Olaf Scholz: einst Kapitalismuskritik, dann Sozialabbau
Seite 2: Rolemodel für "Rot-Grün" auf kommunaler Ebene
- Olaf Scholz: einst Kapitalismuskritik, dann Sozialabbau
- Rolemodel für "Rot-Grün" auf kommunaler Ebene
- Aus "Rot-Grün" wird Blutrot-Olivgrün
- Der Sozialkahlschlag nimmt Fahrt auf
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1994 wurde Scholz Vorsitzender des SPD-Kreisverbandes Hamburg-Altona und zog als Spitzenkandidat seiner Partei in die Bezirksversammlung ein. Der Stadtstaat Hamburg ist eingeteilt in sieben Bezirke, quasi die Kommunen, die allerdings immer mehr entmachtet wurden und wenig eigenständig entscheiden können. Anders ausgedrückt: Immer, wenn wirklich wichtige Entscheidungen anstehen, zieht der Senat diese an sich. Nichtsdestotrotz sind die Bezirksämter die Anlaufstellen für die Menschen vor Ort und die Bezirksversammlungen Entscheidungsgremien.
Da es für die absolute Mehrheit nicht reichte, ging SPD-Fraktionschef Scholz eine Koalition mit der "Grün-Alternativen-Liste" (GAL) ein, dem Hamburger Zweig der Partei Bündnis 90/Die Grünen. Am 12. Dezember 1985 hatten Holger Börner und Joseph Martin Fischer in Wiesbaden den ersten "rot-grünen" Koalitionsvertrag Deutschlands unterzeichnet. Damit war die "rot-grüne" Koalition in Hessen besiegelt und "Joschka" Fischer wurde Hessens Umweltminister. 1989 folgte eine "rot-grüne" Koalition in Berlin und 1990 eine in Niedersachsen mit dem späteren Bundeskanzler Gerhard Schröder an der Spitze.
Dabei war die Interessenlage nicht zwangsläufig deckungsgleich: Die einen - die SPD - wollten den Machterhalt, die anderen - die Grünen - mit dem "Marsch durch die Institutionen" die Themen Umwelt, Emanzipation, Frieden salonfähig machen.
Nach der Hamburger Bürgerschaftswahl am 21. September 1997 reichte es für die SPD - wieder - nicht für die absolute Mehrheit. Von 1957 bis 2001 war die SPD in Hamburg durchgehend an der Landesregierung, dem Senat, beteiligt, und stellte den Ersten Bürgermeister. Dazu ging sie drei Mal eine Koalition mit der FDP, ein Mal eine mit der inzwischen nicht mehr existierenden STATT-Partei und ab 1997 eine mit der GAL ein.
Nachdem die SPD die absolute Mehrheit verfehlt hatte, trommelten Scholz und sein grüner Koalitionspartner Olaf Wuttke für die "rot-grüne" Koalition auf Landesebene. Ein solches Bündnis stieß auf großes öffentliches Echo, auch in den Medien, jedoch SPD und GAL zierten sich. Zu groß seien die Widersprüche, befürchteten sowohl SPD-Spitzenkandidat Ortwin Runde als auch GAL-Spitzenkandidatin Krista Sager.
Ein kleines linkes Szenemagazin half ein wenig nach: Das Titelbild des Stadtmagazins HH 19 ziert im Oktober 1997 ein Brautpaar, Krista Sager als Braut und Ortwin Runde als Bräutigam retuschiert, mit dem Titel "Es muss nicht immer Liebe sein". Offenbar traf dieser Titel den Zeitgeist, verschiedene Medien griffen ihn auf und drängten die "Brautleute" mehr oder weniger zur Vermählung; Prominente äußerten sich pro "Rot-Grün", die Stimmen an der jeweiligen Parteibasis sprachen sich zunehmend für das Bündnis aus.
Den Grünen liegen die Kröten, die sie dabei schlucken mussten, vermutlich heute noch quer im Magen. Jedenfalls würde das die "Bauchschmerzen" erklären, die Grüne immer dann zwicken, wenn eine unliebsame Entscheidung zu verkünden ist. Knackpunkt war vor allem das "Mühlenberger Loch", ein Naturschutzgebiet an der Elbe, das zugeschüttet werden sollte, damit das in Finkenwerder ansässige Airbus-Werk erweitert werden und eine längere Startbahn für den firmeneigenen Flughafen gebaut werden könnte. Tausende Arbeitsplätze wurden in Aussicht gestellt, deren Zahl aber schon während des Bauprozesses kontinuierlich nach unten korrigiert. Am Ende wurden zu einem nicht unerheblichen Teil Leiharbeiter beschäftigt.
Heute kämpft das Werk ums Überleben, nicht nur wegen der Corona-Krise. Für die Altonaer Grünen war es offenbar weniger eine Vermählung als eine Verlobung. Die heißt ja bekanntlich "warm halten und weiter suchen": 2004 koalierte die Altonaer GAL mit der CDU und setzte damit ganz neue Maßstäbe und etablierte ein Modell, mit dem sich laut eigenem Bekunden selbst Markus Söder (CSU) inzwischen anfreunden könnte, sofern er nicht Juniorpartner wäre.
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