Ökonom Hickel: "Die Megakatastrophe Grexit vermeiden"

Seite 2: Das ist ein total organisierter Souveränitätsverlust"

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Wenn wir noch einmal zu ihrem Bild von Schuld und Sühne zurückkommen, ist das Vorgehen gegenüber Griechenland ein warnendes Signal an Andere? Zum Beispiel wurde in Spanien erklärt, das Land sei für seine Kühnheit bestraft worden, auf Demokratie beharrt zu haben.

Rudolf Hickel: Darum geht es im Kern. Das macht auch die Härte deutlich, die von Schäuble ausgeht. Er will ein Exempel statuieren, ein neoliberales Exempel. Wer in einem Euroland unter die Räder gerät, egal aus welchen Gründen, der wird zu einer solchen Politik gezwungen. Dann werden die Regeln definiert, und die sind neoliberal. Wer die nicht einhält, muss künftig wissen, dass er dann kein Geld mehr bekommt. Egal ist dabei auch, ob eine Fehlkonstruktion des Euro dafür verantwortlich ist. Das richtet sich klar gegen Spanien und Portugal, die ja auch schon zu Kreuze gekrochen sind, aber auch an die Krisenländer wie Italien und Frankreich. Es ist natürlich ein Signal an die gesamte EU, wo diese Spardoktrin insgesamt durchgesetzt werden soll.

Sie sehen zudem eine Demontage der griechischen Demokratie?

Rudolf Hickel: Die Marschrichtung ist klar. Ich habe mir die Euro-Erklärung vom 12. Juli nochmal durchgelesen. Da steht klipp und klar drin, dass kein Gesetz mehr gemacht werden darf, ohne die vorherige Kontrolle durch die Institutionen (ehemals Troika). Da steht auch, dass nicht mal darüber öffentlich debattiert werden darf, bevor die nicht ihre Meinung zu dem Gesetz vorgetragen haben. Das ist ein total organisierter Souveränitätsverlust.

Naive Bilderbuch-Ökonomie

Wohin zielt diese "Rettung"? Es kann doch niemand ernsthaft annehmen, dass es nun beim dritten Mal endlich klappt. Er werden ja nur neue Schulden auf Schuldenberge aufgeladen, die längst nicht mehr tragfähig waren. Zielt das nicht insgesamt, Schäuble hat das ja immer wieder auch einigermaßen offen gesagt, auf den dann scheinbar unvermeidlich werdenden Grexit ab?

Rudolf Hickel: Der Bundesfinanzminister hat am Sonntag mit seinem Vorstoß unglaublichen starken Druck ausgeübt. Darin ging es ja um den zeitlich befristeten Ausstieg aus der Eurozone, also der Wiedereinführung der Drachme. Und da habe ich dann auch ein bisschen Verständnis für Tsipras, der lieber den ganzen Mist unterschreibt, um den Grexit zu verhindern. Denn ich bin ein ganz strikter Gegner des Grexit.

Warum? Wäre nicht, wie viele glauben, ein Grexit tatsächlich besser für das Land, weil es dann über die Abwertung der Drachme wettbewerbsfähiger würde und nicht über eine interne Abwertung?

Rudolf Hickel: Das ist naive Bilderbuch-Ökonomie, die von Hans-Werner Sinn und anderen vertreten wird. Sie sagen, wenn die Drachme wieder eingeführt wird, wertet sie gegenüber dem Euro stark ab, was ein Segen für die Exportwirtschaft sei. Denn in die Eurozone gelieferte Güter werden mit Euro bezahlt, die Firmen bekommen also beim Umtausch erheblich mehr Drachmen. Das ist deshalb absolut unsinnig, weil es in Griechenland keine starke Exportwirtschaft gibt, die damit gestärkt werden könnte. Und durch diese Abwertung kann man keine Exportwirtschaft aufbauen. Also ergibt sich da kein Impuls.

Die letzten Jahre zeigen das. Zwar sind die Lohnstückkosten (Arbeitskosten pro Stunde bezogen auf die Produktivität je Arbeitsstunde) in den Jahren 2011 bis 2014 in Griechenland um fast 13 % gesunken. Die Exporte legten aber nicht zu, sondern gingen in den letzten Jahren sogar noch um 3% zurück. In Deutschland sind dagegen die Lohnstückkosten im gleichen Zeitraum um fast 9% gewachsen, jedoch sind die Exporte wegen der internationalen Wettbewerbsfähigkeit deutlich gestiegen.

Dagegen liegen die schweren Belastungen auf der Importseite durch die Wiedereinführung der Drachme auf der Hand. Das wird zu einer unglaublichen importierten Inflation und zu Realeinkommensverlusten führen. Denn das Land hängt sehr stark von Importen ab, die sich darüber natürlich erheblich verteuern würden, wenn diese Importe plötzlich in Drachmen bezahlt werden müssen. Das heißt, dass diese Importe zunächst durch eine heimische Produktion ersetzt werden müssten, um die Abhängigkeit abzubauen. Dazu könnten sich die Reichen in Griechenland billig bedienen, weil sie dort billig zu bekommen ist.

Der letzte Punkt ist eher politisch, weil Griechenland dann auch politisch in einer ohnehin krisenanfälligen Region isoliert wäre und das zudem in einer ökonomisch katastrophalen Lage. Somit wäre der Grexit eine Katastrophe, der schlechteste anzunehmende Fall.

Kann er auf diesem Weg vermieden werden?

Rudolf Hickel: Vordergründig kann man sagen, dass der Grexit nun durch die Fortsetzung von Schuld und Sühne vermieden wurde. Das war der Druck, den Schäuble aufgebaut hat: Entweder ihr stimmt unserem Paket zu, sonst drohe ich euch mit dem Grexit. Aber es ist völlig klar, dass das Programm so nicht aufgehen kann. Dann ist die Gefahr natürlich erheblich höher, dass es dann doch zum Grexit kommt. Ein viertes Paket, mit erneuten Debatten in Parlamenten, ist kaum vorstellbar, dass das noch einmal durchsetzbar ist. Die jetzige Entscheidung für dieses Programm hat die Gefahr eines Grexits unglaublich verschärft.