Orbán gegen alle: Torpediert Ungarn Europas Ukraine-Strategie?

Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban nimmt am 2. Juli 2024 an einem gemeinsamen Pressebriefing mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj in Kiew, Ukraine, teil

Der ungarische Ministerpräsident plädiert für einen Waffenstillstand in der Ukraine, statt immer neuer Waffenlieferungen.

(Bild: paparazzza / Shutterstock.com )

Ungarns Veto blockiert EU-Hilfen für Ukraine. Brüssel sucht Lösungen für Milliarden-Kredit. Doch kann die Union Orbáns Widerstand brechen?

Ungarn bleibt sich treu: In der Ukraine soll Frieden einkehren, aber nicht mit immer mehr Waffen. Diese Haltung hat nun dazu geführt, dass sich eine endgültige Einigung über den G7-Kredit in Höhe von 50 Milliarden Dollar weiter verzögert.

Ungarns Veto verzögert milliardenschweren G7-Kredit für die Ukraine

Der ungarische Finanzminister Mihaly Varga sagte am Dienstag, darüber solle erst nach den Wahlen in den USA entschieden werden. "Wir müssen sehen, in welche Richtung sich die künftige US-Regierung in dieser Frage bewegt", sagte er.

Für die Staaten der Europäischen Union könnte diese Haltung noch zum Glücksfall werden, auch wenn die jeweiligen Regierungen das anders sehen. Denn von der Haltung der USA hängt ab, ob Europa das finanzielle Risiko weitgehend allein tragen muss.

G7-Kredit-Plan: Verteilung und Rückzahlung der 50 Milliarden Dollar

Der ursprüngliche Plan sah vor, dass die USA und die EU jeweils 20 Milliarden US-Dollar zu dem G7-Kredit beisteuern. Die restlichen zehn Milliarden wollen Kanada, Großbritannien und Japan aufbringen. Das Darlehen soll aus den Erlösen der eingefrorenen Gelder der russischen Zentralbank zurückgezahlt werden.

Das Grundproblem des Plans: Wenn der Krieg in der Ukraine endet, müssten die eingefrorenen Gelder wieder freigegeben werden und das finanzielle Risiko ginge auf die Kreditgeber über – und das wollen die USA vermeiden.

Deshalb hat Washington zur Bedingung gemacht, dass der europäische Sanktionsmechanismus geändert wird. Statt alle sechs Monate soll erst in drei Jahren überprüft werden, ob die russischen Gelder wieder freigegeben werden. Sollte die EU dieser Forderung nicht nachkommen, will das Weiße Haus entweder ganz auf eine Beteiligung an dem Darlehen verzichten oder nur einen geringeren Betrag beisteuern.

Der fehlende Betrag müsste dann von den EU-Staaten ausgeglichen werden. Und Brüssel hat bereits seine Bereitschaft dazu signalisiert. Bis zu 35 Milliarden Euro könnten für das G7-Darlehen zur Verfügung gestellt werden, heißt es. Die Summe würde sich allerdings um den Beitrag der USA reduzieren.

Makrofinanzhilfe: EU erwägt Umwidmung ziviler Gelder für Militärausgaben

Bei der Summe von 35 Milliarden Euro handelt es sich um die sogenannte Makrofinanzhilfe. Die EU-Kommission hatte einst vorgeschlagen, der Ukraine diese Summe bis Ende 2024 als Kredit zu gewähren.

Eigentlich ist die MFH ein ziviles Instrument und soll helfen, die wirtschaftliche Stabilität der Partnerländer zu fördern. Die Hilfe wird insbesondere Ländern gewährt, die sich in einer Zahlungsbilanzkrise befinden oder wirtschaftliche Schwierigkeiten haben, die ihre makroökonomische Stabilität gefährden.

Von diesem Grundsatz will die Europäische Union nun offenbar abweichen, wie aus vertraulichen Dokumenten hervorgeht, die Telepolis einsehen konnte.

Die Europäische Kommission argumentiert demnach, dass die MFH nicht für bestimmte Ausgaben vorgesehen sei. Sie würden den fiskalischen Spielraum der Ukraine erweitern, sodass sie mehr Geld für ihr Militär zur Verfügung habe. Dieses Vorgehen sei jedoch ein "Drahtseilakt", da die EU-Verträge beachtet werden müssten, erklärte ein Vertreter der EU-Kommission.

Nur wenige EU-Mitglieder hatten grundsätzliche Einwände gegen diesen Ansatz. Malta, Österreich und Irland verwiesen auf ihre Neutralität und äußerten Bedenken hinsichtlich der Verknüpfung von Makrofinanzhilfe und Militärausgaben.

Andere Länder wie Frankreich, Italien und Lettland forderten mehr Klarheit über die Ausgestaltung der Verteidigungskooperation mit der Ukraine. Es müsse transparenter werden, welche Beträge für den Verteidigungsbereich vorgesehen seien.

Kritik an EU-Kommission: Mangelnde Transparenz und Absprachen

Einige zeigten sich überrascht über das Vorgehen der EU-Kommission, die Summe von 35 Milliarden Euro ohne Absprache für den G7-Plan ins Spiel zu bringen. So kritisierte etwa der Vertreter Frankreichs, dass die Kommission damit erhebliche Freiheiten verspielt habe. Zumal damit auch ein negatives Signal an die anderen G-7-Staaten gesendet werde. Wenn die EU eine Garantie für 35 von 45 Milliarden Euro gibt, warum sollten die anderen Staaten dann bei ihren vollen Zusagen bleiben?

Die Hoffnung der Kommission und der EU-Mitglieder ist nach wie vor, dass sich die USA weiterhin an der Finanzierung der Ukraine beteiligen. Bis auf Ungarn zeigten sich alle bereit, die Bedingungen der USA zu erfüllen und die Laufzeit der Sanktionen auf drei Jahre zu verlängern.

Verbale Auseinandersetzung im EU-Parlament

Bis Mittwoch (09.10.2024) versprach die Europäische Kommission eine Lösung für das Dilemma, in dem sich die EU befindet. Doch Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen glänzte am Mittwoch nur mit verbalen Ausfällen gegen Ungarn.

In einer Rede vor dem Europaparlament warf sie dem ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán vor, die Sicherheit Europas zu gefährden. Dieser konterte allerdings mit seinem Ruf nach einem Waffenstillstand in der Ukraine.

Europäische Friedensfazilität: Ungarns Veto und mögliche Umgehungsstrategien

Ihre Wut dürfte auch daher rühren, dass Budapest ebenfalls Zahlungen aus einem anderen Topf an die Ukraine, aus der Europäischen Friedensfazilität, blockiert. Wenn Mitgliedsstaaten Waffen an Kiew liefern, können sie dafür aus diesem Topf entschädigt werden.

Die ungarische Regierung blockiert jedoch die Bereitstellung von mehr als sechs Milliarden Euro. Um das Veto aus Budapest zu umgehen, erwägt der Europäische Auswärtige Dienst unter Josep Borrell eine Änderung des Verfahrens.

Demnach soll es den Mitgliedstaaten erlaubt werden, freiwillige Beiträge in die Friedensfazilität einzuzahlen. Dadurch könnten die Gelder künftig auf Basis der Beitragszahler und nicht durch einstimmige Unterstützung fließen, heißt es bei Bloomberg. Über diese Verfahrensänderung sollte am Dienstag beraten werden. Ein Ergebnis ist bislang nicht bekannt.

Seit Beginn des Einmarsches der russischen Armee in die Ukraine haben die EU-Staaten Kiew bereits enorme finanzielle Mittel zur Verfügung gestellt. Rund 126 Milliarden Euro flossen als Militärhilfe und Unterstützung für den Staatshaushalt, etwa um Renten und Gehälter zahlen zu können.