Outsourcing der Barbarei

Seite 2: Das globale Lagerregime

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Das im Entstehen begriffene, globale Lagerregime muss als ein Prozess begriffen werden, bei dem zunehmende Krisenintensität mit Enthemmung und Barbarisierung einhergehen. Wohin das globale Lagerregime tendiert, machen die Vorfälle auf der anderen Seite der kapitalistischen "One World" offenbar.

Australien errichtete auf den Pazifikinseln Nauru und Manus Island ein drakonisches Lagersystem, das im Endeffekt auf die psychische Vernichtung der dort konzentrierten Menschen abzielt. Die Flüchtlinge sollen ein Schicksal erfahren, dass schlimmer ist als der Tod, um künftig Fluchtideen aus oftmals lebensbedrohlichen Zuständen Richtung Australien erst gar nicht aufkommen zu lassen.

Das australische Lagerregime produziere "tote Seele in lebenden Körpern", alarmierte HRW in Anspielung an Aussagen von Lagerinsassen. Die Menschen würden dort jahrelang in Unsicherheit, Isolation und Tatenlosigkeit festgehalten, während Misshandlungen, sexuelle Übergriffe und medizinische Vernachlässigung seitens des Wachpersonals weitverbreitet seien.

Die Unfähigkeit der australischen Regierung, diese Praxis "schwerwiegender Misshandlungen" zu beenden, deutete darauf hin, dass es sich um eine "absichtlich verfolgte Politik" handelt, mit der Asylsuchende abgeschreckt werden sollen.

Ein Traumaexperte, der auf den berüchtigten Pazifikinseln eigentlich die geistige Gesundheit der Wachmannschaften gewährleisten sollte, berichtete gegenüber The Guardian darüber, was die Mischung aus "weißer" Isolationsfolter und offenem Missbrauch mit den Flüchtlingen macht.

Die Gräueltaten seien das Schlimmste gewesen, was ihm in seiner 43-jährigen Karriere begegnet sei - jeder in Ödnis, Unsicherheit und Tatenlosigkeit verbrachte Tag sei eine Demoralisierung, so Paul Stevenson.

Während seiner Dienstzeit hätten sechs Kinder, die dort ohne Eltern festgehalten wurden, gemeinsam einen Selbstmordversuch unternommen. Eine Frau habe in fünf Wochen sieben Selbstmordversuche unternommen und damit gedroht, ihre Tochter umzubringen. Sie musste schließlich fixiert werden, nachdem sie nicht aufhören wollte, mit ihrem Kopf gegen den Boden zu schlagen. Eine Mutter berichtete von sexuellem Missbrauch ihres 3-jährigen Kindes durch Wachmahnschaften, den anzuzeigen sie sich lange Zeit fürchtete.

Erst nach ihrer Ankunft in Australien sprach sie offen darüber. Eine Ehefrau, die getrennt von Ihrem Mann auf Nauru festgehalten war, hat sich dessen Namen mit einer Rasierklinge auf die Brust geritzt. Ein Asylbewerber hat sich den Bauch selbst aufgeschlitzt, nachdem ihm verwehrt wurde, mit einem Verwandten zu sprechen, der gerade dabei war, vom Dach einer Baracke zu springen.

Das, was Australien auf den "Niemandsland" im Pazifik errichtete, kann getrost als Prototyp des Konzentrationslagers des 21. Jahrhunderts bezeichnet werden, wo die psychische Vernichtung der internierten Menschen mit den "wissenschaftlichen" Erkenntnissen der Isolationsfolter betrieben wird. Im Fernen Pazifik findet sich somit der feuchte Wunschtraum der Bautzener Neonazis und ihrer bürgerlichen Naziversteher in Politik, Staat und Medien bereits realisiert.

Die Analogiebildung zu den Konzentrationslagern der Nazis ist auch deswegen legitim, weil auch der nationalsozialistische KZ-Staat sich im Verlauf eines historischen Prozesses zu einem Massenmordinstrumentarium entwickelte - die ersten KZs der 30er Jahre waren ebenfalls nicht als Vernichtungslager konzipiert. Die einsetzende Barbarisierung des Lagerregimes muss auch im 21. Jahrhundert als ein Prozess begriffen werden.