PD fordert für Koalition mit M5S EU-"Loyalität" und Verzicht auf direkte Demokratie
Wird Verfassungsrichterin Marta Cartabia die neue italienische Ministerpräsidentin?
Gestern empfing der italienische Staatspräsident Sergio Matarella Vertreter der größeren im Parlament vertretenen Parteien, um mit ihnen über das Vorgehen nach dem Rücktritt des bisherigen Ministerpräsidenten Giuseppe Conte zu sprechen (vgl. Italien: Ministerpräsident Conte zurückgetreten). Nicola Zingaretti, der Chef der sozialdemokratischen PD, verlautbarte nach dem Gespräch mit seinem Parteifreund Matarella, er habe ihm gegenüber den "Willen bekräftigt, für eine neue politische Phase in Italien zu arbeiten".
Die ""politische Distanz" zur M5S, mit der er eine Koalition bilden könnte (vgl. Italien: Koalition aus M5S und Sozialdemokraten statt sofortiger Neuwahlen?), lässt sich seiner Meinung nach überwinden, wenn sich die Grillisten, die früher eine Italexit-Volksabstimmung forderten, zu einer "loyalen Zugehörigkeit zur EU" bekennen. Lasse sich die M5S darauf nicht ein, werde seine PD für Neuwahlen plädieren.
Bereits am Mittwoch hatte Zingaretti darüber hinaus eine "vollständige Anerkennung der Prinzipien der parlamentarischen Demokratie" gefordert - eine Abkehr vom Ziel direkter Demokratie. Die zudem geäußerten umwelt-, sozial- und wirtschaftspolitischen Forderungen wirken dem gegenüber nicht wie etwas, das der M5S abgerungen werden soll, sondern wie Hinweise darauf, dass es in Bereichen Gemeinsamkeiten gibt, in denen M5S und Lega eher unterschiedlicher Ansicht waren. In der Migrationspolitik möchte Zingaretti eine "Kehrtwende" einleiten und sich an Brüsseler Vorgaben orientieren.
Das M5S-Kabinettsmitglied Stefano Buffagni hatte auf die Avancen hin verlautbart, in seiner Partei stünden "die Bedürfnisse der Italiener an erster Stelle" und deshalb sei man bereit, "gemeinsam über die beste Lösung nachzudenken". Zwischen einer Koalition mit der Lega und einer mit der PD gebe es in dieser Hinsicht "keine großen Unterschiede".
Lega-Umfragewerte sanken
Für den Fall, dass sich die M5S den Bedingungen der PD nicht beugen möchte, teilte ihr der Lega-Politiker Gian Marco Centinaio über den Mattino mit, die Tür sei "noch offen". Diese Offenheit könnte auch damit zusammenhängen, dass Salvinis Ankündigung eines Misstrauensvotums gegen Conte am 8. August bei den Wählern weniger gut angekommen zu sein scheint als wahrscheinlich erwartet: Das Termometro Politico verzeichnete für die Lega seitdem einen Rückgang von 37,5 auf 36,1 Prozent.
In der aktuelleren GPF-Umfrage, die deutsche Medien gerade zitieren, liegt die Partei sogar nur mehr bei 31,2 Prozent. Sie ist allerdings insofern nur von bedingter Aussagekraft, als die Lega in den Umfragen dieses Instituts bereits vorher deutlich schwächer abschnitt als in anderen: Ende Juli lag die Salvini-Partei dort nur bei 33,1 Prozent, während sie Ipsos bei 36, Tecnè bei 37,7, SWG bei 38 und Winpoll sogar bei 38,9 Prozent sah. Von all diesen Instituten liegen derzeit keine aktuellen Umfragen vor. Auf dem Höhepunkt der Ferienzeit wären sie möglicherweise auch weniger aussagekräftig als sonst.
Draghi sagte bereits ab
Italienische Medien halten aber eine Zusammenarbeit von M5S und PD für wahrscheinlicher als eine Wiederannäherung von M5S und Lega. Sie spekulieren sogar schon darüber, wer im Falle einer Koalition dieser beiden Parteien Ministerpräsident werden könnte. Der Corriere della Sera brachte in diesem Zusammenhang die Verfassungsrichterin Marta Cartabia ins Spiel. Die 66-jährige Norditalienerin promovierte 1993 mit einer Doktorarbeit zur europäischen Integration. An den Corte Costituzionale geholt wurde sie 2011 vom damaligen Staatspräsidenten Giorgio Napolitano, der bis zu seiner Amtsübernahme der PD-Vorgängerpartei Democratici di Sinistra (DS) angehörte.
Mario Draghi, der Präsident der Europäischen Zentralbank, dessen Name ebenfalls genannt wurde, hat angeblich bereits abgewunken. Er hätte ab dem 1. November potenziell Zeit, weil ihn dann die Französin Christine Lagarde als neue EZB-Chefin ablöst. Ausgeschlossen ist auch nicht, dass der parteilose Giuseppe Conte erneut den Ministerpräsidentenposten übernimmt. Der PD könnte zwar nicht gefallen, dass Conte ein gutes Jahr lang die Politik der Lega mittrug - aber zuletzt gab sich der Rechtswissenschaftler öffentlich so sehr von Matteo Salvini enttäuscht, dass ihn die Sozialdemokraten als Opfer der Lega präsentieren und vielleicht deshalb akzeptieren könnten.
Kommt eine Regierung aus M5S und PD zustande, dann soll sie dem sozialdemokratischen Vize-Parteichef Andrea Orlando zufolge auf eine Dauer bis zum Ende der Legislaturperiode 2022 ausgerichtet sein. Er könne, so der ehemalige Justizminister, "nichts mit der Vorstellung anfangen, dass man in ein paar Monaten wieder wählen geht". Aber natürlich könne auch eine bis zum Ende der Legislaturperiode ausgerichtete Regierung vorher platzen, wenn "etwas Unvorhersehbares passiert".
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