Österreichs Corona-Politik zwischen Lockerungen und Rekordwerten
Impfpflicht und Ende des "Lockdowns für Ungeimpfte": Ein wenig fühlt sich die österreichische Pandemiebekämpfung nach "Weiterwursteln" an
Mit einer Sieben-Tage-Inzidenz von mehr als 3000 in Wien und 2865,1 im Bundesland Tirol und wöchentlichen landesweiten Höchstwerten an Neuinfektionen hat die Corona-Pandemie ihren bisherigen Höhepunkt in Österreich erreicht. Dennoch wird "aufgesperrt".
Die "Gecko" soll es richten. Nachdem Ende Dezember der österreichischen Bundesregierung klar geworden sein dürfte, dass das bisherige Krisenmanagement eher als pannenanfällig wahrgenommen wurde, berief man die "Gesamtstaatliche Covid-Krisenkoordination" (Gecko) ein. Ein Expertengremium, das wissenschaftliche Analyse zur Pandemiewelle und Krisenmanagement liefert.
Das aus Medizin und Militär zusammengesetzte Gremium soll wohl auch die Spitzenpolitik ein wenig schützen. Im bisherigen Pandemieverlauf zeigte sich wiederholt, dass starke Partikularinteressen großen Einfluss auf die politischen Entscheidungen nehmen.
Rechtlich befindet sich das Land keineswegs im Ausnahmezustand, denn es gibt schließlich ein Epidemiegesetz, das ziemlich klar den Kampf gegen das Virus regelt und dem Gesundheitsminister die nötigen Instrumente per ministerialen Erlass ermöglicht. Die beiden bisherigen grünen Gesundheitsminister haben davon aber kaum Gebrauch gemacht. Sie haben eher den Konsens mit den Wirtschaftsverbänden und starken Bundesländern gesucht.
Der übermächtige Druck trieb den grünen Gesundheitsminister Rudolf Anschober ("Ich bin überarbeitet und ausgepowert") in den frühzeitigen Ruhestand. Sein Nachfolger und Parteifreund Wolfgang Mückstein fand eine etwas bessere Ausgangsposition vor, weil der starke Koalitionspartner ÖVP immer tiefer in den Sumpf von Korruptionsvorwürfen gesunken war und nun sichtlich bemüht ist, in der Corona-Politik mehr auf Konsens zu achten. Schließlich war es nicht zuletzt das unglückliche Krisenmanagement, das wiederum den Druck auf Ex-Kanzler Sebastian Kurz erhöht hatte.
Die aktuelle Lage
Viel hat man ausprobiert im Kampf gegen die Pandemie in Österreich. Ein Element war stets die enorme Testanstrengung. Im Land des selbsterklärten "Testweltmeisters" wird – zumindest in den großen Städten – nahezu täglich per PCR-Test getestet. Auch dadurch sind die enorm hohen registrierten (!) Infektionszahlen zu erklären.
In der Stadt Wien kann der kostenlose Gurgeltest im Supermarkt an der Ecke zur Auswertung im Labor abgegeben werden. Die Frage ist aber, welche Schlüsse aus dem Wissen um das Infektionsgeschehen gezogen werden. Hier muss, dank der Virusvariante Omikron, nun laufend nachjustiert werden.
Längst klagen die Betriebe darüber, dass hunderttausende Mitarbeiter nicht mehr zur Arbeit erscheinen können. Die Wirtschaftskammer und Industriellenvereinigung forderten deshalb, dass auch Menschen ohne schwere Symptome trotz "Absonderungsbescheids" im Homeoffice zur Arbeit verpflichtet werden sollten.
Der wenig praktikable Vorstoß fand keine Gegenliebe und zeugt von einer gewissen Verzweiflung. Tatsächlich scheint sich die unausgesprochene Vermutung breitzumachen, dass mit der hochansteckenden Omikron-Variante ohnehin eine Infektion nicht mehr zu verhindern sei.
Trotz Rekordinfektionszahlen steigen die Krankenhausbelegungen nur leicht und die Zahlen auf den Intensivstationen haben sich sogar stabilisiert. Warum also das Virus nicht einfach "durchrauschen lassen" und der Spuk hat ein Ende, wie es angeblich andere Länder auch tun?
Die "vulnerablen Gruppen" und die Ungewissheit über weitere Mutationen verbieten dies. Ein Impfangebot für Kinder unter sechs Jahren gibt es beispielsweise nicht. Wenn die Eltern zur Arbeit gehen müssen, würden folglich die Kindergärten nach Aufhebung der Eindämmungsmaßnahmen zu großen Corona-Infektionspartys werden.
Kein Regierungsmitglied will dies ernsthaft in Erwägung ziehen. Eine weitere Unwägbarkeit liegt darin, dass dem Virus mit jeder gelungenen Übertragung mehr Chancen zur Mutation eingeräumt werden. Auch wenn niemand mehr eine Eindämmung der Ausbreitung für möglich halten kann, dann ist doch immer noch jede verhinderte Infektion zumindest ein kleiner Erfolg gegen das Virus.
Die österreichische Gesellschaft droht an dieser Diskussion immer deutlicher zu zerreißen. Viele Menschen sind nervlich von der zweijährigen Krise stark angegriffen. Der Wunsch nach Normalität ist sicherlich für alle gut nachzuvollziehen.
Auch sind alle Durchhalteparolen von Seiten der Politik ("Gemeinsam halten wir die Kurve flach") längst verstummt. Nur: Kann die Pandemie individualisiert und zum "Privatproblem" werden, wie es Sebastian Kurz ausdrückte? Die einen gehen wieder feiern, die andern schließen sich im Keller ein?
Gerade die berüchtigten Skiliftbetreiber und sonstigen Tourismusbetriebe würden gern die Rettung des Wintertourismus zum Staatsziel erheben. Die Eindämmungsmaßnahmen stehen somit laufend auf einem etwas tendenziösen Prüfstand, wie etwa die Sperrstunde, die soeben von 22 Uhr auf 24 Uhr angehoben wurde. Wenn allerdings ununterbrochen der Sinn der bestehenden Maßnahmen in Frage gestellt wird, dann steigert sich auch allein deshalb der allgemeine Unmut.
Knackpunkt Impfung
Die Impfung hätte die Lösung für all dies sein sollen. Sie ist es aber aus einer Reihe von Gründen nicht. Zunächst liefert sie keine "sterile Immunität". Geimpfte übertragen das Virus. Auch erkranken viele daran trotz Booster-Impfung. Der beachtliche Erfolg der Impfung liegt hingegen darin, dass fast keine Geimpften schwer erkranken.
Dieser medizinische Erfolg wird in Österreich nur unzureichend gewürdigt. Eher stellt sich auch unter den Geimpften ein gewisser Frust ein, weil man zwar alles nötige getan hat, die Lage aber dennoch kompliziert bleibt. Die mögliche politische Erzählung davon, dass dank richtiger seuchentechnischer Maßnahmen und einer zu 90 Prozent wirksamen Impfung der Tod tausender Menschen verhindert werden konnte, geht gegenüber dem Verdacht unter, vieles sei übertrieben und unnötig gewesen, wenn sich jetzt doch alle infizieren.
Die Bundesregierung wusste keine andere Lösung als eine seltsame Mischung aus "Zuckerbrot und Peitsche". Die gesellschaftspolitisch problematische Impfpflicht kommt Anfang Februar. Bei Nichteinhaltung drohen erwachsenen Personen Strafgelder in Höhe von bis zu 600 Euro, die bis zu viermal im Jahr verhängt werden können. Zudem soll aber eine Impflotterie (deren Durchführung allerdings noch immer nicht geklärt ist) Anreize schaffen. Weshalb die Impfmuffel mit etwas Glück bis zu 1200 Euro für die Einhaltung eines geltenden Gesetzes kassieren sollen, erschließt sich dem kritischen Beobachter allerdings nur mit Mühe.
Die Angst vor den bis zu 40.000 Menschen, die sich samstäglich auf der Wiener Ringstraße versammeln, um gegen den Impfzwang zu demonstrieren, scheint hier Wirkung zu zeigen. Immer noch sind gut 17 Prozent der Bevölkerung nicht geimpft. Verfestigt sich diese Quote, dann findet das Virus dauerhaft genügend "Nahrung".
Die bisherige Maßnahme des sogenannten "Lockdowns für Ungeimpfte" endet nun mit dem Monat Januar. Ungeimpfte dürfen sich somit in Österreich theoretisch wieder frei bewegen, da sie allerdings überall "2G"-Zutrittskontrollen überwinden müssen, macht dies praktisch kaum einen Unterschied.
Es zeigt sich, dass ein gemeinsames Ziel in der Pandemiebekämpfung in Österreich kaum mehr auszumachen ist. Eine ausreichend große Anzahl an Geimpften, damit die Pandemie zusammenbricht, soll nun die Impfpflicht bringen. Es wird spannend, ob dies gelingt. Viele Corona-Skeptiker scheinen in ihrer Haltung verhärtet.
Ein wenig fühlt sich die österreichische Pandemiebekämpfung nach "Weiterwursteln" an, dem allenfalls der Frühling und die wärmeren Temperaturen Abhilfe schaffen kann. Denn im Sommer zieht sich das Virus zurück – zumindest das steht in Aussicht.
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