Opportunitätskosten höher als Einsparvolumen

Warum ein Stromanbieterwechsel nicht empfohlen werden kann. Ein Erfahrungsbericht

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Gerd Billen, der Chef des Verbraucherzentrale Bundesverbandes (vzbz), fordert die Deutschen auf, aktiv zu werden und den Stromanbieter zu wechseln. Auch Bernhard Heitzer, Präsident des Bundeskartellamts, animiert zum Anbieterwechsel. Ich kann’s nicht wirklich empfehlen.

Als vor gut einem Jahr die Münchner Stadtwerke SWM ihre Kunden mit einer massiven Preiserhöhung um mehr als 3,5% überraschten, war dies ein willkommener Anlass, sich mal wieder nach Alternativen umzusehen. Ergebnis eines schnellen Vergleichs im Netz waren die Regensburger Stadtwerke REWAG. Der Vertrag war am 2.1.2006 unterschrieben, die Belieferung begann am 1.3.2006. Wer Preselection oder gar Call-by-Call aus dem Telefonbereich gewohnt ist, wird schnell von der Schwerfälligkeit des Strommarkts überrascht.

Das Ganze ging ein Jahr lang gut, bis dann die REWAG ein Jahr später, im Januar 2007, ihre Preise mehr oder weniger auf Münchner Niveau brachte. Aufgrund ungünstiger Vertragslaufzeiten (Vertrag auf 12 Monate, bei fehlender Kündigung wiederum Verlängerung um 12 Monate) blieb nichts anderes übrig, als das durch die Preiserhöhung entstehende Sonderkündigungsrecht zu nutzen und per Website-Anmeldung am 12.2.07 ab 1. 4. zu den SWM zurückzukehren. Die Kündigung bei REWAG war unproblematisch, die Anmeldung für SWM-Verhältnisse gar nicht so chaotisch: Zwar erhielt ich zweimal Briefe von den SWM München, dass ich ab 31.3. keinen Stromanbieter mehr habe, da aber beide den Satz enthielten „Wenn Sie in der Zwischenzeit schon einen Vertrag abgeschlossen haben, so betrachten Sie dieses Schreiben als gegenstandlos“ nahm ich dies nicht weiter ernst.

Erst bestätigte das Call-Center (das nur eine 0180-Nummer auf dem Briefpapier angibt, was nahe liegt, denn schließlich haben die SWM auch beim Telefonanbieter M-Net ihre Finger im Spiel – dass es sich um eine 01802-Nr. handelt, hilft dem Telefon-Flatnutzer auch nicht) jedes Mal, dass der Termin 1.4. eingetragen sei, und zweitens bekam ich dies auf mein insistieren auch schriftlich, am 11.4.

Ein ungutes Gefühl blieb, denn die SWM haben einen schlechten Ruf. Seit langer Zeit sammelt der CSU-Stadtrat Marian Offman auf seiner Website konkrete Vorfälle oder andere Abwegigkeiten (sehr vergnüglich zum Beispiel dieses Dokument zu den Münchner Gaspreisen). Die Kontrolle durch die Alleingesellschafterin, die Stadt München, ist sehr nachsichtig. Schließlich steht man sich ausgesprochen nahe. Da kommt es dann auch mal vor, dass der Stadtwerke-Chef Mühlhäuser auf Kosten seiner Firma parteiliche Anzeigen schaltet. Um einen Kommentar aus der Süddeutschen Zeitung zu zitieren:

Mit werbender Information, die auch Kommunalbetrieben gestattet sein muss, hat das nichts mehr zu tun. Das ist purer Wahlkampf, betrieben mit dem Geld der Münchner Stadtwerke-Kunden. Einen solchen Missbrauch letztlich städtischer Gelder darf niemand dulden, dem faire Wahlen wichtig sind.

Geschadet hat Mühlhäuser die Episode letztlich nicht. Und auch der Kundendienst der SWM unterbietet weiterhin das DTAG-Niveau. Zurück zum konkreten Beispiel.

Am 11.9. erhielt ich mit Datum 7.9. von den SWM eine „Schlussabrechnung“ für den Monat April, in dem in der Buchstabengröße 1 mm (mit dem Lineal ausgemessen) das hässliche Wort „Ersatzbelieferung“ erschien. Eine Ersatzbelieferung findet statt, wenn ein Stromkunde keinen Anbieter mehr hat. In diesem Fall springt der örtliche Netzbetreiber ein, zu entsprechenden Preisen. Von diesem ersten Fehler aufgeschreckt, sah ich mir die Rechung ganz genau an und verglich sie mit der REWAG-Rechnung. Siehe da: Bei der REWAG zahlte ich bis 31.03. für einen Zählerstand von 33.040, während die SWM ab 01.04 abrechnet, wo mein Zähler angeblich 32.388 betragen haben soll. Folglich sollte ich gute 600 Kilowattstunden zwei Anbietern bezahlen.

Der nächste Anruf bei der 0180-Nummer der SWM. Man könne sich das nicht erklären mit dem Liefertermin; er könne hier auch das Schreiben sehen mit Liefertermin 01.04, hier müsse ein Versehen vorgefallen sein. Dass mit dem Zählerstand ließe sich leicht erklären: Offensichtlich habe die REWAG versäumt, die Daten weiterzugeben, und da habe halt die SWM geschätzt. Beides solle ich doch formlos aufschreiben, das würde schnell und anstandslos korrigiert.

So schrieb ich denn am 12.9 an die Stadtwerke München, erklärte den Sachverhalt, legt eine Fotokopie der Lieferterminbestätigung am 1.4 bei, ebenso wie eine Fotokopie REWAG-Abrechnung mit dem bezahlten Zählerstand, beides mit Leuchtstift markiert, um es auch überforderten Service-Mitarbeitern einfach zu machen.

Genau eine Woche später antworteten die SWM:

Ihre Anfrage ist in Bearbeitung. Zur Klärung des Sachverhalts sind Maßnahmen eingeleitet worden, die zeitaufwändig sind. Sobald wir Ihre Anfrage vollständig beantworten können, setzen wir uns umgehend mit Ihnen in Verbindung. Bis dahin bitten wir Sie noch um etwas Geduld.

Ärger mit den SWM bedeutet nicht nur Papierkrieg und Call-Center-Zeitverschwendung; die Probleme können sehr viel konkreter werden, so wie heute, als die SWM den strittigen Betrag der "Abschlussrechnung" ohne weiteren Kommentar von meinem Konto einzog.

Vielleicht stellt sich nun die Frage, weswegen man einen Unternehmen wie den SWM überhaupt eine Einzugsermächtigung gibt. Die Antwort ist: Weil man keine echte Wahl hat. Fortsetzung folgt.

Fazit:

Ein Stromanbieterwechsel kann derzeit sehr viel Ärger bedeuten. Keiner soll mir vorwerfen, ich würde eine Erfahrung verallgemeinern. Mein letzter Versuch stammt von 2000/2001, hatte mit Ares Energie Direkt und der Deutschen Strom AG zu tun und kostete weitaus mehr Zeit und Nerven als die aktuelle Geschichte bislang (die allerdings noch nicht vorbei ist, und bei den SWM weiß man nie).

Die Opportunitätskosten bei einem Stromanbieterwechsel übersteigen die möglichen Einsparungen erheblich. Der Wechsel zu den REWAG sparte mir in dem einen Jahr vielleicht einen Betrag von 50 Euro; ich hätte statt all der Briefe besser ein paar Artikel verfasst. Da es im Strommarkt nichts gibt, was der Flexibilität von Call-by-Call entspricht und nur stets langfristige Verträge möglich sind, muss eine längerfristige Entscheidungen treffen. Das ist aber praktisch nicht möglich, weil die Firmen ihre Preise kartellartig im Gleichschritt belassen. So kann man gleich bei seinem örtlichen Anbieter bleiben und sich viel Ärger ersparen.

Man könnte einwenden, dass dies eine Kapitulation sei; schließlich verursache doch gerade der örtliche Anbieter diesen Ärger zu einem gehörigen Teil, so dass dies doch die groteske Folge hat, dass schlechter Kundenservice die Kundenbindung erhöht. Dem kann ich nur erwidern: Ja, so ist es - aber ich bin mürbe. Wie nach dem letzten Abenteuer von anno 2001 werden wieder viele Jahre vergehen müssen, ehe ich mich – vielleicht – auf einen neuen Anbieterwechsel einlasse.