PR-Wochenschau

Den WikiScanner gibt es jetzt auch auf deutsch

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Schon seit Bestehen des Online-Lexikons konnte man mit einem aufmerksamen Blick und einer Whois-Abfrage oder einem DNS Lookup immer wieder einige der ungeschickteren unter den PR-Einträgen in Wikipedia finden. Über den Mitte August in Betrieb genommenen WikiScanner ging das deutlich bequemer – aber nur für die englischsprachige Wikipedia. Seit Freitagabend gibt es den WikiScanner auch auf deutsch.

Bei der Wired-Abstimmung über die dreisteste PR in Wikipedia kämpfen derzeit unter anderem Änderungen der CIA zu den zivilen Opfern der Invasion in Panama, Löschversuche der US-Heimatschutzbehörde zu 9/11-Verschwörungstheorien und solche des Biotech-Konzerns Monsanto zu den Risiken und Nebenwirkungen seiner Produkte um Aufmerksamkeit.

RWE, Real, MLP

Aber auch in der deutschsprachigen Wikipedia kamen bereits einige bemerkenswert plumpe PR-Aktionen ans Licht: Beim Energieoligopolisten RWE AG etwa hatte ein Mitarbeiter offenbar zumindest zeitweise weniger die Sicherheit der Kraftwerke im Auge als das Image. Und so fügte er zur Schilderung eines Störfalls in Biblis hinzu:

Die Anlagen haben so reagiert, wie sie in einem solchen Fall reagieren sollten. Biblis hat wieder einmal bewiesen, dass das Kraftwerk sehr sicher ist und hervorragend arbeitet.

Der Tonfall des zweiten Satzes, der eher in eine Pressekonferenz oder in ein Internetforum passt, machte die PR-Aktion allerdings schon mit bloßem Auge erkennbar. Eine Methode, die ohnehin wichtiger ist als die WikiScans - weil professionelle PR-Fachleute nicht so dumm sind, von einer Firmen-IP aus zu arbeiten.

Ab und an lässt sich aber noch jemand finden: Aus dem Eintrag zur Handelskette Real etwa entfernte jemand mit einer zum Firmennetzwerk gehörigen IP-Nummer folgenden Abschnitt über den Gammelfleischskandal:

Die Staatsanwaltschaft Oldenburg ermittelt im März 2005 wegen Verstößen gegen das Lebensmittelgesetz und die Hackfleischverordnung. In zwei Filialen, in Laatzen und in Hannover, waren Mitarbeiter von einem ehemaligen Angestellten mit einer ‚versteckten Kamera’ ertappt worden, wie sie über der Haltbarkeit befindliches Hackfleisch neu verpackten und etikettierten, um es im Markt weiter zu verkaufen. Die Ermittlungen sind anschließend auf vier Filialen ausgedehnt worden. Kritische Betrachter argumentieren, dass es kaum Zufall sein könne, dass in einzelnen Filialen gleich mehrere Mitarbeiter entsprechende Gesetzesverstöße begingen. Weiterhin hätten die einzelnen Mitarbeiter weder Interesse an oder persönliche Vorteile von den Gesetzesverstößen. Es sei daher davon auszugehen, dass die lokal Verantwortlichen von Vorgesetzten bezüglich der Fleischausschussmengen so unter Druck gesetzt worden sind, dass sie sich nur noch mit Gesetzesverstößen zu helfen gewusst hätten.

Beim Eintrag zum „Finanzdienstleister“ MLP beließ es eine Person mit einer Firmen-IP-Nummer nicht beim Entfernen, sondern ersetzte Kritik durch einen Werbetext. Wo vorher zu lesen war:

Die MLP AG ist eine Absatzorganisation, die der Finanzindustrie gegen Abschlussprovision Privatkunden zuführt. Verbraucherschützer kritisieren daher die Bezeichnung von provisionsbasierten Verkaufsgesprächen als ‚unabhängige Beratung’. Auch erschwere die mangelnde Transparenz von MLP-Angeboten dem unkundigen Verbraucher die Beurteilung der oft kompliziert kombinierten Verträge, für die man wiederum einen wirklich unabhängigen und umfassend geschulten Berater bräuchte. Umstritten ist insbesondere die bei MLP mit meist 10% äußerst hoch bemessene Dynamik in Lebensversicherungsverträgen, die etwa bei einer Laufzeit von 35 Jahren den Beitrag schleichend auf 2554,8% erhöht, gleichzeitig jedoch die Rückkaufswerte vermindert, da die jährliche Dynamik jeweils eine erneute Abschlussprovision auslöst. Auf diesen für Verbraucher nachteiligen Vertragsverlauf machen provisionsinteressierte Versicherungsmakler ebenso selten aufmerksam wie auf die Tatsache, dass bei Lebensversicherungsverträgen nicht etwa die Summe der Einzahlungen oder die Rückkaufswerte verzinst werden, sondern nur ein sogenannter Sparbeitrag, der regelmäßig nicht beziffert wird, da er im ersten Jahrzehnt der Laufzeit oft nicht einmal 2% der gesamten Einzahlungen beträgt.

Da fand sich nachher:

Ab dem Berufsstart und in allen weiteren Lebensphasen bietet MLP seinen Kunden Beratung zu allen Fragen der privaten Absicherung und Vorsorge. Die MLP-Berater und ihre Kunden entwickeln aus einer Vielzahl von Produkten und Leistungen verschiedener Banken, Versicherungs- und Investmentgesellschaften kundenindividuelle Lösungen. MLP-Berater betreuen ihre Kunden in allen wirtschaftlichen Belangen: Beim Sparen und bei der Geldanlage, bei Immobilienfinanzierungen und Existenzgründungen sowie der Vermögensplanung und -verwaltung bieten sie ihnen maßgeschneiderte Konzepte. Jeder einzelne Berater konzentriert sich in seiner Tätigkeit auf eine Berufsgruppe und kennt daher seine Kunden und deren wirtschaftliche Fragestellungen genau. Er ist ihnen somit ein kompetenter Gesprächspartner, der ihre Sprache spricht.

Friedbert Pflüger, der Spiegel-Verlag, die GVU und die Axel Springer AG

Ähnlich peinlich ging man aus dem Netzwerk des Berliner Abgeordnetenhauses mit dem Wikipedia-Eintrag zu dem durch die Harald-Schmidt-Show bekannten CDU-Politiker Friedbert Pflüger um, wo man folgenden Absatz einfügte:

Friedbert Pflüger meint es allerdings ernst mit einem ‚neuen Anfang’. Seit seiner Wahl zum Fraktionsvorsitzenden der CDU-Fraktion im Abgeordnetenhaus von Berlin hat er es verstanden, neue Akzente zu setzen. Und dies nicht immer zum Wohlwollen der eigenen Parteifreunde. Die Öffnung zu den Grünen und Gedankenspiele über eine Jamaika-Koalition gehören ebenso dazu wie eine neue Akzentsetzung in der Umwelt- oder Bildungspolitik. Auch im Dialog mit dem Bürger möchte er neue Wege gehen und Erfahrungen aus anderen Ländern auch für die Berliner Politik nutzen. So ist Friedbert Pflüger einer der ersten deutschen Spitzenpolitiker, die mit einem eigenen Weblog im Internet vertreten sind. In seinem Berlin-Blog, der am 22. August 2007 an den Start ging, möchte er ein politisches Tagesbuch führen, das einen Einblick in die ‚Werkstatt’ der Berliner Politik gibt.

Und sogar aus dem Spiegel-IP-Bereich heraus machte man aus dem Eintrag zum verlagseigenen Manager-Magazin, einen langen PR-Text.

Immerhin als PR bzw. als „Selbstbild“ gekennzeichnet waren dagegen die Änderungen der "Gesellschaft zur Verfolgung von Urheberrechtsverletzungen" (GVU) mit einer "mehrseitigen Perspektive auf Vorwürfe der Presse gegenüber den GVU-Ermittlungsmethoden durch Hinzufügung einer entsprechenden GVU-Pressemitteilung".

Überraschenderweise weniger eindeutig war dagegen eine Änderung aus dem Netzwerk des Axel Springer Verlages, wo man aus dem Eintrag zum Bild-Kolumnisten Franz-Josef Wagner folgende Passage herausnahm:

Er ist seit 1966 für den Axel-Springer-Verlag tätig und war von 1998 bis 2000 Chefredakteur der Berliner Boulevardzeitung B.Z.. Diesen Posten verlor er, nachdem er sich in einem Artikel über den sinkenden Schwimm-Star Franziska van Almsick im Ton vergriff. Seitdem ist ‚F.J.W.’ ‚Chef’-Kolumnist der Bild-Zeitung. Seine Kolumne '’Post von Wagner’, die immer auf der zweiten Seite erscheint, mutet manchmal unfreiwillig dadaistisch an, ist aber meistens einfach nur populistisch. Der konservative Wagner scheut sich nicht Frauen, Homosexuelle, Atheisten, Liberale, Sozialdemokraten und ihm unliebsame Prominente anzugreifen, wobei er sich als Anwalt der ‚kleinen Leute’ präsentiert.

Den Abschnitt ersetzte man beim Axel-Springer Verlag aber nicht durch einen PR-Text, sondern durch folgenden – weniger groben, aber durchaus vernichtenderen Absatz:

Er gilt als Erfinder des ‚Romanes auf 15 Zeilen’ und genialer Autor. In Führungspositionen scheiterte er wegen ständigem Nichteinhaltens von Produktionszeiten (was wegen verspäteter Auslieferung zu schweren Verlusten in der verkauften Auflage führt), teuren Verletzungen von Foto- und Persönlichkeitsrechten und katastrophalem Umgang mit Mitarbeitern. Burda dürfte zuletzt auch mit seinem brachialen Journalismus-Verständnis Probleme gehabt haben. Etwa mit der ‚Super!’-Schlagzeile ‚Angeber-Wessi mit Bierflasche erschlagen - Ganz Bernau ist froh, daß er tot ist.’

Was auch beweist, dass der anonyme Eintrag neben aller PR doch ein Instrument ist, über das die Öffentlichkeit Sachen erfährt, die sie sonst wahrscheinlich nicht erfahren hätte.

Allerdings ist nicht immer klar, wer genau hinter den IP-Nummern aus einem Firmennetzwerk steckt. Dies ist einerseits eine willkommene Ausrede für Firmensprecher, die Änderungen auf die Initiative einzelner Mitarbeiter zurückführen wollen, andererseits kann die Methode aber auch tatsächlich zu Trugschlüssen verleiten. Als etwas voreilig erwies sich beispielsweise die Meldung, dass der Vatikan die Biografie des irischen Sinn-Fein-Politikers Gerry Adams verändert habe: Die Rechner, von denen aus die Änderungen durchgeführt wurden, waren auch für Bibliotheks- und Archivbesucher offen zugänglich.