die berüchtigten Koch-Brüder – zwei rechtsgerichtete Konzernchefs, die auch die Tea Party Bewegung finanzierten – organisieren bereits geheime Spendentreffen von Milliardären, um rund 400 Millionen Dollar zur Wahl eines republikanischen Präsidenten zu sammeln. Inzwischen sollen auf diese Weise 250 Millionen US-Dollar zusammengekommen sein. Insgesamt wollen die Republikaner alleine durch PACs und formell unabhängige Interessensgruppen die Rekordsumme von einer Milliarde Dollar im kommenden Präsidentschaftswahlkampf investieren. Der mit mickrigen Spendenzuflüssen kämpfende PAC Obamas, Priorities USA Action, hofft hingegen darauf, im Wahlkampfverlauf rund 100 Millionen einzunehmen.
Die Demokraten bemühen sich aufgrund der wachsenden finanziellen Schieflage verstärkt, die Geldzuflüsse an die Republikaner auch im Wahlkampf zum Thema zu machen. In einer Kampagne bemühen sich demokratische Politiker, zumindest die Anonymisierung der Großspender zu thematisieren, die etwa der ehemalige Bush-Berater Karl Rove mit der konservativen Gruppe Crossroads GPS ermöglicht. Rove bezeichnete Crossroads GPS als eine "Wohlfahrtsorganisation", die somit die Namen ihrer Großspender nicht nennen müsse. Das von Rove geleitete PAC nennt sich hingegen American Crossroads.
Die Politico.com beschrieb jüngst die mit der Entscheidung des Obersten Gerichtshofs einhergehende fundamentale Veränderung der Spendendynamik im amerikanischen Wahlkampf, indem sie die derzeitige Kampagne mit der Situation in 2008 verglich, als Obama – neben der Unterstützung der Wall Street - auch dank einer Vielzahl kleinerer Spenden das Geldrennen im Wahlkampf für sich entscheiden konnte. Seitdem haben sich die Dinge "radikal" geändert, so Politico:
Erstens machte es Citizens United für reiche Spender einfacher und risikoärmer, ins Spiel zurückzukehren. Zweitens pflasterte ein Folgeurteil den Weg für die Schaffung der Super-PACs, die Mega-Spendern ein effektives Vehikel zur Werbefinanzierung in der modernen Wahlkampfära verschafften. Drittens und vielleicht am wichtigsten ist, dass Obama viele an den freien Markt glaubende Millionäre aufgeschreckt hat, die bei ihm eine offene Feindschaft gegenüber dem Kapitalismus wittern.
Die Propaganda der Tea Party, die aus Obama einen "Sozialisten" macht, wird also auch von den Finanziers dieser Bewegung geteilt.