Ölboom in Guyana
Die Wirtschaft des südamerikanischen Dschungelfleckens mit Strand soll im nächsten Jahr um 86 Prozent wachsen
Bislang kannte man Guyana (wenn überhaupt) vom Massenmord und Massenselbstmord, den der amerikanische Volkstempel-Sektenführer Jim Jones dort am 18. November 1978 mit gut 900 seiner Anhänger durchführen ließ. Sonst schien an dem von deutlich weniger als einer Million Menschen bevölkerten Gebiet zwischen Orinoko und Amazonas wenig Bemerkenswertes.
Das ändert nun eine Prognose des Wirtschaftsnachrichtenportals Bloomberg, die dem Land für 2020 mit 86 Prozent ein Wirtschaftswachstum vorhersagt, von dem nicht nur alte Industrieländer wie Deutschland, sondern auch neue wie China nur träumen können. 2019 wuchs und wächst Guyana voraussichtlich nur um 4,4 Prozent. Die vorhergesagte Steigerung um 81,6 Punkte soll durch die Kombination von drei Faktoren möglich werden:
Eine (bereits erwähnte) niedrige Einwohnerzahl. Ein niedriger Ausgangspunkt für das bestehende Wirtschaftswachstum - derzeit ist Guyana nämlich noch das zweitärmste Land auf dem südamerikanischen Kontinent. Und - last, but not least - das Ölfeld "Liza", das 2015 vor der Küste entdeckt wurde und im Dezember vom amerikanischen ExxonMobil-Konzern und der China National Offshore Oil Corporation (CNOOC) angezapft wird.
"Das reichste Land der Hemisphäre und möglicherweise das reichste Land der Welt"
In den kommenden Monaten sollen dann drei weitere Bohrungen im etwa 26.800 Quadratkilometer großen Stabroek Block folgen, der laut United States Geological Survey (USGS) weltweit zweitgrößten bisher noch nicht erschlossenen Ölquelle. Insgesamt wurden vor der Küste Guyanas bislang 13 Ölfelder mit einem geschätzten Gesamtvolumen von fünf bis zehn Milliarden Barrel Öl entdeckt. So viel, wie seit der Jahrtausendwende in keiner anderen Weltgegend.
Mit diesem Bodenschatz könnte Guyana dem dortigen US-Botschafter Perry Holloway zufolge "das reichste Land der Hemisphäre und möglicherweise das reichste Land der Welt" werden. Derzeit nimmt diesen Platz das Emirat Katar ein, in dem 300.000 einheimische Araber nicht nur auf einer Menge Öl, sondern auch auf den größten Gasvorkommen der Welt sitzen. Andere Ölmonarchien wie Brunei, Kuwait, Norwegen und die Vereinigten Arabischen Emirate folgen nach Luxemburg und Singapur auf den Plätzen vier bis sieben.
Grenzverlaufsstreit mit Venezuela
Allerdings sind auch große Ölvorräte kein Garant für wachsenden Individualwohlstand: In Nigeria werden sie von Korruption und einem gigantischen Bevölkerungswachstum neutralisiert, in Venezuela von einer wenig erfolgreichen Wirtschafts- und Währungspolitik. Venezuela grenzt im Osten an Guyana - und darüber, wo diese Grenze genau verläuft, sind sich beide Länder nicht einig.
Manche Beobachter fürchten deshalb, dass ein durch guyanische Erfolge neidisch gewordener Nicolás Maduro zu einem Mittel greifen könnte, mit dem in der Vergangenheit schon öfter autoritäre Staatsführungen von schweren innen- und wirtschaftspolitischen Problemen abzulenken versuchten. 1982 beispielsweise, als das damalige argentinische Militärregime die vor der heimischen Küste gelegenen britischen Falkland-Inseln besetzte.
Auch Guyana war zwar eine niederländische Gründung, aber von seiner Eroberung 1796 bis zur Unabhängigkeit 1966 britische Kolonie. Aus dieser Zeit hinterließen die Engländer dem Land nicht nur ein paar Gebäude und Plantagen, sondern auch einen ethnischen Konflikt: Als im 19. Jahrhundert die Sklaverei abgeschafft wurde, importierten sie keine afrikanischen Sklaven mehr, sondern indische Lohnarbeiter. Deren Nachfahren machen heute etwa 40 Prozent der Einwohner aus und sprechen neben Hindostani Tamilisch und Bengalisch. Etwa 30 der 40 Prozent sind Hindus, etwa acht Moslems.
Staatsfonds und Autobahnen
Die Gruppe die ihnen nicht ganz spannungsfrei gegenübersteht, sind die Nachkommen der afrikanischen Sklaven. Sie stellen etwa 30 Prozent der Bevölkerung, sprechen ein häufig kreolisiertes Englisch und gehören christlichen Konfessionen vom Anglikanismus bis hin zum Rastafarismus an. Auch die etwa 20 Prozent Guyaner mit gemischten Vorfahren sprechen meist Englisch - anders als die zehn Prozent Indianer, die im Urwald an Macushi, Warao, Kapong, Wai Wai, Arawak, Wapishana, Pemon, Arecuna, Taurepan oder Mapidian festhalten. Manche von ihnen zeigten in der Vergangenheit ein eher begrenztes Interesse daran, in die Weltwirtschaft eingebunden zu werden.
Aktueller Staatspräsident Guyanas ist der afrikanischstämmige David Arthur Granger vom Parteibündnis A Partnership for National Unity (APNU), dem neben afroguyanisch dominierten Parteien auch die Indianerpartei Guyana Action Party (GAP) angehört. Aktueller Premierminister ist der Tamile Moses Nagamootoo. Er gehörte früher der Inderpartei People's Progressive Party (PPP) an, wechselte aber zur eher transethnischen Alliance for Change (AFC), die mit dem APNU-Bündnis kooperiert. Im Parlament verfügt diese Kooperation über 33 der insgesamt 65 Sitze, denen 32 der oppositionellen PPP gegenüberstehen.
Damit sich mit den Öleinnahmen in Guyana nicht das Schicksal Nigerias oder Venezuelas wiederholt, hat die APNU/AFC-Kooperation vor, mit ihnen einen Staatsfonds nach norwegischem Vorbild zu gründen. Ein Teil soll aber auch in bauliche Investitionen fließen, wie Finanzminister Winston Jordan ankündigte: Er will Autobahnen bauen, mit denen das Hinterland an die Küste angebunden werden soll.
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