Spanien erhält erneut mehr Zeit für Defizitabbau
Auch alle anderen Länder mit Sparauflagen können nun verbesserte Konditionen fordern, wenn für Spanien eine Extrawurst nach der anderen gebraten wird
Schon bevor sich die 17 Finanzminister der Eurozone am Montag in Brüssel getroffen haben, ist der Druck auf Spanien wieder enorm gewachsen. Waren die Zinsen in der vergangenen Woche schon deutlich gestiegen, hat der Risikoaufschlag am Montag gegenüber Bundesanleihen fast wieder den historischen Höchststand erreicht. Damit lag die Rendite für zehnjährige spanische Staatsanleihen wieder deutlich über der Marke von 7%. Das ist der Wert, an denen Griechenland, Irland und Portugal sich nicht mehr über den Kapitalmarkt refinanzieren konnten und unter den Rettungsschirm gehen mussten.
Deswegen drängte sich auf die Tagesordnung der Eurogruppe nicht mehr nur die Debatte über den Antrag für die Bankenrettung, den Spanien schon gestellt hat (Spanien stellt Nothilfe-Antrag). Angesichts des auch für Spanien mittelfristig unhaltbaren Zinsniveaus, wird längst auch über die Frage diskutiert, ob oder wann das Land komplett unter den Rettungsschirm gehen muss. Das will Spanien mit allen Mitteln vermeiden, deshalb macht das viertgrößte Euroland mit seiner Größe weiter Druck und fordert von der Europäischen Zentralbank (EZB), an den Kapitalmärkten zu intervenieren und Anleihen zu kaufen, um den Zinsdruck zu senken.
Eigentlich sollte auf dem Treffen über die Details beraten werden, zu denen Spanien bis zu 100 Milliarden Euro für seine abstürzenden Banken erhält. Klar ist, dass das Geld aus dem temporären Rettungsschirm (EFSF) kommen wird und noch im Juli freigemacht werden soll. Das Programm soll dann in den dauerhaften ESM überführt werden, wenn dieser arbeitsfähig ist. Die direkte Refinanzierung von Banken, wie sie beim EU-Gipfel Ende Juni beschlossen wurde, soll es wie geplant erst geben, wenn eine zentrale Bankenaufsicht geschaffen wurde, also nicht vor 2013. Spanien haftet also für die Bankenrettung als Land (Merkel fällt bei EU-Gipfel auf ganzer Linie um). Aufgegeben hat Madrid den Widerstand gegen eine "Bad Bank" (schlechte Bank), in die Banken und Sparkassen faule Kredite auslagern. Die Verluste dieser Bad Bank trägt der Steuerzahler. Beschlossen werden soll das Programm erst auf einer weiteren Sitzung der Eurogruppe am 20. Juli. "Die Verhandlungen sind auf einem guten Weg", erklärte Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU).
Extrawurst für Spanien
Schon vor dem Treffen in Brüssel wurde bekannt, dass Spanien ein weiteres Jahr Zeit für den Abbau des Haushaltsdefizits bekommen soll. Einst hatte das Land versprochen, sein Defizit bis Ende 2013 wieder unter die Stabilitätsmarke von 3% zu drücken. Doch die konservative Regierung unter Mariano Rajoy setzte im Frühjahr in Brüssel durch, es 2012 statt auf 4,4% nur auf 5,3% zu senken. Schon damit wurde klar, dass die Stabilitätsmarke 2013 verpasst wird.
Nun weicht die EU zum zweiten Mal in wenigen Monaten ihre Auflagen gegenüber dem Land auf. Mit Fug und Recht können jetzt auch alle anderen Länder mit Sparauflagen verbesserte Konditionen fordern, wenn für Spanien eine Extrawurst nach der anderen gebraten wird. Für 2012 sogar ein Defizit von 6,3% vorgesehen. 2013 soll es mit 4,5% noch über dem Wert liegen, der einst für 2012 versprochen wurde. Erst Ende 2014 soll das Defizit demnach nur noch 2,8% betragen. Diese Anpassung werde auf dem Ecofin-Treffen beschlossen, wenn sich am Dienstag alle EU-Finanzminister treffen, wird allgemein berichtet.
Mit ihr wird eigentlich ad absurdum geführt, dass für Spanien eine Sonderregelung für die Bankenrettung angewendet wird. Sie wurde im vergangen Jahr erst eingeführt, demnach kann ein Gang unter den Rettungsschirm mit drastischen Auflagen und Kontrollen umgangen werden, wenn das Problem auf die Banken fokussiert ist. Allerdings muss das Land dafür eine strikte Haushaltsführung aufweisen und eine Einhaltung der EU-Defizitvorgaben wird dafür als Bedingung genannt. In Spanien kann davon, so zeigen die Anpassungen, nun wahrlich nicht gesprochen werden.
Madrid kündigt weitere Steuererhöhungen statt Einsparungen an
Brüssel kommt Madrid erneut entgegen, fordert aber härtere Anpassungsmaßnahmen. So kündigte am Montag der spanische Finanzminister Cristóbal Montoro sofort eine Anhebung der Mehrwertsteuer und anderer Steuern an, wie sie Brüssel längst empfiehlt. "Wir zahlen im Vergleich zu anderen Ländern sehr niedrige Mehrwertsteuern", sagte Montoro. Er will überdecken, dass die konservative Volkspartei (PP) vor den Wahlen im vergangenen November versprochen hatte, keine Steuern anzuheben. Nach der Erhöhung der Einkommens- und Grundsteuer nimmt sie erneut einen tiefen Schluck aus der Steuerpulle. Sie belastet damit vor allem Haushalte mit niedrigen Einkommen.
Die Steuererhöhungen sollen nun dazu dienen, am Jahresende nicht zu stark über der neuen Vorgabe von 6,3% zu liegen, denn schon im Mai lag das Defizit auf einem Wert, der bisher für das gesamte Jahr geplant war. Experten wie Santiago Lago kritisieren, dass im Haushalt "die Einnahmen überbewertet und die Ausgaben unterbewertet" sind. Der Professor für Wirtschaftswissenschaften an der Universität Vigo meint, die Lage sei ähnlich wie 2011. Damit bewege man sich mit dem bisherigen Haushalt auf ein Defizit zu, das über 8% liegt.
Obwohl die Einkommenssteuersätze erhöht wurden, sind die Einnahmen in der ersten Jahreshälfte sogar niedriger als im Vorjahr ausgefallen. Dafür ist vor allem die enorme Arbeitslosigkeit von mehr als 24% verantwortlich, die die Einnahmen einbrechen und Ausgaben erwartungsgemäß steigen lässt. Insgesamt befürchten Experten aber, dass die neuen geplanten Einschnitte und Steuererhöhungen (mit einem Umfang von 30 Milliarden Euro) den Konsum noch stärker zurückgehen und die Arbeitslosenquote weiter steigen lassen. Damit vertieft sich die Rezession, womit die Einhaltung der Defizitziele erschwert wird. Wegen der trüben Aussichten ging die Madrider Börse am Montag wieder deutlich in den Keller und verlor bisweilen erneut fast 2% .
Spanien hat Rekordmenge an Politikern oder Beratern in Parlamenten, Gemeinderäten, staatlichen Unternehmen
So wendet sich sogar der EZB-Chef Mario Draghi gegen die Anhebung der Mehrwertsteuer in Spanien. "Die Steuern anzuheben", sei der "einfachste Weg", weshalb viele Regierungen ihre Bestrebungen darauf konzentrierten. "Das ist einer der Gründe, warum diese Länder keine Erfolge damit erzielen und ihre Wirtschaften in die Rezession abgleiten." Er wirbt für die weitere Ausgabenkürzung. Spanien hätte da bei Posten wie Polizei, Militär, Königshaus und Politik riesige Potentiale. Bisher in diesen Bereichen praktisch nichts eingespart.
Interessant ist in diesem Zusammenhang ein Artikel der Zeitung El Economista vom Montag. Das spanische Wirtschaftsblatt rechnet vor, dass sich das Land ein riesiges Heer an Politikern und Beratern leistet. Unter den großen Euroländern steche Spanien mit geschätzten 400.000 deutlich hervor. Sogar in Italien sei die Zahl nur halb so hoch. Setzt man die Zahl der Politiker ins Verhältnis zur Bevölkerungszahl, wird deutlich, welche Verschwendung hier betrieben wird, weil die jeweiligen Regierungen aus konservativer Volkspartei (PP) und sozialdemokratischen Sozialisten (PSOE) einen unglaublichen Apparat zur Alimentierung ihrer Parteigänger und nicht selten auch Familienangehörigen und Freunden aufgebaut haben.
Auf 125 Bürger in Spanien käme demnach ein Politiker oder Berater in Parlamenten, Gemeinderäten, staatlichen Unternehmen… In Italien kämen auf einen dagegen schon 300 Bürger, in Frankreich 325 und in Deutschland sogar 800. So fordert Joaquín Trigo vom Institut für Ökonomische Studien, dass an diesem teuren System die Schere angesetzt werden sollte, bevor Steuern erhöht werden. "Es wird wertvolle Zeit verloren", wirft er der Regierung vor.