"Ordnungsrecht vor Menschenrecht"
Bundesinnenminister Schily feiert eine Großrazzia gegen drei illegale Einwanderer
Deutschland ist gnadenlos, und sein (noch) amtierender Bundesinnenminister sowieso. Das bekommen vor allem jene zu spüren, die sich ohne gültige Papiere in unserem Land aufhalten. Erst kürzlich feierte Schily eine ebenso aufwendige wie unsinnige Razzia.
Unser Bundesinnenminister freut sich auch über ganz kleine Dinge. So veranstaltete die neue „Bundespolizei“ – früher Bundesgrenzschutz genannt - vor kurzem eine Großrazzia in Süddeutschland. In einer Presseklärung teilte das Bundesinnenministerium mit, dass
im Bereich der Bundespolizeiämter Stuttgart, Weil am Rhein, München und Schwandorf insgesamt 607 Personen und 145 Kraftfahrzeuge sowie 7 Non-Schengen und 7 Schengen-Flüge kontrolliert und dabei zwei Verstöße nach dem Aufenthaltsgesetz, eine Aufenthaltsermittlung und eine Straftat der Leistungserschleichung festgestellt sowie drei Identitätsfeststellungen vorgenommen wurden.
Bundesinnenminister Otto Schily war die bloße Durchführung dieser gemeinsamen Aktion schon eine bundesweite Presseerklärung wert:
Die heutigen Einsatzmaßnahmen der Bundespolizei knüpfen eindrucksvoll an die Erfolge unserer Bekämpfungsstrategien gegen unerlaubte Einreise und illegalen Aufenthalt an. Erneut hat sich die sehr gute Zusammenarbeit mit den Polizeien der Länder Bayern und Baden-Württemberg bewährt
Dafür waren viele hundert Beamte im Einsatz. Fragen von Telepolis nach genauen Zahlen und Kosten dieser Aktion mochte das Bundesinnenministerium innerhalb einer halben Woche nicht beantworten. Doch auch wenn mehrere hundert „Illegale“ gefasst worden wären, bliebe diese Aktion unsinnig, weil unnötig. Die Jagd auf Illegale macht weder Deutschland noch andere EU-Länder sicherer.
„Illegale“ sind kein Sicherheitsproblem
Der Kalif von Köln hielt sich ebenso legal in Deutschland auf wie jene arabischen Studenten in Hamburg, denen die Bundesanwaltschaft eine Beteiligung an der Vorbereitung der Anschläge vom 11. September vorwarf. An den Anschlägen in London waren - den bisherigen Ermittlungen zufolge - auch britische Staatsbürger beteiligt. Nur der versehentlich erschossene Brasilianer floh wohl nur deshalb vor der Polizei, weil seine Aufenthaltserlaubnis abgelaufen war.
Schily, der sich von seinem Herausforderer, dem Bayern Beckstein, zu immer neuem innenpolitischen Unfug anstacheln lässt (Sicherheitsphantasien und das allmähliche Verschwinden des Rechtsstaats), beweist stündlich, dass es für Befürworter einer polizeistaatlichen Ordnung wirklich keinen Grund gibt, nicht ihn, sondern Beckstein zu wählen. Schily demontiert im Wahlkampf weitere verbliebene Bürgerrechte. Und die SPD macht mit. Der eigentlich eher linke Landesverband Bayern nominierte ihn trotz seiner Politik erneut für den Bundestag.
In den übrigen EU-Länden kommen „Menschen ohne Papiere“ regelmäßig in den Genuss staatlicher Vernunft in Form von Legalisierungskampagnen. So wurde in Italien in den Jahren 1982 der Aufenthalt von ca. 12.000 Personen, 1986 von 118.349, 1990 von 234.841, 1994 von 227.272 Personen legalisiert. 1998 wurden 300.000 Anträge gestellt, die seither in jährlichen Quoten bewilligt werden.
Auch in Frankreich wurden in den letzten Jahren 80246 Menschen legalisiert, die meisten davon aufgrund familiärer Bindungen. Hierzulande werden stattdessen seit Jahren hier lebende und nicht selten voll integrierte Familien auseinander gerissen, Ehepartner, Mütter und Väter in Auslieferungshaft gesteckt, einzig mit dem Zweck, dem deutschen Ausländerrecht Geltung zu verschaffen. Daran hat auch die rot-grüne Koalition nichts Wesentliches geändert. Denn Deutschland betreibt auch weiterhin eine starrsinnige Ausländer- und Innenpolitik.. In dem eben erschienenen Buch „Menschen ohne Papiere“ (Retap-Verlag, Bonn) wird Cornelia Bührle vom Europäischen Jesuiten-Flüchtlingsdienst mit der Feststellung zitiert: "Die Deutschen haben eine andere Rechtskultur, als andere Länder.“ In Deutschland gelte der Grundsatz „Ordnungsrecht vor Menschenrecht“.
In Bonn ermittelt derzeit die Staatsanwaltschaft sogar gegen städtische Mitarbeiter. Ihnen wird Menschlichkeit vorgeworfen. Sie sollen Kindern ohne Papiere die Teilnahme am Kindergarten oder am Schulunterricht ermöglicht haben, statt sie abschieben zu lassen.
Der Bonner Schriftsteller Siegfried Pater lässt in seinem Buch einige dieser „Menschen ohne Papiere“ aus ihrem Alltag in der Illegalität berichten. Der chinesische Einwanderer Tang J. beispielsweise hätte nach einem Austauschprogramm eigentlich nach China zurückkehren müssen. Ging aber nicht, denn der junge Mann hatte sich in eine Bonnerin verliebt. Also blieb er, und ihm fehlt jegliches Unrechtsbewusstsein, denn, so Tang:
In China meine Familie, aber auch die Armut (...)Hier meine Freundin, die großartige fremde Kultur, mein Job. Was mache ich denn falsch, wenn ich hier bleibe? Alle sprechen von Globalisierung. Viele Deutsche arbeiten überall auf der Welt. Ich kenne beispielsweise einen deutschen Studenten, der am Ende des Austauschprogramms in China geblieben ist, da er dort eine Freundin und auch Arbeit gefunden hat. Bei mir ist da doch nichts anders. Warum arbeitet und lebt der Deutsche in China legal und ich hier illegal? Ich will kein Koch werden müssen, um legal in Deutschland leben zu können. Ich bin Techniker und will es bleiben. Und überhaupt. Ein Deutscher ist jetzt in China, ein Chinese in Deutschland. Da ist doch die Bevölkerungsbilanz wieder ausgewogen.
Hoffentlich begegnet er nicht Otto Schily