IWF drängt auf Enteignung der Sparer
Bankenrettungen haben die Verschuldung auf Rekordwerte getrieben, die nur mit "finanzieller Repression" wie Zwangsabgaben für Sparer, Inflation und Schuldenschnitten einzudämmen seien
Dass der Internationale Währungsfonds (IWF) für Schuldenschnitte eintritt und es deshalb auch in der "Rettungs-Troika" längst kracht, ist hinlänglich bekannt. Dass der IWF auch für Zwangsabgaben für alle Sparer eintritt, haben die Vorgänge in Zypern gezeigt, wo IWF, EU-Kommission und Europäische Zentralbank (EZB) die Sparer schon mit 10% für die Bankenrettung zur Kasse bitten wollten (Letzte Zwangsabgabe in Europa "endete vor Erschießungskommando"). Doch das ist nur der Anfang einer viel radikaleren Kur, die Europa verordnet werden soll, um die Rekordverschuldung wieder in erträgliche Bereiche zu bringen.
Immer wieder wurde in Telepolis aufgezeigt, dass die angebliche Rettung von Krisenstaaten wie Irland alles andere als erfolgreich war und der Ausstieg aus dem Rettungsschirm eine reine Show ist. Für die breite Bevölkerung brachte diese "Rettung" schlicht Verarmung und Druck zur Auswanderung, während das Geld für die angebliche Rettung der Länder nur eine getarnte Bankenrettung war.
In die Geldhäuser und in die Taschen von Spekulanten flossen nicht nur die Rettungsmilliarden, sondern auch die Ersparnisse der Rentenfonds und Steuern. Doch das eigentliche Problem, das angeblich angegangen werden sollte, hat sich nur verschlimmert. In allen Krisenländern ist mit der Bankenrettung die Staatsverschuldung explodiert, in Irland hat sie sich in den Krisenjahren trotz massiver Kürzungs- und Sparprogramme sogar verfünffacht.
Wurde in Griechenland, Irland und Portugal noch so getan, als ginge es um Rettung des Landes, wurde in Spanien schon eher Klartext geredet. Es wurde nur ein Programm zur Bankenrettung aufgelegt und derweil daran gearbeitet, den Banken in Zukunft auch den direkten Zugriff auf die Steuermilliarden zu verschaffen (Neue Bankenrettungen auf Kosten europäischer Steuerzahler). Auch wenn das noch einige Jahre verschoben wurde, sollen aber in der Zielvorstellung dafür nicht einmal mehr die Staaten haftbar gemacht werden (Van Rompuy will Eurobonds und Entmachtung der Parlamente).
Fakt ist, dass alle Länder in Rettungsprogrammen ihre Haushaltdefizite nicht in den Griff bekommen haben ("Erfolg" in Irland: Auswanderung senkt Arbeitslosigkeit). Der Stabilitätsmarke von 3% des Bruttosozialprodukts (BIP) haben sich weder Irland noch Portugal oder Spanien auch nur angenähert. Deren Defizite sind allesamt weiterhin doppelt so hoch oder noch höher. Vom Stabilitätsziel, die Staatsverschuldung unter nachhaltigen 60% des BIPs zu halten, braucht gar nicht erst gesprochen zu werden. Spanien geht auf 100% zu, Irland und Portugal weisen wie Italien und Griechenland schon deutlich mehr als das Doppelte dieses Werts aus.
Finanzielle Repression als Lösung?
Genau hier aber setzen Kenneth Rogoff, ehemaliger IWF-Chefökonom, und Carmen Reinhart an. Nachdem unter Federführung des IWF die Kinder in den Brunnen geworfen wurden, fordern sie nun in einem Paper noch radikalere Maßnahmen, um der ausschweifenden Verschuldung zu begegnen. In einem Arbeitspapier schlagen sie einen "Schuldenverzicht der Gläubiger, höhere Inflation, Kapitalkontrollen und andere Formen einer finanziellen Repression" vor. Sie fordern die Anwendung der Folterwerkzeuge, mit denen der IWF einst auch Schellenländer wenig erfolgreich massakriert hat.
The claim is that advanced countries do not need to resort to the standard toolkit of emerging markets, including debt restructurings and conversions, higher inflation, capital controls and other forms of financial repression.
Anders könne den Schuldenbergen auch in reichen Ländern nicht mehr begegnet werden, die den höchsten Stand in 200 Jahren erreicht hätten.
Was sie unter dieser Repression verstehen, beschreiben sie auch noch etwas genauer. Neben den "Kapitalkontrollen" sprechen sie als zentrales Element von einer "verdeckten Steuer für Sparer", die mit Schuldenschnitten und höherer Inflation kombiniert werden müssten. Klar gemacht wird auch, dass Unwertpapiere wie wertlose Anleihen und Aktien bei Pensionsfonds und Versicherungen abgeladen werden sollen, um zudem per Gesetz eine geringere Verzinsung als zuvor versprochen per Regulierung aufzuzwingen.
In light of this dim prospect, the paper reviews the possible options, concluding that the endgame to the global financial crisis is likely to require some combination of financial repression (an opaque tax on savers), outright restructuring of public and private debt, conversions, somewhat higher inflation, and a variety of capital controls under the umbrella of macroprudential regulation." (…) Financial repression has already been mentioned; governments can stuff debt into local pension funds and insurance companies, forcing them through regulation to accept far lower rates of return than they might otherwise demand. But domestic debt can also be reduced through inflation.
Das alles klingt nach einem zugespitzten Zypern-Programm und den befürchteten "Wochenend-Enteignungen" für ganz Europa, um die Billionen zu bezahlen, die die Banken an Schulden aufgehäuft haben. Angeblich wird nicht die offizielle Meinung des IWF vertreten, der aber nicht weit entfernt davon ist, wie er mehr als deutlich in Zypern gemacht hat. Erst kürzlich forderte der IWF eindeutig die in Zypern am massiven Widerstand gescheiterte allgemeine Zwangsabgabe in Höhe von 10% auf alle Spar-Guthaben. Erreicht werden soll damit, die Schulden, die vor allem für die Bankenrettung explodiert sind, durch die Enteignung der Sparer wieder auf das Niveau vor der Finanzkrise zu drücken.
Reinhart und Rogoff sind damit aber längst nicht zufrieden, wie ihr Arbeitspapier zeigt. Sie kritisieren die Illusion in den entwickelten Ländern, über die bisherige schleichende Enteignung der Sparer über Zinsen, über die Kürzungs- und Sparprogramme (Austerität) und über Wachstum die Kreditfalle überwinden zu können. Parteien und Regierungen werfen die beiden Autoren vor, kollektiv die Realität auszuklammern. Die Annahmen, die ihrer Politik zugrunde lägen, seien viel zu optimistisch, weshalb die Krise verschleppt und eine nachhaltige Lösung verhindert werde. Die Rechnung werde am Ende deutlich höher ausfallen. Die Bankenunion, die nun in Europa auf den Weg gebracht wurde, werde die Lage nur vorübergehend verbessern.
Die "Rechenfehler" des IWF
Dass Reinhart und Rogoff mit dem Argument kommen, darüber werde Steuerzahlern im Norden Europas höhere Kosten aufgebrummt, klingt angesichts der Tatsache, dass beide ihnen die Ersparnisse rauben wollen, schon fast niedlich. Erstaunlich ist auch, dass sie gerade jetzt die Austerität angreifen, die federführend vom IWF den Krisenländern aufgezwungen wurde. Gegen die Bankenrettung mit zu erwartender Schuldenexplosion hatte der IWF ohnehin nie etwas einzuwenden. Nun fordert er ja auch, künftig bei Schuldenschnitten die öffentlichen Gläubiger und eben nicht andere Banken, Fonds und Versicherungen zur Kasse zu bitten (… und ein neues Milliardenpaket für Griechenland) .
Hatte nicht der IWF nicht sogar vor einem Jahr ein "mea culpa" verkündet und von "Rechenfehlern" gesprochen? Der IWF-Chefvolkswirt Olivier Blanchard und sein Kollege Daniel Leigh hatten damit beschönigt, dass sie sich fatal geirrt haben, als sie die drakonischen Sparprogramme entworfen haben: "Die Prognosen haben das Anwachsen der Arbeitslosigkeit und das Sinken der Binnennachfrage signifikant unterschätzt." Die in der Finanzkrise geforderten "größeren fiskalischen Kürzungen" hätten zu einem deutlich schwächeren Wachstum geführt, als ursprünglich erwartet worden sei. "Der Anstieg der Arbeitslosigkeit und der Konsum- und Investitionsrückgang, der mit einer fiskalischen Konsolidierung einhergeht, wurde deutlich unterschätzt", schrieben sie (Barroso erklärt die Krise für beendet). Damit wird geschönt erklärt, wie Länder wie Griechenland in die Depression gespart wurden.
Die IWF-Experten hätten aber vielleicht einmal die Berichte aus dem eigenen Haus lesen sollen. In der Analyse von mehr als 100 sogenannten Anpassungsprogrammen, die verschiedenen Entwicklungsändern zwischen 1993 und 2001 aufgezwungen wurden, hatte der IWF schon 2003 festgestellt, dass die drastischen Sparprogramme das Wachstum abwürgt hatten und die angepeilten Defizitziele und ein Abbau der Schuldenlast ebenfalls verfehlt wurden.
Nachdem also das eingetreten ist, was von vielen befürchtet wurde und was IWF-Experten wie Rogoff und Co zu zentral zu verantworten haben, sollen nun die Sparer enteignet werden, um für die Folgen aufzukommen. Angemerkt sei hier, dass es just Rogoff und Reinhart waren, die sich so grandios verrechnet hatten. Sie hatten behauptet, das Wirtschaftswachstum von Staaten falle dann rapide, wenn Verschuldung die Grenze von 90% des Bruttoinlandsprodukts (BIP) übersteigt. Doch andere US-Forscher wiesen ihnen nach, dass ihre These unhaltbar ist. "Codierungsfehler, der selektive Ausschluss vorhandener Daten und die unkonventionelle Gewichtung zusammenfassender Statistiken haben zu erheblichen Fehlern geführt, die das Verhältnis von öffentlichen Schulden und Wirtschaftswachstum ungenau wiedergeben", heißt es in deren Studie.
Rogoff und Reinhart hätten nicht alle vorliegenden Daten verwendet, einige Jahre ausgelassen, Einzelfälle ungewöhnlich stark gewichtet und konnten offensichtlich nicht mit Excel-Tabellen umgehen. Fünf Staaten seien nicht berücksichtigt worden, wurde beim Nachrechnen festgestellt. Man sollte also angesichts der neuen Vorschläge, die sie nun machen, sehr vorsichtig sein. Es ist zu durchsichtig, wer nun wieder geschröpft und wer erneut der Nutznießer der Umverteilung sein soll. "Der größte Raubzug der Geschichte", wie Matthias Weik und Marc Friedrich es wohl ausdrücken würden (Die Kapital-Lebensversicherung), hat wohl gerade erst richtig begonnen.