Österreich: Mit permanenten Tabubrüchen wird eine neue Normalität geschaffen

Bundeskanzler Sebastian Kurz und Vizekanzler Heinz-Christian Strache beim Pressefoyer am 16. Januar 2018. Bild: Regina Aigner/BKA

Österreichs Rechtsregierung bekennt sich immer offener zu ihrer lang verleugneten Zuneigung zum Nationalsozialismus. Ein Kommentar

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Was war das für eine nationale Empörungswelle, die Österreich kurz nach der Wahl der Rechtskoalition aus FPÖ und ÖVP erschütterte - als ein Frankfurter Satiremagazin es wagte, sich über den als "Baby Hitler" verspotteten österreichischen Regierungschef Sebastian Kurz lustig zu machen. In Reaktion auf die Satire des Titanic-Magazins wurden Strafanzeigen erstattet, Verfassungsämter bemüht, Revolverblatt-Kampagnen gestartet und Unmengen von Hassmails gen Frankfurt verschickt.

Nun, nach den ersten Monaten rechtsösterreichischer Regierungspraxis, scheint es aber eher so, dass das Frankfurter Satiremagazin keine Satire, sondern eine Prognose abgeliefert habe. Der österreichische "Baby-Hitler" scheint beängstigend schnell seinen braunen Windeln zu entwachsen. Die Koalition aus FPÖ und ÖVP, deren Anhängerschaft bei jedem Hitler-Vergleich wutschäumend um sich schlägt, scheint geradezu besessen zu sein vom großen historischen Vorbild des Nationalsozialismus. Sowohl Ästhetik als auch die Rhetorik der NS-Ära halten Einzug im politischen Alltag in Österreich.

Die mit ehemaligen Nazis besetzte Regierungsmannschaft des als "Baby-Hitler" verspotten Jungkanzlers (31) Kurz macht einerseits einfach dort weiter, wo sie im Wahlkampf aufhörte: bei der rechtspopulistischen Provokation, beim barbarischen "Tabubruch", bei dem zivilisatorische Mindeststandards zwecks Aufmerksamkeitsgenerierung bewusst unterschritten werden. Das Problem in Österreich besteht aber darin, dass diese zivilisatorischen Standards nach jahrelangen rechten Tabubrüchen so niedrig sind, dass deren Unterschreiten nur noch im tiefsten braunen Morast möglich ist.

Flüchtlinge in Kasernen "konzentrieren"

Es muss schon offener NS-Jargon sein, um in einem Land, in dem die Rechte die Hegemonie errungen hat, noch den intendierten Skandal auszulösen. Der neue österreichische Innenminister und FPÖ-Stratege Herbert Kickl sprach jüngst davon, Flüchtlinge in Österreich künftig in Lagern "konzentriert" zu "halten". Auf Nachfrage, ob Kickl damit bewusst auf den NS-Jargon zurückgreife, erklärte dieser, mit der Formulierung, "keinerlei Provokation" beabsichtigt zu haben.

Wiens Vizebürgermeisterin bezeichnete diese Entgleisung hingegen als ein "unerträgliches Spiel mit der dunkelsten Zeit unserer Geschichte". Die BBC und die New York Times meldeten, dass in der österreichischen Regierung wieder "Nazisprache" Verwendung finde. Ähnlich "nationalsozialistisch" argumentieren übrigens inzwischen auch die Rechtsausleger der CSU, deren Politiker im NS-Jargon die "finale Lösung der Flüchtlingsfrage" fordern und eine "konservative Revolution" ausrufen.

Wie sich die FPÖ den ersten Schritt in ein Konzentrationslagersystem im 21. Jahrhundert vorstellt, machte der österreichische Vizekanzler und ehemalige Neonazi Heinz-Christian Strache kurz zuvor deutlich: Er könne sich vorstellen, künftig Flüchtlinge in Kasernen unterzubringen - und diese mit einer Ausgangssperre zu belegen.

Strache sprach sich somit offen für die Internierung von Flüchtlingen aus, wobei er das Recht auf Asyl generell infrage stellte: "Es braucht ja auch Ordnung, solange es noch ein offenes Asylverfahren gibt." Eine solche Freiheitsentziehung würde gegen die europäische Menschenrechtskonvention verstoßen. Kurz danach legte Strache noch einen drauf, indem er in Österreich eine "Minuszuwanderung" von Flüchtlingen forderte.