Ost-Ghouta: Syrische Armee macht große Gebietseroberungen

Seite 2: Imagepolitik: al-Qaida und die Alternativen

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Man bekommt allerdings in Lunds Hintergrundbericht ein ziemlich gutes Bild davon, wie sich der Islamismus/Salafismus von Jaish al-Islam (oder auch Jaish al-Islam) und der anderen großen Milizen, die in Ost-Ghouta in einer on/off-Konkurrenz mit teilweise fluiden Allianzen und einer teilweise erbitterten Konkurrenz zueinander standen, entwickelt hat.

Deutlich zu erkennen ist, dass sich etwa Jaish al-Islam mit ihrem früheren Führer Zahran Alloush als unverkennbar radikal, auf jeden Fall anti-demokratisch und als Schiiten-Hasser präsentiert haben. Das ist keine Form, die eine akzeptable Alternative zur Baath-Regierung gestellt hätte. Das war auch den Golfstaaten klar, die Alloush, der als "Ost-Ghouta-Gewächs" porträtiert wird, später besuchte. Sie waren große Geldgeber.

So lernte Alloush, sich gewandter zu präsentieren. Auch eine andere große Gruppe in Ost-Ghouta, unterstützt von Saudi-Arabien und der Türkei, Ahrar al-Sham lernte das PR-Geschäft gut. Zu sehen ist das am Meinungsartikel, den der Chef für äußere Beziehungen der Miliz, Labib Al Nahhas, im Juli 2015 in der Meinungsspalte der Washington Post unterbrachte, mit dem bezeichnenden Titel: The deadly consequences of mislabeling Syria’s revolutionaries.

Man muss sich die jahrelange Praxis der Herrschaft der Milizen in Ost-Ghouta anhand der Schilderungen von Aron Lund, der, wie man schnell feststellt, kein Freund der Regierung in Damaskus ist, ansehen, um sogleich festzustellen, dass diese Herrschaft ("a brutal regime") keine Alternative sein kann. Außer man will in Syrien Verhältnisse wie in Libyen.

Alles al-Qaida?

Es ist eine auffällige Taktik, wenn von Baschar al-Assad wie von seinen russischen Verbündeten ausschließlich von "Terroristen" die Rede ist, wenn es um die gegnerischen Milizen in Ost-Ghouta geht. Fast immer beginnen die Äußerungen mit al-Nusra, die dann gleichgesetzt wird mit al-Qaida, die angeblich die Oberhoheit hat in Ost-Ghouta.

Das sei, wie es Kenner der islamistischen, salafistischen und dschihadistischen Szene vorführen und vorwerfen, falsch, grob, Propaganda. Es gebe nun eine "echte", eng mit al-Qaida verbundene Gruppe, die "Guardians of the Religion" genannt wird, berichtet das Long War Journal.

In dem Bericht wird auch auf Distanzierungen, Konflikte und Unterschiede zwischen al-Nusra, Jaish al-Fatah und Hayat al-Tahrir al-Sham hingewiesen. Sie werden gewöhnlich allesamt als al-Qaida-Ableger in einen Topf geworfen, bestehen aber auf ideologische Unterschiede. Dass der alte al-Qaida-Mann Zawahiri die Order für Ost-Ghouta ausgegeben hat, alle müssten doch zusammenhalten, ist symptomatisch für die Splittergeschichten, anderseits aber auch ein Hinweis auf eine Verbundenheit im Geiste.

Kleine Abstände - kein Experiment

Wie auch das stete Engagement von Scheich al-Muhaysini, dem früheren al-Qaida- und späterem Hayat-al-Tahrir-al-Sham-Anhänger in Ostghouta wieder und wieder für die gemeinsame Sache eintritt (sehr theatralisch) vor Augen führt, dass die ideologischen Abstände zur al-Qaida klein sind. Man braucht sich nur die Flaggen auf den Bildern aus Ost-Ghouta anzuschauen.

Auf jeden Fall sind die Abstände zu den al-Qaida-Dschihadisten viel zu klein, um mit solchen Ideologien und den Gruppen, die mit ihnen zu tun haben, zu experimentieren und sie für eigene Ziele zu nutzen. Darauf aber hat die Politik des so häufig moralisch argumentierenden Westens in Syrien gesetzt. Und macht es teilweise noch immer - auch mithilfe der einseitigen, monoperspektivischen Berichterstattung.

Nachtrag:

Geht es nach Kenntnissen und Informationen der lesenswerten deutschen Syrien-Expertin Karin Leukefeld, so gibt es nicht den geringsten Zweifel darüber, dass die dominierenden Gruppen in Ost-Ghouta extremistische Kampfgruppen sind. "Zivile oppositionelle Gruppen sind in den östlichen Vororten von Damaskus kaum noch präsent (...) Das Schicksal anderer Oppositioneller zeigt, dass heute nur noch die in den Kampfzonen operieren können, die von den militärischen Akteuren – den Dschihadisten – geduldet werden. Die Anwältin und Menschenrechtsaktivistin Razan Zeitouneh, die 2011 mit Gleichgesinnten in Douma ein Dokumentationszentrum für Menschenrechtsverletzungen gründete, verschwand im Dezember 2013 und ist seitdem unauffindbar."

Leukefeld gibt zur emotional aufgeladenen Diskussion über die Versorgung zu bedenken: "Während Nahrungsmittel und Medikamente knapp sind in den östlichen Vororten von Damaskus, gelangen modernste Waffen und Munition, Kommunikationsgeräte, Kameras und Drohnen weiter zu den Kämpfern."