Österreich: Neuwahlen wahrscheinlich

Parteivorsitz nur mit Neuwahlen: Sebastian Kurz. Foto: GuentherZ. Lizenz: CC BY 3.0

Außenminister Sebastian Kurz will den ÖVP-Vorsitz nur dann übernehmen, wenn der Posten mit mehr Macht ausgestattet und der Wähler zur Urne gerufen wird

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Am Mittwoch legte der bisherige ÖVP-Vorsitzende, Wirtschaftsminister und Vizekanzler Reinhold Mitterlehner überraschend alle seine Regierungs- und Parteiämter nieder (vgl. Regierungskrise in Österreich). Hintergrund war ein Macht- und Richtungskampf in der ÖVP, in dem Mitterlehner offenbar zunehmend das Gefühl hatte, er fungiere lediglich als Platzhalter, bis der ungleich populärere Außenminister Sebastian Kurz Kanzlerkandidat wird und den Parteivorsitz übernimmt. Der ließ sich zwei Tage Zeit für eine Stellungnahme dazu und verkündete heute Mittag in einer Pressekonferenz, er werde den Parteivorsitz nur dann übernehmen, wenn es vorgezogene Neuwahlen gibt.

Die galten österreichischen Medien schon vorher als wahrscheinlich und sind mit Kurz' Junktim noch wahrscheinlicher geworden. Davon geht offenbar auch Bundeskanzler Christian Kern aus. Er möchte, dass erst zum regulären Termin im Herbst 2018 gewählt wird. Seine offizielle Begründung dafür: "Ich sehe kein einziges Problem, das durch Neuwahlen gelöst werden könnte." Inoffiziell dürfte eine Rolle spielen, dass seine SPÖ die Frage einer möglichen Bundeskoalition mit der FPÖ noch nicht geklärt hat.

Alternative: Minderheitsregierung

Kern ließ bereits bei den Nationalratsfraktionen vorfühlen, welcher Club dafür und welcher dagegen stimmen würde. Für eine Minderheitsregierung, die Kern als Alternative vorschwebt, wäre er nicht nur auf die Stimmen der Grünen, der liberalen Neos und der Überbleibsel des Milliardärsgimmicks Team Stronach angewiesen, sondern auch auf mindestens zwei der insgesamt vier parteilosen Abgeordneten. Ob das klappt, ist insofern fraglich, als drei davon (Susanne Winter, Rupert Doppler und Gerhard Schmid) vorher in der FPÖ und einer (Markus Franz) in der ÖVP war. Andererseits könnten Abgeordnete ohne große Chancen auf eine Wiederwahl auch ein Interesse daran haben, noch möglichst viele Monate gut bezahlt zu werden und Pensionsansprüche anzuhäufen.

Dass die ÖVP Kurz' Neuwahlbedingung in ihrer Sitzung am Sonntag akzeptiert, ist dagegen wahrscheinlich, weil sich die Landeschefs der Partei schon vorher für den Außenminister als neuen Parteichef aussprachen, obwohl dieser mehr Machtbefugnisse bis hin zum Eingriff in die Kandidatenlisten verlangte. Damit will er sicherstellen, dass eine Mehrheit im Nationalrat nicht durch Abgeordnete gefährdet wird, die dem Brüsseler ÖVP-Chef Othmar Karas politisch näher stehen als ihm.

Kurz beliebter als Kern

Umfragen nach liegt Kurz in der Beliebtheit mit 56 Prozent klar vor dem amtierenden SPÖ-Kanzler Christian Kern, den nur 46 Prozent für den besseren Mann halten. Allerdings wählen die Österreicher ihren Kanzler nicht direkt, sondern nur indirekt, über seine Partei. Und da lag die von Mitterlehner geführte ÖVP in der letzten Umfrage vom 8. Mai mit 21 Prozent deutlich hinter der SPÖ mit 28 und der FPÖ mit 29 Prozent. Ob ein Führungswechsel an der Spitze reicht, um das grundlegend zu ändern, wird sich zeigen. Eine Umfrage aus dem März mit Kurz als hypothetischem Kanzlerkandidaten deutet aber darauf hin, dass es tatsächlich so sein könnte: In dieser Erhebung führt die ÖVP klar mit 34 Prozent vor der FPÖ mit 25 und der SPÖ mit 24 Prozent.

FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache, dem Kurz von seinen politischen Positionen zur Grenzsicherung her näher steht als Mitterlehner, scheint den wahrscheinlichen neuen ÖVP-Vorsitzenden in jedem Fall deutlich mehr als Konkurrenten zu fürchten als den alten: Er bemängelte gestern auf Facebook, Kurz habe Mitterlehner "in den Rücktritt gemobbt" und gehe "politisch über Leichen", was ein "Alarmsignal für seine menschlichen Qualitäten" sei. Ob solche Vorwürfe reichen, um das Abwandern von FPÖ-Wählern zu einer neuen Kurz-ÖVP zu verhindern, wird sich ebenfalls zeigen.

Koalitionsoptionen

Vom Unterhaltungs- und Spannungsgesichtspunkt her ist es ideal, dass im letzten Jahr nicht der FPÖ-Kandidat Norbert Hofer, sondern der ehemalige Grünen-Chef Alexander van der Bellen die Wahl zum österreichischen Bundespräsidenten gewann. Denn während Hofer ankündigte, Politiker aller Parteien als Kanzler anzugeloben, ließ van der Bellen wissen, er wolle einen Kanzler Heinz-Christian Strache verhindern, was (je nach Wahlergebnis) für potenziell aufmerksamkeitstaugliche Ereignisse sorgen könnte.

Schafft es Kurz als Kanzlerkandidat, seine ÖVP zur stärksten Partei zu machen, könnte er sowohl mit der SPÖ koalieren (mit deren Verteidigungsminister Hans Peter Doskozil er sich gut versteht), als auch mit der FPÖ eine Neuauflage von Wolfgang Schüssels schwarz-blauer Koalition wagen. Voraussetzung dafür ist, dass sich die Bundes-SPÖ nicht an der rot-blauen Koalition im Burgenland orientiert und der FPÖ selbst ein Bündnis anbietet - zum Beispiel unter einem Kanzler Hans Peter Doskozil oder Norbert Hofer, dessen Angelobung auch van der Bellen nicht explizit ausgeschlossen hat.

Wird die SPÖ stärkste Partei, könnte sie darauf spekulieren, dass sich zusammen mit den Grünen (die aktuell bei elf Prozent liegen) und den Neos (die bei sieben Prozent gemessen werden) eine knappe Mehrheit ausgeht. Mit der ÖVP anstelle der SPÖ gilt so ein Modell als ausgeschlossen, weil die Unterschiede zwischen Sebastian Kurz und der aktuellen Grünen-Chefin Eva Glawischnig wahrscheinlich nicht so leicht zu überwinden sind: Während Kurz letzte Woche den ungarischen Ministerpräsidenten Orban für die Sicherung der Schengengrenzen lobte, erregte Glawischnig mit dem Versuch Aufmerksamkeit, Facebook zum weltweiten Löschen von Beiträgen nach österreichischen Maßstäben zu zwingen.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

Mit Ihrer Zustimmmung wird hier eine externe Buchempfehlung (Amazon Affiliates) geladen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen (Amazon Affiliates) übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.