Ökonom Hickel: "Die Megakatastrophe Grexit vermeiden"

Seite 3: Durch Umschulden der Schulden würden die Griechen das benötigte frische Geld erhalten

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Was wäre ein Ausweg aus dieser Bredouille?

Rudolf Hickel: Jetzt, nachdem das Kind in Brunnen gefallen worden ist, wäre es wichtig zu schauen, wo man Mittel freimachen kann, um Griechenland beim ökonomischen Um- und Aufbau zu helfen.

Aber wäre nicht ein Grexit, mit dem eine völlige Entschuldung verbunden wäre, nicht genau richtig? Mit einem Schlag wären enorme Mittel für ein Umsteuern der Wirtschaft, zur Ankurbelung der Konjunktur frei, die nun als enorme Zinslast an internationale Gläubiger abfließen?

Rudolf Hickel: Das sehe ich anders. Und einen Schuldenschnitt halte ich aus einem ganz entscheidenden Grund gar nicht mehr für nötig. Denn die Gläubiger sind nicht mehr die Banken, sondern zu über 80% heute Institutionen, wie der IWF und die EZB. Es gibt in Deutschland kaum noch private Anleger, die über griechische Anleihen verfügen. Das ist auch ein Irrtum von Sahra Wagenknecht, die ich sonst schätze.

Was ich nun will, ist eine Wirkung wie ein Schuldenschnitt. Und diese Wirkung kann ich dadurch erzielen, dass zum Beispiel die gerade fällig gewordenen Rückzahlung in Höhe von 3,5 Milliarden an die EZB auf den Rettungsfonds ESM umgelegt und die Rückzahlung auf 50 Jahre mit niedrigen Zinsen gedehnt wird, um darüber eine Entlastung zu bekommen. Und eine Restrukturierung der Schulden hat soeben der Internationale Währungsfonds (IWF) gefordert. Wenn ich die Schulden umbuche, bekommen die Griechen etwas, was sie dringend brauchen: frisches Geld.

Die Tilgung erfolgt, wie bereits verabredet, ab 2023. Und die Höhe der Kreditrückzahlungen sollte noch in Abhängigkeit von der Wirtschaftsleistung gestaltet werden. Wenn es besser läuft, zahlen sie etwas mehr, wenn es schlechter läuft, zahlen sie etwas weniger. Das könnte analog zum Londoner Schuldenabkommen von 1953 laufen, als Deutschland nicht nur einen Schuldenschnitt bekam, sondern die Rückzahlung der Restschulden auf den Anteil von maximal 4% der Exporte beschränkt wurde. Das Entscheidende ist jetzt nicht ein Schuldenschnitt, sondern die Übertragung auf einen ganz langfristigen Fonds, über den und dessen Finanzierung man auch noch viel reden kann.

Doch reicht das dann aus, damit das Land wieder auf die Beine kommt?

Rudolf Hickel: Nein. Danach wäre es wichtig zu sagen, ein wenig wie der EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker das mit den Infrastrukturmitteln angesprochen hat, das gesamte zusätzliche Geld zum Beispiel in Programme zur Bekämpfung der sozialen Armut zu geben, zum Aufbau einer Wirtschaftsstruktur mit kleinen und mittleren Unternehmen, für eine forschungsintensive industrielle Basis, zukunftsfähige ökologische Produktlinien, ökologisch verträglichen Tourismus, erneuerbare Energieerzeugung, etc. Die Stärkung des Wirtschaftswachstums und Schaffung von Arbeitsplätzen generieren dann auch eigene Steuereinnahmen. Das ist alles bisher nicht passiert, aber macht man das nicht, ist das alles dem Tode geweiht.

Nennt man das Kind nun Schuldenschnitt oder Umstrukturierung, dann argumentieren ja Leute wie Schäuble mit den EU-Verträgen. Konkret wird auf Artikel 125 Absatz 1 verwiesen, der es der Europäischen Union und den Mitgliedstaaten verbietet, Schuldenlasten eines anderen Mitgliedstaates zu übernehmen ("Nichtbeistandsklausel"). Ist es also unmöglich, eine vernünftige Lösung zu finden?

Rudolf Hickel: Ich sage da nur, dass die Regeln zwar so gegeben sind, diese Regeln sind aber schlicht falsch. Die Regeln sind schon im Vertrag von Maastricht falsch, dass einem Land, das in eine Krise gerät, nicht geholfen werden darf. Wir müssen Regeln ändern und Regeln einhalten, die vernünftig sind. Das meiste ist aber total unvernünftig. Warum kann ein Staat nicht eine höhere Neuverschuldung als 3% haben, wenn er damit etwas Vernünftiges finanziert, wie einen ökologischen Umbau, und deshalb insgesamt besser dasteht als einer, der stur die Regel einhält.

Es wird ja auch schon über eine Zwangsabgabe für griechische Sparer geredet, um sie an der Sanierung oder Abwicklung von Banken zu beteiligen, wofür auch schon die rechtlichen Möglichkeiten geschaffen wurden. Deshalb wird Griechenland ja gerade gedrängt, die BRRD-Richtlinie schnellstmöglich umzusetzen und das war Teil der neuen Vereinbarungen. Wäre es nicht eine Möglichkeit, über eine massive Zwangsabgabe das Land teilweise zu entschulden, wie es der IWF mit seinen Forderungen nach einer "finanziellen Repression" immer wieder mal ins Spiel bringt?

Rudolf Hickel: Das wird nicht kommen. Wenn man so etwas macht, müsste man es auch sozial differenziert machen. Das würde man dann an eine bestimmte Sparsumme koppeln. Was kommen könnte, ist die Gläubigerbeteiligung an den vier systemrelevanten Banken nach der Richtlinie, die sie gerade angesprochen haben. Das man also einen Bail-in macht, wie man es schon in Zypern gemacht hat, also die Gläubiger an der Rettung beteiligt.

Das hängt in Griechenland aber ziemlich in der Luft. Anders als in Zypern haben die Reichen das Geld ja nicht auf Konten bei Banken im Land, sondern irgendwo im Ausland. Deshalb glaube ich, dass man das vermutlich nicht macht, weil es in Griechenland zu wenig bringen würde. In Griechenland ist unglaublich viel Kapital - über 150 Milliarden Euro - abgeflossen. Das war ein Fehler, die Kapitalverkehrskontrollen hätte man gleich 2010 einführen müssen, um das Abfließen des Geldes ins Ausland zu verhindern.

Was wäre denn in Griechenland sonst noch nötig an strukturellen Reformen?

Rudolf Hickel: Natürlich muss Griechenland auch einen eigenen Beitrag leisten. Ich höre immer wieder von kleineren und mittleren Unternehmen, dass sie sich nicht ansiedeln können, weil die Eigentumsfrage des Grundstücks nicht geklärt ist. Dazu gehört eine effektive Verwaltung, die Bekämpfung von Vetternwirtschaft, Korruption und Steuerhinterziehung, die über 40 Jahre die politische Regierungspraxis geprägt hatte. Allein durch den Öl-, Benzin- und Tabakschmuggel werden jährlich Steuerausfälle von über 20 Milliarden Euro verursacht. Dazu gehört natürlich eine demokratische Erneuerung im Inneren und dass die oligarchische Machtwirtschaft durch demokratische Strukturen verdrängt werden muss. Das ist natürlich alles recht einfach gesagt, aber die Umsetzung ist dann gar nicht so einfach.