Osterweiterung: "Fehler von historischem Ausmaß"
Vier Jahre Krim-Krise - vier Jahre Glaubenskrieg
Wer seiner Regierung und den Medien voll und ganz vertraut hat es leicht, denn dann ist die Geschichte schnell erzählt: Aus heiterem Himmel annektierte Wladimir Putin im März 2014 die Krim - und zerstörte damit die europäische Friedensordnung. So lautet das Narrativ, und offenbar verspüren bis heute weder Presse noch Politik den Ehrgeiz, die Sache zu verkomplizieren.
Der damalige Handelsblatt-Herausgeber Gabor Steingart war einer der wenigen, der sich dieser uniformen Berichterstattung nicht anschließen wollte. Er schrieb am 8. August 2014: "Der deutsche Journalismus hat binnen weniger Wochen von besonnen auf erregt umgeschaltet. Das Meinungsspektrum wurde auf Schießschartengröße verengt. … Westliche Politik und deutsche Medien sind eins."
Dementsprechend reagierten viele Menschen mit Misstrauen: Gibt es für dieses Drama nicht doch eine Mitverantwortung des Westens? Und ist Diplomatie nicht die bessere Strategie als verbale Mobilmachung, Sanktionen, Aufrüstung? Das sind Fragen, die die Bürger seit der Eskalation in der Ukraine beschäftigen, in den Parteien und Redaktionen aber nach wie vor kaum gestellt werden.
Genau vier Jahre nach der Unterschrift Putins unter den Vertrag zur "Wiedervereinigung mit der Krim" (so die russische Lesart) ist der Konflikt im Osten der Ukraine das, was man einen "frozen conflict" nennt: Es geht nicht vor und nicht zurück. Und auch in der Debatte darüber verlaufen die Fronten genau dort, wo sie vor vier Jahren verliefen.
Die jüngsten Äußerungen von Wolfgang Kubicki im Deutschlandfunk und die Reaktionen darauf belegen dieses eindrucksvoll. Er sprach davon, dass es vielleicht sinnvoll wäre, bezüglich der Sanktionen einen Schritt auf Russland zuzugehen, nicht zuletzt im Interesse der deutschen Wirtschaft. Bild-Chef Julian Reichelt dagegen nannte Kubickis Ausführungen erwartungsgemäß $(LEhttp://www.deutschlandfunk.de/interview-der-woche-kubicki-bundesregierung-soll-auf.2852.de.html?dram\:article_id=413327:. Wer also etwas differenzierter an die Sache herangeht, muss bis heute damit rechnen, beschimpft und zur Querfront gezählt zu werden.
Viel Häme musste sich zuletzt auch Christian Lindner gefallen lassen, als er kurz vor der Bundestagswahl 2017 eine diplomatische Initiative in Sachen Ukraine propagierte. Auch dieser Vorstoß war für viele seiner Polit-Kollegen und für das Feuilleton ein klarer Fall von Verrat. Der frühere deutsche Botschafter Frank Elbe jedoch bewertete Lindners Vorschlag völlig anders. In seinem Artikel vom 9. August 2017 in Cicero schrieb er: "Lindner denkt stringent und folgerichtig. Er erkennt die Annexion der Krim nicht an. Er kapselt sie ein, oder - wie Diplomaten es bei schwierigen Vertragsverhandlungen nennen würden - er 'setzt sie in Klammer'‘. Damit öffnet er vorsichtig den Weg zu einer politischen Lösung."
Elbe stellt darüber hinaus die Motivation der westlichen Meinungsführer in Frage, denn "wenn sich nichts bewegt, bewegt sich auch nichts zu Gunsten der Menschen in der Ukraine, deren Wohlergehen dem Westen angeblich so sehr am Herzen liegt." Und auch der ehemalige Bundesaußenminister Klaus Kinkel, ganz und gar unverdächtig, ein übertriebener Freund Russlands zu sein, pflichtete dem FDP-Vorsitzenden bei: "Was Lindner gesagt hat, deckt sich völlig mit der Politik Genschers und auch mit meiner Politik als Außenminister."
Sollte es also tatsächlich möglich sein, einen anderen Blick auf die Ukraine-Krise zu haben - und trotzdem kein Wirrkopf zu sein?
"Warum der Westen schuld ist an der Ukraine-Krise"
Volle siebzehn Jahre vor der Eskalation in der Ukraine, im Mai 1997, gab Egon Bahr der "Zeit" ein Interview, in dem er vor einer weiteren NATO-Osterweiterung als einer Bedrohung für den Frieden in Europa warnte:
Es gibt keine Stabilität in und für Europa ohne die Beteiligung Russlands. Entweder sind wir stabil und sicher mit Russland, oder wir müssen in überschaubarer Zeit Sicherheit vor Russland neu organisieren. … Weitere Runden von NATO-Osterweiterung bedeuten, dass wir mindestens für die nächsten zehn Jahre eine Gegnerschaft zu Russland aufbauen. … Ich halte das wirklich für einen riesigen Fehler.
Egon Bahr
Eine noch prominentere Persönlichkeit, nämlich John F. Kennedys früherer Verteidigungsminister Robert McNamara, schrieb im selben Jahr einen Brief an US-Präsident Bill Clinton, den mehr als 40 hochrangige Persönlichkeiten unterzeichneten. In diesem Appell nannte er eine mögliche weitere Ausdehnung der NATO einen "Fehler von historischem Ausmaß":
Wir, die Unterzeichner, glauben, dass eine weitere NATO-Osterweiterung die Sicherheit unserer Alliierten gefährden und die Stabilität in Europa erschüttern könnte. Es besteht für die europäischen Nachbarn keine Bedrohung durch Russland.
Robert McNamara
Ebenfalls 1997 äußerte sich der amerikanische Historiker und Diplomat George F. Kennan in der New York Times:
Es wäre der verhängnisvollste Fehler amerikanischer Politik in der Zeit nach dem Kalten Krieg, die NATO bis zu den Grenzen Russlands auszuweiten. Diese Entscheidung lässt befürchten, dass nationalistische, antiwestliche und militaristische Tendenzen in Russland entfacht werden könnten. Sie könnte einen schädlichen Einfluss auf die Entwicklung der Demokratie in Russland haben, wieder zu einer Atmosphäre wie im Kalten Krieges führen und die russische Außenpolitik in eine Richtung lenken, die uns sehr missfallen wird.
George F. Kennan
Gibt es also einen Zusammenhang zwischen der NATO-Osterweiterung (die danach erst so richtig in Fahrt kam) und der Eskalation auf der Krim?
Zu dieser Frage veröffentlichte ausgerechnet die Zeitschrift des konservativen Council On Foreign Relations im September 2014 einen Artikel des amerikanischen Politikwissenschaftlers John Mearsheimer. Dieser trug die Überschrift : $(LEhttps://www.foreignaffairs.com/articles/russia-fsu/2014-08-18/why-ukraine-crisis-west-s-fault:. Er schrieb: "Die Wurzel des Problems liegt in der Ausdehnung der NATO. Man hat versucht, die Ukraine dem Einflussbereich Russlands zu entreißen und in den Westen zu integrieren." Gleichermaßen kritisierte Mearsheimer in seinem Artikel auch die Ausdehnung der EU.
Jack Matlock, ehemaliger US-Botschafter in Moskau (und einer der Unterzeichner des Briefes von Robert McNamara aus dem Jahr 1997), äußerte sich in einem Interview mit der TAZ vom 9. September 2014 in denkwürdiger Klarheit:
Wir wussten, wenn man ein Instrument des Kalten Krieges - die NATO - in dem Moment vor bewegt, wo die Barrieren fallen, schafft man neue Barrieren in Europa. … Es war ein Fehler, die Nato in den Osten auszudehnen. … 2008 entschied die Nato, die Ukraine auf eine Spur zur Mitgliedschaft zu setzen. Ein in seinem Inneren tief gespaltenes Land, direkt vor Russlands Türe. Das alles waren sehr dumme Schachzüge des Westens. Heute haben wir die Reaktion darauf.
Jack Matlock
Matlock spekulierte außerdem darüber, was wohl unter umgekehrten Vorzeichen passieren würde: "Wenn China anfangen würde, eine Militärallianz mit Kanada und Mexiko zu organisieren, würden die USA das nicht tolerieren. … Wir würden das verhindern. Mit jedem Mittel, das wir haben. Jedes Land, das die Macht dazu hat, würde das tun. … Ich entschuldige nicht, was er [Putin] tut. Und ich billige es auch nicht. Aber ich sage, es war komplett vorhersehbar."
Anbetracht der Prophezeiungen und Analysen all dieser untadeligen Persönlichkeiten ist es schwer zu begreifen, dass von den Volksvertretern und den Leitmedien bis heute ein Zusammenhang zwischen westlicher Expansion und Annexion der Krim weitgehend negiert wird.
Selbstbestimmung vs. Diplomatie
Doch gemach, wenden die Vertreter des politischen Mainstreams an dieser Stelle stets ein, haben die ehemaligen Ostblock-Länder etwa kein Recht auf Selbstbestimmung? Aber ja! Hieße auf Russlands Widerstand gegen die NATO-Osterweiterung Rücksicht zu nehmen dann nicht, diesen Ländern Putins Willen aufzuzwingen? Aber Nein! Denn falls die NATO eine solche Mitgliedschaft für sinnlos, ja, kontraindiziert hielte (nämlich aus den oben genannten Gründen), hätte sie dann nicht ihrerseits das Recht, einen solchen Bewerber abzulehnen? Bedeutet das Interesse an einer Aufnahme in die NATO etwa eine Verpflichtung, diesem Ansinnen in jedem Falle nachzukommen?
Dazu Egon Bahr im Zeit-Interview von 1997: "Entscheidend ist ja nicht der Wunsch der einzelnen Länder, Mitglied zu werden, sondern die Frage, ob die Parlamente aller NATO-Mitglieder der Erweiterung zustimmen. Wenn eines davon nein sagt, heißt das bekanntlich nein. Darin liegt die Grenze des Selbstbestimmungsrechtes der anderen, die sich um Aufnahme bemühen."
Nun hat die NATO aber bereits zwölfmal "Ja" gesagt. Und seit dem NATO-Gipfel von 2008 sind auch Georgien und die Ukraine für eine zukünftige Mitgliedschaft vorgesehen. Aus diesen Tatsachen erwachsen ein paar Fragen, die für die Aufarbeitung des Themas von elementarer Bedeutung sind: Welche Strategie haben die Vertreter der NATO eigentlich mit dem Expansionskurs verfolgt? Glaubten die Befürworter der grenzenlosen Erweiterung, dass ein militärisch (und wirtschaftlich) weitgehend vereintes Europa - unter Ausschluss Russlands - eine Konzeption sei, die Frieden und Sicherheit in Europa befördert? Hat man die Warnungen vor den möglichen Folgen dieser Strategie einfach nur überhört? Oder wollte man sie vielleicht sogar überhören?
Bruch eines Versprechens?
Doch zunächst zu einem weiteren Zankapfel der Geschichte, der in diesem Kontext bedeutend ist: Gab es eine Vereinbarung mit Gorbatschow, dass sich die NATO nach der deutschen Einheit nicht gen Osten ausweiten würde? Beklagen die Russen zurecht, dass man mit der NATO-Osterweiterung ein Versprechen gebrochen habe?
Am 2. Februar 1990 trat Hans Dietrich Genscher nach einem Treffen mit James Baker, dem damaligen Außenminister der USA, vor die TV-Kameras und verkündete: "Wir waren uns einig, dass nicht die Absicht besteht, das NATO-Verteidigungsgebiet auszudehnen nach Osten. Das gilt übrigens nicht nur in Bezug auf die DDR, die wir da nicht einverleiben wollen, sondern das gilt ganz generell."
Der "Spiegel", in der Ukraine-Frage später eher hetzerisch unterwegs ("Stoppt Putin jetzt!", 31, 2014), schrieb zu diesem heiklen Thema 2009: Es könne "keinen Zweifel geben, dass der Westen alles getan hat, den Sowjets den Eindruck zu vermitteln, eine NATO-Mitgliedschaft von Ländern wie Polen, Ungarn oder der CSSR sei ausgeschlossen".
Zitiert wird aus einem bis dahin geheimen Vermerk über ein Gespräch mit dem sowjetischen Außenminister Eduard Schewardnadse vom 10. Februar 1990: "Uns sei bewusst, dass die Zugehörigkeit eines vereinten Deutschlands zur NATO komplizierte Fragen aufwerfe. Für uns stehe aber fest: Die NATO werde sich nicht nach Osten ausdehnen." Und schließlich erwähnt der "Spiegel" noch einen Auftritt von Baker im Kreml vom 9. Februar, bei dem er verkündete, dass sich die NATO "nicht einen Inch weiter nach Osten ausdehnen" würde ($(LEhttps://www.heise.de/tp/features/Keinen-Inch-weiter-nach-Osten-Was-den-Russen-zur-Wiedervereinigung-ueber-die-Nato-versprochen-wurde-3918651.html:).
Man muss diese Aussagen nicht zwingend als ewiges Versprechen deuten, völlig abwegig wäre diese Interpretation jedoch gewiss nicht.
War die Erweiterung der NATO eine bewusste Provokation?
Die Frage danach, welchen sicherheitspolitischen Nutzen eine grenzenlose Ausdehnung der NATO hat, blieb bisher unbeantwortet, was, Anbetracht der Warnungen, die es vor einer möglichen Konfrontation mit Russland gab, umso schwerer zu begreifen ist. Könnte es also vielleicht sein, dass eine solche Eskalation von manchem Akteur sogar erwünscht war?
Für viele ganz gewiss nur eine weitere unsinnige Verschwörungstheorie. Allerdings eine vergleichsweise plausible: Die Weltmacht USA stützt sich einerseits auf ihr aberwitziges Waffenarsenal, andererseits auf die Treue ihrer Verbündeten. Und auf die Europäer konnte sich Washington Jahrzehnte lang tatsächlich verlassen: Die folgsamen Regierungen gaben sich in beinahe jedem Land die Klinke in die Hand.
Bis zum Jahr 2003, als die Franzosen und sogar die Deutschen überraschend aufmüpfig wurden: Das Erstaunen, ja, Entsetzen war groß, als sich Schröder und Chirac in Sachen Irak-Krieg einfach verweigerten. Das musste doch bei den Vertretern des "Project For A New American Century" (sprich, einigen Mitgliedern der damaligen US-Regierung) Panik auslösen: Was bleibt von einer Weltmacht übrig, wenn keiner mehr folgen will? Eine Frage, die dementsprechend ganz gewiss in manchem neokonservativen Thinktank erörtert wurde, lautete: Was ist nötig, um die Abtrünnigen wieder um Onkel Sam zu scharen? Am besten wäre gewiss ein neuer gemeinsamer Feind! Und was lag da näher, als den früheren Feind auch zum zukünftigen zu machen?
Wer das für blanken Unfug hält, sollte den Auftritt von Stratfor-Gründer George Friedman kennen, als dieser 2015 beim Chicago Council on global affairs gastierte:
Das Hauptinteresse der US-Außenpolitik während des letzten Jahrhunderts … waren die Beziehungen zwischen Deutschland und Russland. Weil sie vereint die Macht sind, die uns bedrohen kann. Unser Hauptinteresse bestand darin, sicher zu stellen, dass dieser Fall nicht eintritt. … Der Punkt ist, dass die USA einen 'Cordon Sanitaire', einen Sicherheitsgürtel um Russland herum aufbauen. … Deutsches Kapital und Technologien und die russischen Rohstoff-Ressourcen könnten sich zu einer einzigartigen Kombination verbinden, was die USA seit einem Jahrhundert zu verhindern versuchen.;;George Friedma
Im bereits erwähnten Interview des Deutschlandfunks mit Wolfgang Kubicki meinte dieser jüngst, er sehe "mit großer Besorgnis, dass die NATO wieder einen Feind braucht, damit sie erstens ihre eigene Existenz rechtfertigt und zweitens dass Herr Stoltenberg seine Idee von 2 % des Bruttoinlandsprodukts in Rüstung zu stecken, auch umsetzen kann. Hätten wir keinen Feind, keinen Außenfeind, dann hätten wir dieses Problem ja an der Backe zu erklären, warum das so sein muss."
Wenn man solche Äußerungen vernimmt, drängt sich der Verdacht auf, dass nicht etwa Russland einen Keil zwischen Europa und den USA treiben wollte, sondern die USA einen Keil zwischen Europa und Russland. Aber, wie gesagt, alles nur eine weitere Verschwörungstheorie.
Haltung zu Russland scheint auch eine Frage der Generationen zu sein
Das bemerkenswerteste Phänomen im Zusammenhang mit der Ukraine-Krise ist jedoch der Riss, der zwischen den Politiker-Generationen verläuft. Während inzwischen selbst die Grünen versuchen, sich mit Dämonisierungs-Rhetorik und Nibelungentreue gegenüber den NATO-Partnern zu profilieren, hört man aus den Reihen der Politrentner sämtlicher Parteien vollkommen andere Töne.
Alt-Außenminister Hans-Dietrich Genscher beispielsweise sagte im November 2014, dass "die mangelnde Sensibilität für die Interessen der Russen ein Fehler gewesen sei". Der "Stern" berichtete, dass Michail Gorbatschow, Henry Kissinger und Genscher eindringlich davor warnten, "die alten Gräben wieder aufzureißen." An anderer Stelle schrieb Kissinger:
Um zu überleben und sich zu entwickeln, darf die Ukraine Niemandes Vorposten sein. Vielmehr sollte sie eine Brücke zwischen beiden Seiten darstellen. … Dabei sollten wir uns um Versöhnung bemühen, und nicht um eine Dominanz einer der Fraktionen. … Die Dämonisierung von Wladimir Putin ist keine Politik. Sie ist ein Alibi für die Abwesenheit von Politik.
Henry Kissinger
Zu den Unterzeichnern des am 5. Dezember 2014 veröffentlichten Appells $(LEhttp://www.zeit.de/politik/2014-12/aufruf-russland-dialog: gehörten neben vielen Prominenten aus Kunst und Kultur eine illustre Schar von Politrentern: Roman Herzog, Antje Vollmer, Gerhard Schröder, Horst Teltschik, Erhard Eppler, Herta Däubler-Gmelin, Eberhard Diepgen, Otto Schily, Hans-Jochen Vogel, Lothar de Maiziére und Manfred Stolpe: "Wer nur Feindbilder aufbaut und mit einseitigen Schuldzuweisungen hantiert, verschärft die Spannungen." Auch bei diesem Statement ging es keineswegs darum, Putin von allen Vorwürfen reinzuwaschen, sondern allein um die Forderung danach, auf verbale Kraftmeierei zu verzichten und wieder zur Diplomatie zurückzukehren.
Selbst Helmut Kohl war offenbar zutiefst beunruhigt über das Verhalten der westlichen Akteure: "Im Ergebnis müssen der Westen genauso wie Russland und die Ukraine aufpassen, dass wir nicht alles verspielen, was wir schon einmal erreicht hatten." Helmut Schmidt wiederum äußerte sich in Bezug auf die angestrebte Mitgliedschaft der Ukraine in der EU erheblich weniger diplomatisch:
Das ist Größenwahn, wir haben dort nichts zu suchen. … Sie stellen die Ukraine vor die scheinbare Wahl, sich zwischen West und Ost entscheiden zu müssen. … Ich halte nichts davon, einen dritten Weltkrieg herbeizureden, erst recht nicht von Forderungen nach mehr Geld für Rüstung der NATO. Aber die Gefahr, dass sich die Situation verschärft wie im August 1914, wächst von Tag zu Tag.
Helmut Schmidt
Offensichtlich halten viele dieser (leider inzwischen für immer verstummten) Persönlichkeiten die These von der Alleinschuld Russlands für korrekturbedürftig. Und sie sorgen sich um den Frieden in Europa. Genauso wie Millionen andere Menschen auch. So meldete die WELT am 17. März, dass sich immerhin 58 % der Deutschen eine Annäherung der Bundesrepublik an Russland wünschten. Diejenigen, die in solchen Fällen pauschal von "Putintrollen" sprechen, sollten einmal in sich gehen und sich fragen, ob das Bedürfnis nach Wahrheit und die Angst vor Krieg wirklich Gründe sind, um andere Menschen zu diffamieren.