One Health: Auf dem Weg zu einer neuen globalen Gesundheitsordnung

Seite 2: WHO-Pandemievertrag: Globale Sicherheit in der Gesundheitspolitik

Die WHO hatte den Klimawandel bereits im zweiten Corona-Jahr 2021 zur "größten Gesundheitsbedrohung der Menschheit" erklärt. Damit erweitert sich der potenzielle Verfügungsbereich der UN-Behörde enorm.

Auf der Weltgesundheitsversammlung im Mai hielt Generaldirektor Tedros in einer Stellungnahme zur globalen Gesundheits-Sicherheitsarchitektur fest, dass auch "geopolitische Konflikte, der Zusammenbruch des Handels [sowie] zunehmende gesundheitliche, wirtschaftliche und soziale Ungleichheiten" nach "proaktiven Maßnahmen" verlangten, um Gesundheitsnotständen vorzubeugen und die Nachhaltigkeitsziele der Agenda 2030 zu erreichen.

Im Januar veröffentlichte Lancet eine Beitrags-Serie zum Thema "One Health and Global Health Security".

Die Serie steht unter der Schirmherrschaft des sogenannten Global Health Programmes – einer Expertengruppe, die beratend für die WHO tätig ist, allerdings dem diskreten britischen Thinktank Chatham House (ehemals: Royal Institute of International Affairs) angeschlossen ist.

Die anglo-amerikanisch ausgerichtete Denkfabrik steht unter der Schirmherrschaft von Charles III. und versammelt westliche "Entscheidungsträger" aus Politik, Medien, Industrie und Bankgeschäft und unterhält regelmäßige Kooperationen mit einflussreichen Stiftungen wie auch mit der Europäischen Union und der Nato.

Chatham House ist zum einen für die "Chatham House Rule" bekannt, der Pressevertreter sich bei Vorfeld-Organisationen wie dem Council on Foreign Relations oder der Bilderberg-Konferenz unterwerfen, indem sie auf direkte Zitate verzichten, zum anderen hat sich das Institut unter anderem darin bewährt, den Aufbau des US-Sicherheitsstaates nach dem 11. September zu verklären. George Bush junior stand mit dem Irak-Krieg demzufolge "auf der richtigen Seite der Geschichte".

Doch zurück zum Global Health Programme, das sich auf der Website von Chatham House folgendermaßen vorstellt:

Wir konzentrieren uns auf die politische Ökonomie der Gesundheit [sic!] und auf Reformen des Gesundheitssektors sowie auf die Verbesserung der Governance im globalen Gesundheitswesen. Unser Ziel ist es, die Fortschritte bei der Verwirklichung der gesundheitsbezogenen Ziele für nachhaltige Entwicklung der Vereinten Nationen zu beschleunigen. Außerdem unterstützen wir Länder bei der Stärkung der Gesundheitssicherheit.

Global Health Programme

In einem Beitrag der oben erwähnten Lancet-Serie vom Januar befassen sich die Autoren unter anderem mit der "Herausforderung, die das internationale Rechtssystem, die staatliche Souveränität und die bestehenden Rechtsinstrumente für die Governance von One Health darstellen".

Dass der im weiteren Verlauf des Textes gebrauchte Begriff der Global Governance problematisch, und anders als Wikipedia (Stand: 23. Juni 2023) behauptet, nicht ohne Weiteres von einer globalen Regierung(-sinstitution) getrennt werden kann, hat Telepolis an anderer Stelle erörtert.

Auffallend ist aber, dass die Autoren das Bild eines "zahnlosen" Pandemievertrags konterkarieren, was durch zahlreiche Faktenchecks verbreitet wird.

Denn zum einen beklagen die Lancet-Autoren die staatliche Souveränität (bis auf spezifische Ausnahmen) als "Hindernis" und "große Herausforderung für das Völkerrecht", zum anderen bemängeln sie eine übermäßige "Flexibilität" der Staaten bei der "Auslegung von Verpflichtungen".

Ihre Hoffnung setzen die Autoren in Verträge analog zu denen "des internationalen Handels und der Finanzen", die dank der dort angewandten Mechanismen auch "oft eine entscheidendere Rolle bei der Gestaltung von Gesundheitsergebnissen gespielt" hätten.

Den Schlüssel zur Verbindlichkeit sehen sie in der "Schaffung eines klaren globalen Finanzierungsmechanismus in einem speziellen verbindlichen Instrument für Pandemien". Als vielversprechenden Ansatz nennen sie den Finanz-Intermediär-Fonds der Weltbank. Das deckt sich exakt mit dem WHO-Zentralgewalts-Plädoyer der Autorengruppe um Klug-Mitglied Maike Voss vom März 2022.

Damit der Pandemie-Vertrag auch "Zähne" zeigen könne, schlugen Voss und ihre Mitautoren der WHO damals vor, ein "Anreizsystem" zu entwickeln, welches nach dem Prinzip "Belohnen und Strafen" verfährt.

Demnach sollen Länder, die auf ihre Souveränität pochen und sich weigern, ihren Verpflichtungen nachzukommen, "mit Sanktionen wie öffentlichen Rügen, wirtschaftlichen Sanktionen oder der Verweigerung von Vorzügen" belegt werden, um sie "zur Einhaltung des Pandemie-Vertrags zu ermutigen [sic]". Anders als Faktenchecker und manche WHO-Offizielle glauben machen wollen, ist die Frage der Souveränität also noch nicht abschließend geklärt.

Gesundheitspolitik für Investoren

Die Lancet-Gruppe spricht sich in dem letztgenannten Beitrag außerdem dafür aus, dass sich die sogenannte Quatripartite – also der Zusammenschluss von WHO, der UN-Organisation für industrielle Entwicklung, das UN-Programm für menschliche Siedlungen und das UN-Entwicklungsprogramm – mit Entwicklungsbanken zusammenschließen sollten, welche Finanzmittel bereitstellen und Industrieprojekte auf Verträglichkeit mit den Umwelt- und Gesundheitszielen der Vereinten Nationen prüfen sollten ("impact assessment").

Der brasilianische Epidemiologe Celso José Bruno de Oliveira und der aus Äthiopien stammende Tiermediziner Wondwossen Abebe Gebreyes haben im Dezember 2022 dargelegt, dass sich das "One Health"-Konzept somit zugleich ein probates Mittel darstellt, um den wachsenden Markt der nachhaltigen Investitionen beziehungsweise Kapitalanlagen zu fördern:

Die Verschärfung des Klimawandels, die Wasserknappheit und die daraus resultierenden globalen Krisen in den Bereichen Gesundheit und Ernährungssicherheit haben dazu geführt, dass weltweit Investitionen in den produktiven Sektor fließen.

Dies ist ein ermutigender Trend, denn ESG-Vermögenswerte werden bis 2030 voraussichtlich 30 Billionen US-Dollar erreichen. Daher müssen Investoren mehr denn je sicherstellen, dass ESG-Praktiken effektiv umgesetzt werden und quantitativ zeigen, wie sie zur Verbesserung unserer Welt beitragen.

One Health: Connecting environmental, social and corporate governance (ESG) practices for a better world

Die Frage ist natürlich, was hier für wen den Anreiz bietet. Telepolis hat sich an anderer Stelle bereits eingehend damit auseinandergesetzt, inwiefern ein nomineller Fokus auf Nachhaltigkeit besonders dem Finanzsektor hilft, eine Reihe neuer Investitionsquellen zu erschließen.

Den Fachbegriff, Impact Investing, trägt die erst am vergangenen Freitag von der WHO eröffnete Health Impact Investment Platform bereits im Namen.

De Oliveira und Gebreyes schneiden aber auch einen anderen Aspekt an, der dem "One Health"-Konzept bereits seit den Manhattan Principles von 2004 eingeschrieben ist: der Fokus auf Public-Private Partnerships.

"Die Vorteile der ESG-Praktiken des Privatsektors bei der Bewältigung gesellschaftlicher Probleme durch einen One-Health-Ansatz sind unbestreitbar. So hat beispielsweise die Covid-19-Pandemie die Schwachstellen traditioneller Ansätze und Initiativen aufgezeigt, die in Silos strukturiert sind und denen es an Synergieeffekten zwischen Wirtschaft, Regierung und Wissenschaft mangelt.

Die Pandemie löste dringende und positive Maßnahmen zwischen Industriegruppen und Regierungen aus, sodass Industriegruppen wie Merck und Pfizer die Produktion des Covid-19-Impfstoffs beschleunigen konnten.

Die rasche Einführung von Diagnosekits war ebenfalls ein Ergebnis der ESG, an der Industriekonzerne wie Abbott beteiligt waren. Einige Unternehmen schlossen sich auch mit Nichtregierungsorganisationen wie der Bill & Melinda Gates Foundation zusammen.

One Health: Connecting environmental, social and corporate governance (ESG) practices for a better world

Auf mögliche Nachteile dieses Zusammenschlusses verpassen die beiden Mediziner allerdings einzugehen.