Wochenend-Enteignung für 9,3 Billionen Bank-Schulden?
Zypern war die Blaupause, die EU-Kommission will die Sparer schnell für riesige Bankschulden zur Kasse bitten
In Zypern wurde im Labor versucht, was in der EU nun der Normalfall werden soll. Nach Ansicht von EU-Binnenmarktkommissar Michel Barnier sollen Sparer übers Wochenende mit einer Zwangsabgabe belastet werden, wenn ihre Bank in eine Schieflage gerät. Der dauerhafte Rettungsfonds ESM soll erst einspringen, wenn die Einlagen nicht reichen. Der Versuch in Zypern, alle Sparer zur Kasse zu bitten, sollte eine Warnung sein. Da europäische Banken auf Verbindlichkeiten von mehr als 9 Billionen Euro sitzen, dürften im Ernstfall alle Spareinlagen belastet werden, weil die 700 Milliarden des ESM bei weitem nicht reichen werden. Dass Banken im angeschlagenen Spanien allein auf Schulden von 3,3 Billionen sitzen, sollte angesichts des ungebremsten Absturzes des Landes die Alarmglocken schrillen lassen. Einfache Sparer werden dort längst höhere Verluste als Vermögenden in Zypern aufgebraten.
Der Rückwärtsgang der EU-Kommission in Zypern ist ganz offensichtlich geglückt. Einfache Sparer in Europa sind nun offenbar beruhigt, dass nach den massiven Protesten und Verwerfungen für die überschaubare Rettung zypriotischer Banken nur Spareinlagen über 100.000 Euro angezapft werden (300 Euro pro Tag, Person und Konto dürfen abgehoben werden). Schnell, zu schnell, wurde aber vergessen, dass allgemein die Konten rasiert werden sollten. Schnell wurde auch vergessen, dass Eurogruppenchef Jeroen Dijsselbloem das Vorgehen als modellhaft bezeichnete. Brüssel war nach einem massiven Absturz der Börsen danach ohnehin nur zaghaft zurückgerudert.
Dijsselbloems Vorstellungen tauchen aber nun bei EU-Binnenmarktkommissar Michel Barnier wieder auf. Der sagte gegenüber der Süddeutschen Zeitung: "Zuerst zahlen die Aktionäre der Bank, als Zweites die übrigen Kapitalgeber, also etwa Anleihebesitzer." Wenn das nicht reiche, würden Sparer mit Guthaben über 100.000 Euro herangezogen. "Danach kommen die Mittel aus den künftigen nationalen Banken-Abwicklungsfonds, in die alle Institute einzahlen müssen." Erst danach komme der von den Steuerzahlern mit 700 Milliarden ausgestattete ESM an der Reihe. "Der ESM ist definitiv die allerletzte Rückfallposition", so Barnier.
Das ist das Zypern-Modell von Dijsselbloem. Erstaunt reibt man sich die Augen, dass sogar die Einlagensicherung der Banken erst einspringen soll, nachdem die Sparer rasiert wurden. Barnier bestätigt die vom Chef der Euro-Gruppe vorgegebene Reihenfolge: Aktionäre, Anleihegläubiger, Kunden. Erst sollen Einlagensicherung und der ESM zur Kasse gebeten werden. Barnier nennt zur Beruhigung aber die in Zypern nachgeschobene Grenze von 100.000 Euro. Die wirkt, denn ganz offensichtlich wurde ein allgemeiner Aufschrei und ein Börsencrashs nach dessen Aussagen vermieden. Dass der Eurogruppenchef mit seinem zweifelhaftem Lebenslauf (Hat der Euro-Gruppen-Chef seinen Lebenslauf aufgehübscht?) keine Begrenzungszahl nannte, ist praktisch der einzige Unterschied zu den Angaben von Barnier.
Man sollte sich aber auf der Zunge zergehen lassen, was an einem Wochenende angeblich alles geprüft werden soll. Denn solche wichtigen Ereignisse, wie geplante Blitz-Enteignungen von Sparern, finden stets hektisch am Wochenende statt, ebenso wie nie geplante Verstaatlichungen Auch Europa versucht, seine Banken zu retten) und ähnliches. Nur eingeweihten Personen haben zuvor noch die Chance, Geld zu verschieben, wie es in Zypern ebenfalls zu beobachten war. Der Tabubruch, nachdem man schon die Steuerzahler über Rettungspakete zur Bankenrettung angezapft hat, nun direkt Sparer zur Kasse zu bitten, ist längst gemacht und dürfte nur einen Einstieg bedeuten.
Es gibt keinen einzigen vernünftigen Grund zu glauben, dass im Ernstfall die Grenze von 100.000 Euro Bestand hat oder sogar ganz gekippt wird, wie es in Zypern schon versucht wurde. Sogar wenn sie Bestand hätte, sollte jeder genauer nachrechnen, ob sich private kapitalbildende Rentenversicherungen, in die die Bevölkerungen massiv gedrängt wurden, Bausparpläne etc. nicht längst so aufsummieren, dass diese Grenze überschritten wird. Das sind letztlich Spareinlagen.
In Zypern ging es nur um "Peanuts", aber schon hier wurde eine allgemeine Zwangsabgabe versucht
Man muss die nun auf 23 Milliarden Euro aufgestockte Rettungssumme für Zypern ins Verhältnis zu den riesigen Summen und Gefahren setzen, die sich in den Bilanzen von europäischen Banken stapeln. Hätte man das Schwarzgeld von Steuerbetrügern, das sich wohl allein bei der HSBC-Bank in der Schweiz befindet, mit lächerlichen 10 Prozent besteuert, wäre die Summe zur Bankenrettung in Zypern leicht hereingekommen. Bei einer Besteuerung von 41 Prozent, wie es das geplante deutsche Steuerabkommen mit Schweiz vorsieht, könnte man auch noch die Portugal-Rettung bezahlen, statt die Verfassung des Landes auszuhebeln. Mit der Besteuerung von Steuerhinterziehen hätte man genug Geld, um die Bevölkerungen in Krisenländern nicht in bittere Armut und die Länder in die Depression zu schicken. Würde das gesamte Schwarzgeld in der Schweiz und anderen Ländern entsprechend besteuert, hätte man genug Geld, um die 700 Milliarden im ESM und um alle bisherigen Nothilfemaßnahmen zu finanzieren.
Der Blick sollte sich von Zypern weg auf die wirklichen Finanz-Atombomben wenden. Nicht vergessen werden sollte, dass für spanische Banken längst 100 Milliarden Euro genehmigt wurden. Dass die ausreichen werden, daran glaubte nach den Mogeleien im Stresstest ohnehin niemand ernsthaft. Das Land, das gerade auch tief in den Abgrund gespart wird, sitzt aber auf geschätzten 3,3 Billionen Euro an Bank-Verbindlichkeiten, schätzt der der Präsident des Münchner Ifo-Instituts. Hans-Werner Sinn bezifferte schon im vergangenen Jahr die Bankenschulden in der Eurozone auf "rund 9300 Milliarden", während die "Staatsschulden etwa 3400 Milliarden Euro betragen".
Da die Risiken aber immer größer werden, wird fleißig an der Bankenunion gebastelt, die diese nun absichern soll. Denn im Rahmen der Finanzkrise wurden die Banken in Griechenland, Spanien, Italien, Portugal … dazu gedrängt, die Staatsanleihen der eigenen Länder zu kaufen, um die Zinsen nicht immer höher schnellen zu lassen. Dass die nicht so sicher sind, wie stets behauptet wird, haben zwei Schuldenschnitte in Griechenland gezeigt, die massiv zur Schieflage der Banken in Zypern beigetragen haben.
Das Geld für den Staatsanleihen-Kauf kommt vor allem als Subvention von der Europäischen Zentralbank (EZB). Die reicht es für 0,75 Prozent an Banken aus, damit die es Ländern wie Italien oder Spanien zu deutlich höheren Zinssätzen leihen, deren Verschuldung genauso weiter steigt, wie der Anteil der Zinslast in deren Haushalten immer dramatischer wird. Italien hat schon zwei Billionen Euro Staatschulden. Das sind fast 130% der jährlichen Wirtschaftsleistung, nur Griechenland steht noch schlechter da.
In Portugal und Irland sind trotz (oder wegen) des harten Sparkurses in beiden Ländern die Schuldenquoten auf etwa 120% des Bruttoinlandsprodukts (BIP) gestiegen. Spanien nähert sich deutlich der Schwelle einer Verschuldung von einer Billion Euro und stößt in ungesunde Regionen von knapp 90 Prozent des BIP vor. Mit Italien und Spanien ticken die wirklichen Zeitbomben immer lauter. Das hat auch mit den politischen Krisen und den Korruptionsaffären in beiden Ländern zu tun hat. Dass Korruption ein zentraler Schuldenfaktor ist, ist ohnehin nicht neu.
Doch kommen wir auf die geplanten Blitz-Enteignungen nach dem Zypern-Modell zurück. Warum will Barnier ein Regelwerk nun so rasch wie möglich verabschieden? Denn schon im Juni will er einen Gesetzantrag mit klaren Regeln vorlegen. Die plötzliche Eile begründet er damit, Unsicherheiten unter den Anlegern müssten beseitigt werden. Sehr erstaunlich, man schafft also mit dem Vorgehen in Zypern "Unsicherheiten", die nun als Sachzwang angeblich dringend und alternativlos beseitigt werden müssen. Damit lässt man erneut einen angeblichen "Sonderfall" zum Normalfall mutieren. Das erinnert an den Übergang vom Rettungsfonds EFSF zum ESM.
Man muss solche Aussagen nicht glauben. Zu erinnern sei an eine denkwürdige Äußerung von Jean-Claude Juncker:
Wir beschließen etwas, stellen das dann in den Raum und warten einige Zeit ab, was passiert. Wenn es dann kein großes Geschrei gibt und keine Aufstände, weil die meisten gar nicht begreifen, was da beschlossen wurde, dann machen wir weiter - Schritt für Schritt, bis es kein Zurück mehr gibt."
Blitz-Enteignungen von Sparanlagen
Man bereitet sich in Brüssel wohl eher auf dramatische Vorgänge mit der geplanten Blitz-Enteignung vor, wie die auch genannt wird. Man muss sich nur vorstellen, was passiert, wenn nach Zypern und Slowenien nun Spanien an die Reihe kommt, wo sich wegen der Immobilienblase die riesigen 3,3 Billionen Euro an Bankschulden auftürmen. Man muss kein Wahrsager sein, um zu sehen, dass Vorbereitungen laufen, die Sparer massiv anzuzapfen. Das wird ohnehin längst gemacht. Auch geprellte spanische Kleinsparer müssen schon jetzt deutlich höhere Verluste hinnehmen als in Zypern große Vermögen. Wie vorhergesagt wird es nicht bei bis zu 61% der Verluste bleiben. Bei der abstürzenden Bankia-Großbank sollen die Sparer schon bis zu 70% Verluste hinnehmen.
Selbst wenn Barnier ein Regelwerk vorlegt, in dem die Marke von 100.000 Euro festgeschrieben wird, bedeutet das nichts. Bedenken sollte man, dass bisher in der Krise alle Dämme gebrochen sind. Eigentlich sollte es nie eine Rettung Griechenlands oder anderer Länder geben. Verträge und Regelwerke wie der ESM wurden sogar schon wieder verändert, noch bevor sie in Kraft traten. Eigentlich sollte es auch nie einen ESM geben, und dieser sollte eigentlich nie Banken rekapitalisieren - und natürlich sollten die Steuergelder vorrangig bei der Rückzahlung bedient werden. Doch das Gegenteil ist der Fall. Als der Text zum Fiskalpakt im Bundestag abgestimmt wurde, war er schon Makulatur, weil er kurz zuvor verändert wurde (Was wird im Bundestag zur Spanien-Rettung real beschlossen?).
Auch Sonderregelungen, die in die Verträge nachträglich eingefügt wurden, wurden immer wieder gebrochen. Spanien ist dafür ein gutes Beispiel, wie es gegen alle Absprachen immer neue Ausnahmen durchsetzte (Spanien erhält erneut mehr Zeit für Defizitabbau). Dass das Land aber über keine solide Haushaltsführung verfügt (nach der Sonderregelung für eine Bankenrettung die Bedingung), hat sogar die EU-Kommission gerade bestätigt. Nur Spanien und Slowenien wurden exzessive Fehlentwicklungen vorgeworfen. Die Haushaltskonsolidierung kommt nicht voran, bei Defizitangaben wird geschummelt, die Arbeitslosigkeit steigt in Richtung 30%, die Verschuldung privater Haushalte und Unternehmen ist besorgniserregend.
Sogar der Internationale Währungsfonds (IWF) sieht keinerlei wirtschaftliche Erholung am Horizont. Die Organisation, auf deren Rechenfehler die Maßnahmen basieren, die Länder wie Spanien tief in die Rezession treiben, rechnet nun vor, dass die noch tiefer wird, die Arbeitslosigkeit weiter steigt und das gilt auch für Italien. Wieder einmal erwartet der IWF "positive Wachstumsraten" erst im Folgejahr. Denn wie der IWF trotz der Rechenfehler am Austeritätskurs festhält, hält er Jahr für Jahr auch an der Prognose fest, dass es im nächsten Jahr besser wird und spricht nun von einer "Erholung in drei Geschwindigkeiten". Dass sich die Lage seit dem Ausblick vor einem Jahr verschlechtert hat und nun sogar 8 der 17 Eurostaaten in oder vor einer Rezession stehen, ficht den IWF nicht an. Auch nicht, dass längst Kerneuropa betroffen ist und der Sparkurs auch auf Deutschland durchschlägt, wo die Wirtschaft zuletzt auch wieder geschrumpft ist.
Das ist der Stoff, aus dem immer neue Löcher in den Bilanzen der Banken gemacht werden und das Rezept für ein Desaster. In den Krisenländern gehen, wegen fehlender Nachfrage aus Kerneuropa, nun sogar die Exporte zurück, mit denen Portugal 2012 eine noch schlimmere Entwicklung bremsen konnte . Waren sie zunächst nicht mehr so stark gewachsen, sind sie zuletzt im Februar sogar wieder um fast 3% gesunken.
Ähnlich sieht es in Spanien aus, wo die Kreditausfälle auf immer neue Rekordmarken klettern. Die Quote ist angeblich auf 10,4 Prozent leicht gesunken, wird heute berichtet. Das ist aber nur scheinbar der Fall, denn Banken haben massiv faule Kredite im "Wert" von 20 Milliarden Euro auf die staatliche Bad Bank ausgelagert. Sonst wäre die Quote erneut weiter in Richtung 11% gestiegen.
Geht der Vorgang weiter, dürfte der Druck im spanischen Kessel bald zur Explosion führen. Man darf sich die Folgen ausmalen, angesichts der enormen Schulden, die in dem Land angehäuft wurden. Dass es reichen wird, die mit den Spareinlagen der Spanier zu bedienen, die mehr als 100.000 Euro verfügen und greifbar sind, darf bezweifelt werden. Sicher ist, dass auch der ESM als "allerletzte Rückfallposition" dazu nicht ausreichen wird. Da in diesem Strudel auch Italien in den Abgrund gerissen werden dürfte, wäre der nächste "alternativlose" Schritt wohl eine Zwangsabgabe auf Sparguthaben im gesamten Euroraum, um den Euro zu retten.
Dass die Spareinlagen rechtlich abgesichert sind, sollte man nicht glauben. Oder wie kommentiert die Süddeutsche Zeitung: "Geld schlägt Recht". Sie hat auf ein "hochgefährliches Prinzip" aufmerksam gemacht, das sich längst durchgesetzt hat: "Je mehr Geld im Spiel ist, umso weniger gelten rechtliche Regeln. Die ganze Euro-Rettung basiert auf Entrechtlichung. … Regeln, die aus der Not geboren wurden, sind angeblich für die nächste Not und die nächste Euro-Rettungsaktion schon nicht mehr geeignet, müssen angeblich der Not gehorchend gebrochen, oder, wie man beschwichtigend formuliert, großzügig ausgelegt werden." Diese kritische Sichtweise auf die Vorgänge vermisste man allerdings völlig, als die Zeitung mit Barnier über die geplante Zwangsabgabe sprach. Dabei wurden dessen Beruhigungspillen kritiklos geschluckt und verbreitet.