Getrickst, gemogelt und hingebogen

Der Stresstest für spanische Banken kommt einem spanisch vor, denn auf Stress wurde nicht getestet und sogar gesetzliche Kapitalanforderungen missachtet

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Am Wochenende war der lang erwartete Stresstest veröffentlich worden. Der Eurogruppenchef Jean-Claude Juncker ist erleichtert, weil Unterstützung der EU ausreichen soll. Auch der Internationale Währungsfonds (IWF) stellte sich hinter den Bericht. Er sei "sorgfältig und transparent" erarbeitet worden, betonte IWF-Chefin Christine Lagarde. Doch davon kann keine Rede sein. Der Test testet alles Mögliche, bloß keine Stresssituation. Es wurde so lange mit den Zahlen getrickst, gemogelt und hingebogen, damit die Zahl von 60 Milliarden Euro herauskam, die seit Monaten genannt wird.

Am Wochenende waren die Ergebnisse des spanischen Stresstests vorgestellt worden, den die US-Beratungsfirma Oliver Wyman durchgeführt hat. Die Prüfer haben einen Kapitalbedarf von höchstens 59,3 Milliarden Euro ermittelt. Die großen Banken Santander, BBVA und La Caixa bestehen den Test genauso wie die Banco Sabaldell, Kutxabank, Bankinter und Unicaja. Diese Geldhäuser sollen 62% des gesamten Kreditvolumens in Spanien ausmachen, weshalb so getan wird, als sei der Großteil des Systems sicher sei. Wobei schon bei dem unstressigen Test auch Banco Sabaldell, Bankinter und Unicaja durchgefallen wären, wenn man sich auch nur an spanische Gesetze gehalten hätte.

So ist es eigentlich kein Wunder, wenn sogar die Ratingagentur Moody's diese Zahlen von Wyman nicht glaubt. Der Kapitalbedarf spanischer Banken bewege sich zwischen 70 und zu 105 Milliarden, teilte die Agentur am Montag mit. Das hat mit weichen Kriterien zu tun, mit denen Wyman gerechnet hat. Zum Beispiel wird im Basis-Szenario von einer Arbeitslosenquote 2012 von 23,8% ausgegangen. Dabei hätte ein Blick auf die Webseiten der europäischen Statistikbehörde Eurostat genügt, um festzustellen, dass dieser Wert schon im vergangenen Februar erreicht war. Am Montag gab Eurostat die Quote für August saisonbereinigt schon mit 25,1% an.

Für den Adverse‑Case wird stattdessen für 2012 eine Arbeitslosenquote von 25 Prozent angenommen, die aber auch längst Makulatur ist. Angesichts einer tiefen Rezession, massiver Sparpläne, Kürzung bei Infrastrukturmaßnahmen und Entlassungen im öffentlichen Dienst wird erwartet, dass sie noch deutlich weiter steigt. Sie ist sogar im Urlaubssommer weiter gestiegen, obwohl dann viele befristete Stellen in der Tourismusindustrie entstehen.

Von August 2011 bis August 2012 ist die Arbeitslosigkeit von 22 auf 25,1% gestiegen. Wenn sie in einem Jahr um 3,1 Prozentpunkte gestiegen ist, dann ist zumindest möglich oder sogar wahrscheinlich, dass sie in zwei Jahren bis 2014 nicht nur auf 27,2 also um weitere 2,1 Prozentpunkte steigt, sondern noch deutlich mehr. Ein Worst-Case-Szenario sieht anders aus.

Luftrechnungen

Auch an anderen Parametern wird klar, dass keine wirklich negative Entwicklung berechnet wurde. Wyman rechnet damit, die Wirtschaftsleistung werde bis 2014 höchstens um 6,5% sinken. In Griechenland aber, wo auch massiv auf die Sparbremse getreten wird, ist sie dagegen allein 2011 um 7,5% geschrumpft. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) wird, davon geht die Regierung aus, dieses Jahr wieder um 6,5% und im kommenden Jahr erneut um 3,8 Prozent schrumpfen. Damit wird das BIP in den drei Jahren, die auch Wyman für Spanien anlegt, um etwa 20% einbrechen. Wie die US-Prüfer im negativsten Szenario für Spanien deshalb höchstens 6,5% annehmen, zeigt die nächste Schwäche auf.

Im Basisszenario nimmt Wyman sogar absurderweise an, das Bruttoinlandsprodukt (BIP) sinke nur um 1,4 Prozent, wobei sogar die Regierung 1,5% für 2012 erwartet und die Arbeitgebervereinigung CEOE rechnet schon mit 1,6%. Da das Minus im 2. Quartal im Jahresvergleich schon auf 1,3% gestiegen ist, dürften all diese Zahlen angesichts der Entwicklung sogar noch deutlich zu positiv sein.

Auch was Verluste über faule Kredite im Immobiliengeschäft angeht, sind die Annahmen im Negativ-Szenario viel zu positiv. Verluste werden durchschnittlich mit 43,8 Prozent berechnet. So fällt auf, dass Verluste von Krediten, die mit Grundstücken abgesichert sind, nicht mehr wie beim Schnelltest im Juli mit 95 Prozent beziffert werden, sondern nur noch mit 61 Prozent. Deshalb ist der Kapitalbedarf bei Wyman nun sogar gesunken. Im Juli wurden sogar noch 62 Milliarden Euro erwartet.

Richtig war Wyman im Juli sogar noch davon ausgegangen, dass überteuerte Grundstücke aus der Zeit der Immobilienblase lange Zeit unverkäuflich sein werden. Da das auch für viele Grundstücke mit Bauruinen gilt, wurde in Irland längst begonnen, halbfertige Gebäude abzureißen. Dort stehen fast 300.000 Wohnungen leer (in Spanien fast eine Million), weshalb sich die Immobilienpreise schon halbiert haben. Diese Entwertung ist in Spanien noch im Gang. Sie beschert Banken riesige Verluste, weil viele Immobilien noch mit Mondwerten in den Bilanzen stehen. Bei der viertgrößten Bank Bankia, die den Vorgang ins Rollen brachte, wurde aus angeblichen Gewinnen 2011 von 41 Millionen Euro bei genauerer Prüfung ein Verlust von mehr als drei Milliarden Euro. Nun braucht allein diese Bank knapp 25 Milliarden Euro. Derartige Löcher konnten die Prüfer erstaunlicherweise aber bei keinem anderen Institut aufdecken.

Auftrag erfüllt und schön gerechnet

Kritik gab es stets daran, dass ausgerechnet diese US-Firma die Banken geprüft hat. Sie hatte zwei Jahre vor dem Absturz die Anglo Irish Bank sogar als "beste Bank weltweit" bezeichnet. Sie musste 2009 verstaatlicht werden und wird nun aufgelöst. Irland musste wegen der Verluste unter den EU-Rettungsschirm gehen. Seither steht das Land mit dem Rücken zur Wand. Auch im Fall Irland wird wie für Griechenland und Portugal nicht mehr ausgeschlossen, dass es zum Schuldenschnitt kommen wird. Doch Wyman wurde wohl genau deshalb gewählt, damit ein Stresstest durchgeführt wird, der auf keinerlei Stress testet. Deshalb kommt es sogar noch besser. So bewerten Analysten in Spanien das Wyman-Ergebnis so, dass die spanische Regierung als Auftraggeber genau das Ergebnis bekommen hat, das sie auch bestellt hat. Es musste sogar gegen spanische Gesetze verstoßen werden, damit im negativen Fall die Banken nicht mehr als 60 Milliarden Euro brauchen. "Diese Untersuchungen zeigen nichts und sie wurden so frisiert, um auf die magische Zahl von 60 Milliarden Euro zu kommen."

So wurde ausgerechnet im negativen Szenario die Kernkapitalquote wieder auf 6% gesenkt. Dabei hat Spanien sie per Gesetz 2001 auf 9% angehoben, damit die Banken mit schwierigen wirtschaftlichen Entwicklungen in Zukunft besser zurechtkommen und eben nicht wieder dem Staat auf der Tasche liegen sollen. Und diese Kernkapitalquote sieht auch das Abkommen Basel III vor. Gegen dieses 2010 geschlossene Abkommen soll also in Zukunft nach Ansicht Wymans verstoßen werden.

Nur indem die Kernkapitalquote bei der Berechnung wieder auf 6% gesenkt wurde, konnte die magische Zahl von 60 Milliarden Euro erreicht werden, welche die Regierung bereits vor sechs Wochen als Ergebnis ausgegeben hatte. Schon am 26. August hatte Wirtschaftsminister Luis de Guindos genau diese Zahl im Interview genannt. Deshalb kommen auch bei dem Test völlig absurde Ergebnisse heraus. Die beiden Großbanken Santander und BBVA verfügen im negativen Szenario, wenn also die Wirtschaft deutlich stärker einbricht, sogar über deutlich mehr Kapital als im positiven Basis-Szenario, wenn die Lage sich deutlich positiver entwickelt. Das hat der Gurusblog aufgezeigt.

Es handele sich schlicht um "grobe Mogelei". Ohne diesen Trick hätten nur noch vier Institute sogar diesen unstressigen Test bestanden. BBVA, Santander, die katalanische "La Caixa" und die baskische "Kutxa-Bank". Die Unicaja blieb nicht mehr ein knappes Kapital von 128 Millionen, sondern sie benötigte eine Milliarde Euro aus dem Bankenrettungsfonds. Gurusblog kommt in etwa zu dem Ergebnis, dass der reale Kapitalbedarf die errechnete Summe sogar verdoppelt, wenn die Kernkapitalquote nicht gesenkt wird. Damit wäre man in etwa bei dem Wert, den auch Moody's ansetzt.

Da erstaunt, dass sogar die renommierte Neue Züricher Zeitung (NZZ) dem Schmierentheater auf den Leim geht. Richtig stellt die NZZ fest, dass Banken‑Stresstests einen "schlechten Ruf" haben. So seien zum Beispiel "die Kriterien so locker, dass sogar strauchelnde Institute den Test bestehen, die nur wenige Monate später Staatshilfe benötigen". Der Stresstest in den USA gab den Auftakt. In Europa wurde kurz darauf entsprechend nachgezogen. Das sich abzeichnende Bankendebakel in Irland wurde bei diesem Test natürlich nicht entdeckt. Doch ausgerechnet "der am Freitag veröffentlichte Stresstest könnte, den niedrigen Erwartungen zum Trotz, eine Trendwende einleiten", resümiert die NZZ. Offenbar hat man sich mit dem Thema in der Bankenstadt Zürich nicht auseinandergesetzt. Auch dieser Test liefert keine Hinweise dazu, welche spanische Bank demnächst abschmieren kann.

Ein Fall, den der Tricksereien von Wyman besonders treffen würde, ist die Banco Popular. Ihr Kapitalbedarf betrage nicht gut 3,2 Milliarden, sondern etwa 5,7 Milliarden Euro. Damit ist auch nach diesem Test nach der viertgrößten Bankia auch die fünftgrößte Bank ein Kandidat für eine Verstaatlichung. Sie hat sich nun zu einer Kapitalerhöhung um 2,5 Milliarden Euro entschlossen, etwa 70% ihres Werts. Damit will sie verhindern, dass sie Staatsgelder braucht. Nachdem die Aktien am Montag in den Keller rauschten, wurden sie zwischenzeitlich vom Börsenhandel in Madrid ausgesetzt. Die Aktien verloren zeitweise bis zu 13% ihres Werts. Auch zum Börsenschluss waren es noch fast 6,2% und damit ist unklar, ob die Kapitalerhöhung gelingen kann. Jedenfalls sollen 2012 keine Dividenden gezahlt und eine eigene "Bad Bank" eingerichtet werden.

Präsident Angel Ron will die "Unabhängigkeit des Instituts" wahren. Würde die Popular das frische Kapital beim staatlichen Bankenrettungsfonds (FROB) beantragen, wären Auflagen damit verbunden. Die Zentralbank und der FROB, der für die Regierung die beantragten 100 Milliarden Euro aus dem Euro-Rettungsfonds verwaltet, erhalten Durchgriffsrechte in gestützte Banken. Sie können Geschäftsbereiche abstoßen oder die Bank zerschlagen, wenn Sanierungspläne nicht überzeugen.

Bezüge von Bank-Direktoren werden auf 300.000 Euro im Jahr beschränkt und Boni nicht mehr bezahlt. Um dem zu entgehen, versucht Ron die Kapitalerhöhung und will faule Kredite nicht in die staatliche Bad Bank auslagern, die zur Mutter aller Finanzmarktreformen gehört. Mit ihr wollen die Konservativen in Spanien, gestützt auf EU-Gelder, mit der dritten Reform in nur sechs Monaten nun das Problem in den Griff bekommen. Ob das gelingt, darf bezweifelt werden, wenn erneut versucht wird, die Öffentlichkeit an der Nase herumzuführen.