Olaf Scholz: einst Kapitalismuskritik, dann Sozialabbau

Seite 3: Aus "Rot-Grün" wird Blutrot-Olivgrün

Kaum war die neue "rot-grüne" Landesregierung in Hamburg im Amt, stand die Bundestagswahl an. Gerhard Schröder, Ministerpräsident von Niedersachsen und bereits Chef einer "rot-grünen" Landesregierung, wurde SPD-Kanzlerkandidat. Keine Frage, dass die Hamburger SPD ihm Schützenhilfe leistete. Olaf Scholz war inzwischen deren Landeschef.

"Law and Order is a Labour Issue" stand auf den SPD-Wahlplakaten, die unter anderem am S-Bahnhof Sternschanze hingen. "Recht und Ordnung", das hatte der Chef der britischen Labour-Party, Tony Blair, zur sozialdemokratischen Wahlhymne gemacht. Die deutsche Schwesterpartei sprang auf diesen Zug auf. Im September 1998 wurde der Bundestag gewählt, am Ende stand ein "rot-grünes" Bündnis mit Schröder als Kanzler und Joschka Fischer als Außenminister und Vizekanzler. Viele glaubten, nun würden neue Zeiten anbrechen. Waffenexporte dramatisch angestiegen

Gewissermaßen stimmte das auch - nur anders, als die meisten sich das vorgestellt hatten. Eine der ersten Amtshandlungen der "rot-grünen" Bundesregierung war die Überstellung der Korvette "Salih Reis" an die damalige türkische Regierung unter Mesut Yilmaz. Das auf der Hamburger Traditionswerft Blohm & Voss produzierte Kriegsschiff sollte das Flaggschiff der türkischen Marine werden. Aufgrund der Militärgewalt gegen die kurdische Minderheit stand die türkische Regierung in der Kritik; ebenso weitere Rüstungsdeals mit der Türkei.

Dennoch wurde die "Salih Reis" ausgeliefert. Angeblich, weil die Verträge nicht gebrochen werden konnten. Was damals niemand ahnte: Die Waffenexporte sollten unter "Rot-Grün" drastisch ansteigen. Und zum ersten Mal seit 1945 beteiligte sich die Bundeswehr an Kampfhandlungen der Nato. Aus "Rot-Grün" wurde Blutrot-Olivgrün.

Das wurde am 24. März 1999 nach der Tagesschau von Gerhard Schröder, Joseph Martin Fischer und der Grünen-Bundestagsabgeordneten Angelika Beer mit Beginn des Nato-Krieges gegen Jugoslawien bekannt verdeutlicht. Letztere sprach von "Bauchschmerzen", die ihr das kriegerische Unterfangen bereite. Fischer rechtfertigte seine Entscheidung für die deutsche Kriegsbeteiligung auf dem legendären Bielefelder Parteitag der Grünen am 13. Mai 1999 laut einem Spiegel-Bericht mit den Worten:

Auschwitz ist unvergleichbar. Aber ich stehe auf zwei Grundsätzen: nie wieder Krieg, nie wieder Auschwitz, nie wieder Völkermord, nie wieder Faschismus. Beides gehört bei mir zusammen

(Joseph Martin Fischer, 13. Mai 1999)

Die Quittung dafür bekam er in Form eines roten Farbbeutels, der ihm an den Kopf geworfen wurde. Hintergrund von Fischers Begründung war der sogenannte "Hufeisenplan", den unter anderem der damalige Verteidigungsminister Rudolf Scharping (SPD) und Außenminister Fischer entdeckt haben wollten. Demnach stand eine große "ethnische Säuberung" im Kosovo durch die serbische Regierung bevor, die nur militärisch zu verhindern sei.

Die bulgarische Außenministerin Nadeschda Michailowa habe Fischer Dokumente übergeben, die das belegten, hieß es. Die Ministerin dementierte diese Behauptung - und bis heute konnte nicht bewiesen werden, dass dieser "Hufeisenplan" je existierte. Fakt aber ist, dass 12.000 bis 15.000 Menschen in diesem Krieg ihr Leben ließen.

Die damalige ARD-Reporterin Inge Bell heute stellvertretende Vorstandsvorsitzende der Frauenrechtsorganisation Terre des Femmes, deckte damals auf, dass "deutsche KFOR-Soldaten in Mazedonien offenbar Bordelle mit Minderjährigen und verschleppten Frauen besuchen". Die Bundeswehr gab dem Bericht zufolge seinerzeit zu, sie sei sich "der Problematik der Prostitution auf dem Balkan bewusst".

Scholz führt Brechmitteleinsätze wieder ein

Das Ja zur Kriegsbeteiligung führte zu schweren Zerwürfnissen und Abspaltungen bei den Grünen. In Hamburg wurde die Liste "Regenbogen" gegründet, der sich unter anderem der Altonaer GAL-Fraktionschef und Koalitionspartner von Scholz, Olaf Wuttke, anschloss. Die Ex-GAL-Abgeordneten behielten ihre Mandate, scheiterten bei den folgenden Wahlen aber an der Fünf-Prozent-Hürde. Scholz hingegen konnte seine Karriere weiter vorantreiben: Am 30. Mai 2001 wurde er Nachfolger des Hamburger Innensenators Hartmut Wrocklage.

In diesem Amt blieb er zwar nur bis zur Bürgerschaftswahl im September 2001, aber er nutzte die Gelegenheit, die umstrittenen Brechmitteleinsätze mit dem - auch gegen den Willen mutmaßlicher Drogendealer - wieder einzuführen. Diese waren aufgrund der ablehnenden Haltung der Ärztekammer und des Rechtsmediziners Klaus Püschel abgesetzt worden. Unter Innensenator Scholz wurde das Brechmittel Ipecauanha wieder verabreicht, durch eine Sonde, die durch die Nase in den Magen geführt wurde, sofern der Patient das Mittel nicht freiwillig schluckte, wurde er zu diesem Zweck fixiert.

Im Dezember 2001 überlebte der Nigerianer Achidi John diese Prozedur nicht. Da war Scholz schon lange nicht mehr Innensenator, sondern der als "Richter Gnadenlos" berüchtigte Ronald Barnabas Schill. Die Voraussetzungen dafür hatte allerdings Scholz geschaffen. Auf meine Frage am Rande eines SPD-Festes im Sommer 2002, was er anders machen würde als Schill, wäre er noch im Amt, antwortete Scholz: "Herr Schill hat nichts gemacht, das ich nicht schon vorbereitet hätte."

Für die Brechmitteleinsätze gilt das in jedem Fall. Im Juli 2006 verurteilte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) den deutschen Brechmitteleinsatz als menschenrechtswidrig, nachdem es in Bremen zu einem weiteren Todesfall gekommen war. Nach besagter Bürgerschaftswahl war die SPD zum ersten Mal seit 1957 nicht mehr an der Landesregierung beteiligt, der Erste Bürgermeister hieß Ole von Beust (CDU). Er koalierte unter anderem mit der Schill-Partei. Als SPD-Landesvorsitzender verfolgte Scholz daraufhin seine Partei-Karriere: Am 20. Oktober 2002 wurde er zum Generalsekretär gewählt. Das blieb er bis zum 21. März 2004.

Bereits Ende der 1990er Jahre wurden fragwürdige Finanzgebaren von Banken ruchbar, die später als "Cum-Ex"-Skandal in die Geschichte eingehen sollten - und in die Scholz auf unrühmliche Weise verwickelt ist. Spätestens seit 2002 müsse die Bundesregierung davon gewusst haben, so die Linke-Politikerin Sahra Wagenknecht in ihrem Video "Finanzgauner, Bankster und ihre Hintermänner - am Beispiel Olaf Scholz" vom 25. September 2020. Diese Regierung war das "Kabinett Schröder", mit dem Scholz als Generalsekretär eng zusammen gearbeitet haben muss. Finanzminister war zu dem Zeitpunkt der Sozialdemokrat Hans Eichel.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

Mit Ihrer Zustimmmung wird hier eine externe Buchempfehlung (Amazon Affiliates) geladen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen (Amazon Affiliates) übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.